Sie träumten von der Zukunft

Das Amsterdamer Reissue-Label »Music From Memory«

Music From Memory hat sich auf meist in Vergessenheit geratene Schmuckstücke der elektronischen Musikgeschichte spezialisiert. So sind seit 2013 neben zahlreichen neu aufgelegten Alben auch einige Compilations erschienen, die sich einer bestimmten Ära oder Stilrichtung widmen. Zum 50. Release erscheint jetzt »Virtual Dreams: Ambient Explorations in the House and Techno Age, 1993–1997«. Damals wurde Ambient neu geschrieben, vom Hintergrundgedudel zum psychedelischen Katalysator einer neuen Generation.

Anfang der 90er schauten alle nach vorne: ins Internet und das Weltall, Computer, die bald eins werden würden mit dem Menschen, die Technik und Natur endlich verbinden sollte. In diesem Geiste entwickelten sich neue Stile wie der Techno aus Detroit, dessen futuristische Inspiration sich aus etlichen Sci-Fi-Szenarien speiste. Gleichzeitig erlebte eine junge Generation von Techno- und House-Liebhabern die Effekte einer chemisch induzierten Bewusstseinserweiterung, die im hoch-energetischen Mainroom eines Clubs oder Raves oft zu viel sein konnte.

Auf den sogenannten Chillout-Floors sollte es deshalb ruhiger zu gehen und eine Möglichkeit zum Ausruhen geschaffen werden, auch um in seine psychedelische Erfahrung eintauchen zu können. Die bis dato auf solchen Zweit-Floors präsenten Klänge von Reggae und Soul schienen in diesem neuen Setting nicht mehr zetigemäß.

Also nahmen es die Produzenten dieser Generation selbst in die Hände, einen neuen Ambient-Sound zu kreieren, der sich, anders als Brian Eno noch 15 Jahre zuvor mit seiner »Music For Airports« nicht mehr als hintergründiger Klangteppich verstand, sondern ganz klar die DNA von Rave und Club in sich trug, gleichzeitig aber zum Träumen einlud. Von Kosmos und Hippiekultur gleichermaßen inspiriert, lassen sich diese Träume nun ohne Ablenkungen wie durch den Lärm des Hauptfloors oder sich auf Überdosis daneben benehmende Kids zu Hause nacherleben.

Jamie Tiller, DJ und Mitbgründer von Music For Memory hat in mühevoller Kleinstarbeit aus zahllosen Compilations, CDs und 12«s die besten Stellvertreter dieser Epoche von Chillout-Tunes herausgefischt und zusammengestellt. Auf 17 Tracks finden sich frühe Produktionen von Szeneveteranen wie Move D (hier als David Moufang) oder auch Roman Flügel gemeinsam mit Jörn Elling Wuttke mit ihrem kurzlebigen IDM-Projekt »The Primitive Painter«. Von und für Nerds gemacht gibt diese Compilation einen zeitgemäßen Einblick in die Chillout-Kultur der 90er Jahre und lädt somit ein zum erneuten, naiven Träumen von einer besseren Zukunft.