Gut Ding will Seile haben: Thomas Schmeckpeper und Fabian Weber, Foto: Jennifer Rumbach

»Seilbahnbau ist kein Großprojekt!«

Über dem Verkehrschaos schweben? »Urban Netways« plant ein Seilbahnnetz für Köln

Herr Schmeckpeper, Herr Weber, die Pläne für eine Seilbahn in Köln haben für Aufmerksamkeit gesorgt. Nun lässt das Bundesverkehrs­ministerium die »Integration urbaner Seilbahnprojekte« unter­suchen. Sind Seilbahnen mehr als ein PR-Coup?

Fabian Weber: Die vergangenen Jahre haben weltweit gezeigt, dass Seilbahnen den Verkehr in Städten nach vorne bringen können. Sie schließen Lücken, schaffen neue Verbindungen, entlasten andere Verkehrsmittel. In Deutschland wird das Thema in mehr als 150 Kommunen diskutiert. Es ist eine Frage der Zeit, bis Seilbahnen in Europa vermehrt im Nahverkehr eingesetzt werden.

In Köln konkurrieren schon jetzt viele Verkehrsträger miteinander.

Weber: Städte sind unter Zugzwang und brauchen Antworten auf den Klimawandel. Um kurzfristig einen attraktiven ÖPNV zu bieten, müssen neue Lösungen her.

Thomas Schmeckpeper: Egal, welcher Verkehrsträger: Am Ende zählen die Zahlen. Wie viele Personen kann man in welcher Zeit über welche Strecke transportieren? Wie viel Energie braucht man, wie viele Emissionen produziert man? Wie viel Platz benötigt die Infrastruktur? Wie lange dauert der Bau? Und natürlich: Was kostet das? Die Seilbahn schneidet da deutlich besser ab als andere Verkehrsträger.

Wie ist die Kosten-Nutzen-Bilanz?

Schmeckpeper: Kosten und Kapazitäten hängen von vielen Faktoren ab. Zehn bis 15. Mio. Euro pro Kilometer, inklusive Stationen, sind nicht unrealistisch. Üblicherweise werden 1200 bis 5500 Passagiere pro Stunde pro Fahrtrichtung befördert. Das ist vergleichbar mit Doppelgelenkbussen, die im Zwei-Minuten-Takt fahren.

Weber: Hinzukommt: Seilbahnen sie sind dort günstig, wo man ein Hindernis wie den Rhein überbrücken muss. Zur Effizienz gehört auch, dass die Abgasemissionen gegen null tendieren. Es braucht nur einen Motor, um sehr viele Leute zu ziehen. Strom wird immer umweltfreundlicher. Das macht ein Verkehrsmittel interessant, das Strom direkt umsetzt, ohne — wie bei der Elektromobilität — begrenzte Ressourcen für endliche Akkus zu benötigen.

Würde Köln noch ein Großprojekt vertragen?

Schmeckpeper: Seilbahnbau ist kein Großprojekt! Ich bin immer wieder baff, wie kurz die Bauzeiten sind. Man kann die gesamte Infrastruktur zeitgleich bauen, die Stationen, die Stützen. Ein weiterer Vorteil: Man kann Seilbahnsysteme so schnell abbauen, wie man sie aufgebaut hat. Wir wissen nicht, welche Bedarfe es in 50 oder 100 Jahren wo gibt. Mit einer Seilbahn kann man flexibel reagieren. Wenn man Schiene legt, liegt die Schiene — erst recht unterirdisch.

Seilbahnen greifen stärker ins Stadtbild ein.

Schmeckpeper: Das ist kein Vergleich zu dem, an das wir uns längst gewöhnt haben. Die Stationen und Stützpfeiler kann man sehr flexibel ins Stadtbild integrieren, ohne neue Flächen zu versiegeln.

Weber: Je intelligenter ein Seilbahnsystem, desto weniger greift es ins Stadtbild ein. Nachts fährt dann vereinzelt lautlos eine Gondel, wo heute eine tonnenschwere Straßenbahn mit wenigen Menschen durch die Stadt rauscht.

Ein Kritikpunkt ist auch die Überquerung von Wohngebieten.

Weber: Es gibt eine Seilbahnverordnung, die regelt, was erlaubt ist und was nicht. In Köln gibt es viele Flächen, die nutzbar wären, ohne private Wohnräume zu tangieren. Die größte Schwierigkeit ist der Dom als Weltkulturerbe mitten in der Stadt. Aber auch das kann man lösen.

Touristen, Pendler — wer soll ­Seilbahnen nutzen?

Schmeckpeper: Touristen sind nice to have. Unser Fokus liegt auf der Integration in den ÖPNV. Seilbahnen können sehr gut an andere Verkehrsträger angebunden werden, gerade wenn es darum geht, den motorisierten Pendlerverkehr in der Innenstadt zu reduzieren.

Und warum werden Seilbahnen bislang nicht im Nahverkehr ein­gesetzt?

Weber: In Deutschland kennt man Seilbahnen bisher eher von Bundesgartenschauen. Aber moderne Seilbahnen sind keine linearen Systeme mehr. Ein sogenanntes vernetztes System nutzt Schnellschaltweichen, die bei Bergbahnen schon im Einsatz sind. Einfaches Beispiel: Man hat drei Stationen, aber nicht jede Gondel fährt vom Tal über die Mittelstation zur Bergspitze. Je nach Nachfrage biegen Gondeln an der Mittelstation wieder ins Tal ab. Intelligent gesteuerte Weichensysteme kann man sich auch bei komplexeren, urbanen Seilbahnen denken. Das System weiß, welche Personen wohin möchten, kann also auch mehrere Personen bündeln für einzelne Gondeln, weil man in Kreuzungssituationen nicht mehr umsteigen muss. Das ist der letzte Schritt vor einem vollen On-Demand-Angebot. Die Individualisierung des ÖPNV wird in immer mehr Bereiche einziehen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass Seilbahnen bald zum Kölner Nahverkehr gehören werden?

Weber: Das Schöne ist, dass Menschen die historische Seilbahn gut kennen. Gleichzeitig wünscht man sich in Köln ja auch neue Lösungen. Die Scheu ist kleiner als in anderen Städten.

Thomas Schmeckpeper und Fabian Weber sind Mitgründer von Urban Netways. Das Kölner Planungsbüro entwickelt unter anderem vernetzte Seilbahnsysteme für den städtischen Nahverkehr. Schmeckpeper war bis 2020 Referent der Ratsgruppe GUT, mit der er 2019 die Idee eines »Rheinpendel« vorschlug. Der Verkehrsausschuss beauftragte die Verwaltung daraufhin mit einer Machbarkeitsstudie für ein Seilbahnsystem entlang des Rheins. Die Ergebnisse liegen bislang nicht vor.