Songs schreiben, Gitarre spielen, den Vögeln lauschen: Adrianne Lenker ließ sich nicht unterkriegen, Foto: Shervin Lainez

Gut für die Ohren

2020: Als die Musik den Bach runterging, begann die Zeit des Hörens

Streams waren für eine Woche charmant, vielleicht sogar mehr als das, denn nicht wenige hatten das dringende Bedürfnis, die in den Tagen nach dem 13. März aufkommende Panik zu bekämpfen. Da taten gestreamte Hauskonzerte der Stars und Sternchen schon ganz gut. Aber das legte sich schnell. Das Gefühl der Trennung — von den Musikern auf der Bühne, den Freun­den im Publikum, der Nacht und allem anderen — wurde durch das Surrogat eines Streams nur noch verstärkt. Dass immer noch so viel gestreamt wird, hat allerdings seinen Sinn: Es ist ein politisches Signal (und auch ein Kanal, um Fördergelder umzuverteilen). Irgendwie muss Sichtbarkeit behauptet werden, es gibt keine Garantie, dass Live-Musik zum Bestandteil des »Great Reset« ge­hören wird.

2020 war kein gutes Musikjahr. Es sei denn, man hat sich ganz »unpopistisch« verhalten und Sachen durchgeackert, zu denen man sonst nie kommt. Zum Beispiel die Geschichte der drei Signature-Songs aus David Lynchs »Blue Velvet« (den gleichnamigen Titelsong, Kunststück, und »In Dreams« erinnern wir sofort, aber wer ist wohl der dritte?). Oder nehmen wir das Beethoven-Jahr — welche Einspielung der Sonaten muss man hören? (Die von Gulda.) Oder so: Der Autor ­dieser Zeilen nutzte die Zwangs­gelegenheit, um seine Mal-Waldron-Sammlung zu komplettieren.

Das alles ist aber nicht gut für die Musik, es ist gut für die Ohren. Dass neue Alben unweigerlich an Live-Musik gebunden sind, auch wenn sie von Stubenhockern eingespielt wurden, wurde schlagartig klar. Die Befürchtung: Es wird vielleicht nie wieder so gut, wie es einmal war.

Adrianne Lenker, die super­produktive Sängerin und Gitarristin von Big Chief (fünf Alben in zwei Jahren, keines davon belanglos!), hat es aber tatsächlich geschafft, mit »Songs« und  »Instrumentals« zwei Soloalben zu veröffentlichen, die sowohl Musik zur Zeit als auch eine Schule des Hörens sind. Ihre Musik reflektiert die Einsamkeit des Lockdowns und das Prekäre unserer infektiösen Existenz und sie lädt ein, das alles zu vergessen und einfach nur den gezupften Saiten, den Glöckchen im Wind und den Vögeln der Nacht zuzuhören. Nein, das ist überhaupt nicht kitschig. Sondern ziemlich tough und unsentimental. Deshalb hier keine Liste, keine Top5, sondern die Empfehlung, mit Lenker in 2021 zu starten. Wird schon wieder besser.