Hände, die Verspannungen wegkneten wollen: PeterLicht, Foto: Christian Knieps

»Weniger Kopf, mehr Herz«

Mit seinem neuen Album »Beton und Ibuprofen« beackert der Kölner Paradediskurspopper PeterLicht düstere Gefilde

Deine neues, in Zusammenarbeit mit den Produzenten Boris Rogowski und Benedikt Filleböck entstandenes Album ist musikalisch sehr abwechslungsreich geworden. Nahezu jedes Stück hat ein eigenes Gewand erhalten.

Für mich hat das etwas Cineastisches, dass man in verschiedene Stimmungen und Klänge eintaucht. Mir war schon klar, dass ein Song wie »Beton« und ein Song wie »Lost Lost Lost World« sehr unterschiedlich sind. Aber wir haben gedacht: Es ist 2021, es gibt keinen Stil mehr, es ist eigentlich egal. Es war also schon die Idee, dass es ein multistilistisches Ding wird.


Musikalisch habe ich klare Referenzen herausgehört, etwa die Beatles bei »Freunde«, wo ein »Lady Madonna«-Klavier erklingt. Ist das eine bewusste Entscheidung gewesen, da tiefer einzusteigen und den Bezug dann so richtig durch zu deklinieren?

Ich liebe so etwas. Ich finde moderne Sounds gut, aber die Sounds der 60er und 70er sind so archetypisch, das ist einfach total geil. Im Jahr 2021 steht das für mich alles nebeneinander.


Das heißt purer Eklektizismus ohne ästhetische oder geschmack­liche Grenzen?

Es gibt meine Geschmacks­grenze, aber es gibt keine Regel, dass das jetzt ein konsequentes Synthiepop-Ding sein muss oder das, was ich als 2021 definiere, und dass das Honkie-Tonkie-Klavier nicht das Gesamtbild stören darf. Im Gegenteil, ich finde es gerade schön, denn diese Art von Klavier erzeugt ja ein Gefühl: das Warme, Gute, Ehrliche — was bei dem Thema auch beab­sichtigt ist.


Hast du denn, wenn du ein neues Album angehst, immer schon ein thematisches Konzept im Kopf oder schreibst du erst mal drauf los?

Das Konzept dieser Platte hatte ich von Anfang an. Der Arbeitstitel war zunächst »Society of Depression« — eine Gesellschaft, die an einer Depression erkrankt ist und dann so vor sich hin agiert. In den letzten Jahren ist so ein allgegenwärtiges Erschöpfungssyndrom und eine Niedergeschlagenheit zu beobachten, ein Ende. Es ist ja schon fast ein Stilmittel der Postmoderne, irgendein Ende auszurufen, dass es Fünf vor Zwölf ist. Aber ich finde schon, dass durch Trump, durch die Klimageschichte, durch den ganzen Nationalismus, all das Prekäre, was in der Demokratie steckt, und was es mit den Leuten macht, klar wird, was für ein rigides Regime das ist. Jeder hat sein Herz der Leistung auf eine Weise geöffnet, dass sie zur Existenzberechtigung geworden ist. Es braucht niemanden, der sagt: Du musst jetzt was leisten, sondern jeder macht es von sich aus und alle laufen in diese Erschöpfungszonen hinein oder in ihre Depression. Das beobachte ich an mir selbst, an meinem Umfeld, am System.


Der Schluss, den du musikalisch daraus ziehst, ist ziemlich resignativ — so kommt es für mich in vielen Songs rüber —, dass man sich in dieser Depression wie gelähmt fühlt. Ziemlich fatalistisch ...

Ich finde das nicht, aber es ist klar, dass man es so verstehen kann. Ich denke, überhaupt darüber zu singen, ist schon mal eine Maßnahme. Für mich sind das schon alles irgendwie Rettungslieder, die versuchen, etwas zu benennen und etwas daraus zu machen, Luft unter die Flügel zu kriegen. Deshalb auch meine Freude an einem schönen Sound, dass es majestätisch und groß ist und von einer schillernden Welt erzählt.


Für mich ist das eher der Bruch, der zwischen Text und Musik entsteht. Aus den Texten hätte man auch eine düstere, introvertierte Folkplatte machen können, doch es ist die Musik, die den Popglanz oder die Euphorie hineinbringt. So ein Lied wie »Ibuprofen« wirkt ja schon eher zynisch: Medikamente als einziger Ausweg aus dem viel besungenen Schwarz ...

Ja natürlich, ich finde das auch düster. Bei dem Lied »Verloren« geht es zum Beispiel immer weiter abwärts, während es bei »Dämonen« im Refrain zumindest noch eine Wendung gibt: Wenn die Dämonen kommen, ist jeder, der ein Mensch ist, dein Freund. Aber wenn man dann drüber singt, wird es für mich leicht. Ich empfinde aber sehr viele Songs etwa von den Beatles als sehr, sehr düster, obwohl es einem gar nicht so vorkommt — auch das ist für mich Pop.


Der Song »e-scooter deine Liebe« ist die große Ausnahme: Ein Song der offensiv gegen die Depression angeht.

Ja, und bei »Freunde« ist es auch so, dass man sich zumindest in der Schwärze trifft: Es gibt die Akzeptanz des Schwarzen, aber es gibt auch ein Wir und es gibt eine Sehnsucht nach Freundschaft und Zusammenhalt. Für mich hat das am Ende etwas Erbauliches. Ich bin durch einen krassen Prozess gegangen, bei dem mich irgendwann die grandiose Schwere verlassen hat, die da drin steckt. Ich bin dadurch leichter geworden, ich hoffe, dass es auch anderen so geht, aber dafür gibt es natürlich keine Garantie.


Spürst du bei eine Schere, die zensiert, dass etwas zu direkt oder eindeutig wird?

Natürlich ist die Motivation eigentlich immer persönlich, aber das würde mir nicht reichen. Ich empfinde es als Demut den Hörern gegenüber, dass es um Kommunikation geht und nicht um die private Erforschung dessen, was bei mir los ist. Aber ich kann schon spüren, wenn gewisse Akkorde oder Worte anfangen, richtig weh zu tun. Dass man zum Beispiel ein Wort wie Depression wirklich singt, obwohl es doch eigentlich ein unsingbares Wort ist.


In der öffentlichen Wahrnehmung stehst du für eine Art Meta-Pop. Deine Aussagen und die Signale, die du sendest, sind immer mit einer Brechung verknüpft. Beim neuen Album hatte ich den Eindruck, dass alles doch deutlich persönlicher und weniger »meta« geworden ist, als man das von dir gewohnt ist.

Ja, das kann schon sein. Ich hatte immer wieder Songs, die die Metaebene verlassen, und das kommt hier nun insgesamt häufiger vor: Weniger Kopf und mehr Herz.

Tonträger: PeterLicht, »Beton und Ibuprofen«, erschienen auf Tapete (Indigo).