Die Wirklichkeit umgarnen: Ausschnitt aus einem Gobelin (2008) von Katharina Riedel  | Foto: Stephan Pusch, Köln; © Katharina Riedel

Freundliches Gegenüber

Katharina Riedel schafft mit Gedichten und Malerei »Lebensräume«

Ein Rückblick in Gegenüberstellungen: Katharina Riedels Künstlerbuch »Lebensräume« beginnt mit dem Gedicht »Dämmerung«, dessen erstes Wort »öde« ist, und in dem es weiter heißt: »Punkt und Punkt des Graus erglüht in Schwarz«. Ein existenzialistischer Auftakt, das kann man wohl sagen (und auch die Zeit passt: das Gedicht stammt aus dem Jahr 1958, da war die Autorin gerade 18). Aber, wie sich dann herausstellt, kein trostloser, »Tau benetzt die Lippen« lautet die letzte Zeile. Die beschworene »Dämmerung« ist vielleicht doch keine ins Dunkle hinein, sondern könnte auch einen — paradoxen — Aufbruch beschreiben.

Dem Gedicht gegenübergestellt ist ein Bildausschnitt, das einen Wandteppich, einen »Gobelin« von Riedel zeigt: eine luftige, transparente, dennoch wuselige Arbeit, auf der sich Spuren abzeichnen (Lebensspuren?), vielleicht kryptische Botschaften, Signale, Farbreste. Die Komposition ist locker, entspannter Gestus, die Arbeit stammt aus dem Jahr 2008. Fernstes Echo jener »Dämmerung« von 1958?

Mit dem Band »Lebensräume« schaut die Kölner Künstlerin, die 2020 ihren 80. Geburstag feierte, auf sechzig Jahre Arbeit zurück. Das Buch steckt voller Kontraste — hier großzügige, flächige, helle, freundliche, im besten Sinne zwanglose Malerei, dort Gedichte, die widerspruchsvoll sind, schärfer an (und mit den) Gegensätzen feilen. Aber letztlich verschmelzen die Kontraste: Für Riedel steht die Lyrik gleichrangig zu ihrer Malerei. Beide zusammen konstituieren die »Lebensräume«, von denen ihre Retrospektive spricht.

So kann man von einer Autobiographie sprechen, die ohne Chronologie, ohne Fixpunkte, ja: ohne Geschichte(n) auskommt, und die dennoch beschreibt, wie die Künstlerin in der Auseinandersetzung mit gemaltem wie ge-schriebem Material voranschreitet. Die Dinge bleiben unklar klar — und klar unklar. Zustände, wie sie sich in Dämmerungen einstellen: »Wenn es dunkel wird, kommen viele Dinge erst ans Licht«, heißt es lakonisch. Aber so ist es ja wirklich.

Buch: Katharina Riedel, »Lebensräume — Gedichte und Malerei 1958–2019«, Köln 2020, 64 S., 20€. Erhältlich in folgenden Buchhandlungen: Walther König, Klaus Bittner, Lengfeldsche, Bunt — Bücher in Ehrenfeld