So heiter sieht man sie selten: Jason Williamson (links) und Andrew Fearn , Foto: Simon Parfrement

Zerbrechlich und vergeblich

Die Mischung aus Punk und HipHop bleibt der Treibstoff, um ihre Wut und Verzweiflung zu ventilieren. Aber Sleaford Mods beherrschen auch die Zwischentöne

Mit ihrem Album »Austery Dogs« (2013) haben Sänger und Rapper Jason Williamson und der seine an Arbeitsverweigerung grenzende Lakonie zelebrierende Produzent Andrew Fearn einen Standard gesetzt, den sie seitdem stolz behaupten: kalt-aggressiver, maximal reduzierter, im Nottinghamer Proleten-Akzent angewidert ausgespuckter HipHop, der nach Punk klingt (oder umgekehrt). Keines der folgenden Alben weicht von diesem Schema ab. So auch nicht das ganz frische »Spare Ribs« (Rough Trade). Eine Leistung, die man auf keinen Fall unterschätzen sollte. Denn anstatt sich über Sound-Gimmicks, Nerd-Klatsch und irgendwelchen Produzenten-Schnickschnack zu unterhalten, kann man Jason Williams (fast) alles fragen. Christian Werthschulte hat es getan.

Jason, zu Beginn eures neuen Albums singst du »Wir sind müde von den Tories und davon, von Kleingeistern niedergerungen zu werden«. Was macht die Konservative Partei in Großbritannien so ermüdend?

Ihre Nutzlosigkeit, ihr Elitismus, ihre Verachtung der Massen, ihre Unfähigkeit, über den eigenen Tellerrand zu sehen. Sie wissen nicht, wie der Rest des Landes leben muss und wieviel Geld man braucht, um über die Runden zu kommen. Boris Johnson ist keine Führungspersönlichkeit, er ist ein Idiot, jemand, über den man sich in der Schule lustig gemacht hat. Wir sind eine Nation voller Trottel.

Das Album heißt »Spare Ribs«, wie das Gericht, das in Großbritannien oft in chinesischen Restaurants serviert wird.

Ja, es ist ein Gericht, das ich mit den 1970er und 80er Jahren assoziiere. Aber es ist auch ein Bild dafür, dass wir alle verzichtbar sind, wenn es darum geht, den Kapitalismus zu bewahren. So wie der menschliche Körper ohne seine überflüssigen Rippen überleben kann, überlebt der Kapitalismus dadurch, dass er regelmäßig ein paar Millionen Menschen abstößt. Das kann durch Kriege sein oder durch Hungersnöte. Oder durch den kapitalistischen Alltag — durch Depression, Arbeitslosigkeit oder Selbstmord.

Aber in der Coronakrise wurden Teile der kapitalistischen Wirtschaft doch gebremst, um Menschenleben zu schützen.

Wegen der Art, wie unsere Regierung die Pandemie zu Beginn des Jahres 2020 angegangen ist — viele Menschen sind wegen Missmanagement gestorben und sie haben geglaubt, sie hätten alles richtig gemacht —, bin ich überhaupt erst auf die Idee gekommen, dass es ihnen egal ist, ob Zehntausende Menschen sterben. Johnson sagt immer noch, dass er stolz auf unsere Bilanz ist und wie wir uns um die Menschen gekümmert hätten. Das ist doch total verrückt. Mir kommt es vor, als seien wir alle potenzielle Kollateralschäden. Wir sind die überflüssigen Rippen des politischen Körpers.

In »Out there« sprichst du jemanden direkt an, der auf der Straße zu leben scheint und versuchst ihm zu erklären, dass weder »die Ausländer« noch »Corona« an seiner Lage schuld sind.

Das war einfach nur ein Typ, den ich regelmäßig vor dem Laden an einer Ecke getroffen habe, der manchmal auf der Straße lebt und manchmal eine Wohnung hat. Aber selbst wenn man dort angekommen ist, wird man immer noch mit Propaganda vollgepumpt. Diese Propaganda hält dich unten, sie macht dich vor lauter Lügen so benommen, dass du deine eigene soziale Lage nicht mit der Korruption dieser Regierung in Verbindung bringst. Mich bringt das in Rage. Wenn die Menschen, die den Aufstand machen sollten, vollkommen in Lügen und Propaganda getränkt sind, sind die äußeren Mauern der Gesellschaft stabil.

Deine Texte bestehen oft aus assoziativen Wortkaskaden. Im Titelsong »Spare Ribs« treten etwa ein Salonlinker und ein überforderter Familienvater auf. Wie funktioniert ein Sleaford-Mod-Text?

Der Refrain gibt das Thema vor und die Strophen sind lose damit verbunden. Im Song »Spare Ribs« erzählt der Refrain, wie Obdachlose vor einer Kirche rauchen. Es geht dann um Obdachlosigkeit im Allgemeinen, um Menschen, die ich nicht mag, die Verzweiflung von Social Media, den Lockdown. Meistens basieren meine Texte auf Alltagsbeobachtungen oder Zeilen, die ich aufgeschnappt habe. Es sind Dinge, die bei mir hängen bleiben. Sie erinnern mich daran, dass unsere Gesellschaft nicht funktioniert.

Du hast vorhin über die 70er und 80er Jahre geredet. Auf eurem neuen Album gibt es viele Referenzen an die Zeit. Ein Song heißt »Mork’n’Mindy«, der englische Titel der Fernsehserie »Mork vom Ork«. In einem anderen beschreibst du, wie du als Kind Fischstäbchen gegessen hat. Warum beschäftigst du dich so viel mit der Vergangenheit auf eurem neuen Album.

Es hat mich interessiert. Durch den Lockdown hatte ich mir den Rücken verletzt. Das ging zurück auf eine Operation, die ich als Kind hatte. Ich bin mit einem offenen Rücken geboren worden und dank der Operation kann ich mittlerweile eine halbwegs normales Leben führen, ohne die Operation hätte ich nicht mal normal laufen können. Aber weil im Sommer die Fitnessstudios geschlossen waren, habe ich zu Hause trainiert und es dabei übertrieben. Dadurch habe ich viel an meine Kindheit gedacht und mit den Bildern von damals gespielt — wie den Fischstäbchen oder »Mork vom Ork«.

Wenn du mit Mitte Vierzig auf deine Jugend zurückschaust, wie würdest du sie beschreiben?

Sie war ganz schön beschissen (lacht). Also nicht im allgemeinen, aber für mich. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich zehn war. Es war wirklich hart, damit aufzuwachsen. Ihre Streits waren sehr brutal und ich habe nicht verstanden, warum sie sich gestritten haben. Als Kind hat mich das aufgewühlt und traurig gemacht. Meine Eltern waren damals nicht mal dreißig Jahre alt. Ich bin fast 50 und mittlerweile selbst ein Vater und…Jesus Christus! Die menschliche Form ist so zerbrechlich. Wenn sie früh im Leben beschädigt wird, gibt es später auf jeden Fall Komplikationen.

Ihr bringt dieses Album inmitten der Corona-Pandemie heraus. Was ändert sich dadurch für euch?

Es fühlt sich komisch an. Normalerweise würden wir jetzt auf Tour gehen und das Album so zum Leben erwecken. Aber an diesem Punkt in der Pandemie stellt sich die Frage, was von der Musikszene noch übrig bleiben wird. Wir haben etwas Glück, denn wir sind mittlerweile etabliert und haben etwas Geld verdient. Aber ich möchte mir nicht vorstellen, wie es gerade ist, wenn man anfängt und sein erstes Album herausbringt.

In Deutschland werden die Sleaford Mods als die Stimme der »weißen Arbeiterklasse« wahrgenommen. Fühlt ihr euch mit dieser Zuschreibung wohl?

Sie stört mich nicht, aber wenn Menschen etwas nicht bekommen, dass sie von dir erwarten, dann wenden sie sich gegen dich. Ich hoffe also, dass sie das große Ganze sehen, denn wir sind mehr als ein Vehikel für die Wut der weißen Arbeiterklasse.

Eure Musik speist sich ja auch aus den verschiedenen schwarzen Musikszenen, aus Grime, HipHop oder UK Garage.

Ja, aber auch von Soul und schwarzer Kultur im allgemeinen. Zeitgenössische Kultur besteht ja überwiegend aus den Überresten schwarzer Kultur. Die Blaupause für die Sleaford Mods war HipHop und dann kam Punk dazu. Wir schauen ständig, welche interessanten Grime- oder Drill-MCs es gibt, das sind für uns die tastemaker.

Auf eurem Song »I don’t rate you« hört man diesen Einfluss besonders stark. Mich erinnert er an frühe Grime-Stücke.

Unser Vorbild waren aber frühe Rave-Tracks etwa von The Prodigy. Das Sample am Anfang des Songs, »Do you know what I mean?«, wurde damals oft benutzt, wir haben das als Witz dort hineinkopiert. Aber er hat dieselbe Energie wie Grime-Stücke aus den frühen 2000ern — so kraftvoll.

Warst du ein Raver, als du jünger warst?

Ich bin lieber in Clubs gegangen, die großen Raves waren mir zu geschwätzig. Also war ich in House- und Technoclubs in Leeds, London und Nottingham, meiner Heimatstadt.

Auf »Nudge it« erzählst du die Geschichte einer kulturellen Aneignung, aber da geht es nicht um Rassismus, sondern um Klassenunterschiede.

Ja, da geht es um Menschen, die sich als etwas darstellen, was sie nicht sind. Die Idee zu dem Song kam mir, nachdem ich ein Video der Band Idles gesehen habe, dass den Sänger vor einem Hochhausblock gezeigt hat. Ich habe mich gefragt, warum er das getan hat und meine Schlussfolgerung ist: Er ist ein Arschloch. Das ist Klassentourismus. Ich komme selbst aus der Arbeiterklasse und ich käme nie auf die Idee, mich vor einem Hochhausblock fotografieren zu lassen, weil ich nie in einem gelebt habe. Man muss sich vorstellen, wie das auf die Menschen wirkt, die in diesem Block leben, wenn er nach dem Fotoshooting wieder in sein aufregendes Leben zurückkehrt.

Die Sleaford Mods sind ja selbst soziale Aufsteiger. Als ihr das erste Mal in Köln aufgetreten seid, habt ihr im Tsunami gespielt, mittlerweile spielt ihr in der Essigfabrik oder auch auf dem Glastonbury-Festival. Wie hat dich der Erfolg verändert?

Ich bin fokussierter geworden, selbstbewusster in meine Fähigkeiten. Aber auch ein größeres Arschloch. Ich wandere nicht in einem utopischen Zustand herum, ich kämpfe mit meinem Ego. Wir machen uns ständig Sorgen darüber, dass die Sleaford Mods ihre Energie verloren haben, ich sorge mich, dass ich ein Aufschneider bin. Aber ich würde niemals sagen, dass ich nicht ich selbst bin. Viele Leute, die ich nicht mag, geben mir das Gefühl, dass sie jemand anders sind, als der, den sie darstellen. Diese ganzen Mittelklassen-Typen, die so tun, als kämen sie aus der Arbeiterklasse.

Pop hatte in Großbritannien immer einen Bezug zur Arbeiterklasse. Ist das heute auch noch so?

Nicht wirklich, es sei denn in so etwas wie gutem Soul, Grime oder UK-HipHop, die alle in der Arbeiterklasse entstanden sind. Aber sie kriegen einfach nicht die gleichen Props wie die Bands aus der Mittel­klassen­utopie — und das sage ich als jemand, der mittlerweile selbst in dieser Utopie wohnt. Viele der Indie- und Alternativebands wirken sehr sauber und gentrifiziert. Sie haben keinen Biss. Wenn man auf die Bühne kommt und einschüchternd wirken will, funktioniert das bei mir nicht. Ich denke dann: Was seid ihr nur für Idioten?