Unterwegs mit aufgeklapptem Cabrio-Dach: Gianni Brezzo, Foto: R. Winter

Für sein Publikum ungreifbar

Kollektiv? Pseudonym? Skurriler Einzelgänger? Oder mitten unter uns? Annäherungen an Gianni Brezzo

Ein Geist? Nein, ein Geist ist der Künstler Gianni Brezzo nicht, selbst wenn er zumindest für einen Zeitraum von zwölf oder mehr Monaten unsichtbar gewesen ist. Dies war zum Beginn der Zeit als der Kölner Musiker, der vorher noch als Marvin Horsch elektronische Tanzmusik produzierte, andere Wege einschlug. Das erste Lebenszeichen: Eine LP mit dem merkwürdigen Titel Namen »tak €2«. Dazu gab es Anno 2017 auch ein Pressefoto, auf ihm ein Freund, Marat Beltser. Ein damals in Köln ansässiger Künstler, den man vor allen Dingen als wirbelnden Hummus-Verkäufer vom Ebertplatz kannte. Warum das Verwirrspiel? »Eigentlich hatte ich mir nicht viel dabei gedacht, außer ein bisschen Spaß haben zu wollen und die Musik, die ich für das Projekt schrieb, von der Band meines Gitarrenlehrers performen zu lassen«, ganz unprätentiös kommentiert Horsch das heute.

Für den gewitzten Beobachter schien aber eine Verweigerungshaltung dahinter zu stecken. Eine, die sich den Hype um soziale Netzwerke zu eigen macht und sie bitterböse unterläuft. Keine Selfies, keine Promo, keine Identität. Für das Online-Magazin kaput sprach Beltser damals als Gianni Brezzo über die Weitergabe von Identität in Form von Musik. Ein philosophischer Ansatz, ein frecher zwar, aber gar nicht dumm. Zum Anlass der Konzertreihe des Magazins »Köln ist kaput« spielte eine handwerklich formidable Band im Gold + Beton ein Jazz-Konzert. Später dann auch noch bei der c/o pop. Alles vom Blatt oder aus dem Kopf.

Der Schritt zum Jazz, weg von der Tanzmusik kam dennoch unerwartet. Immerhin hatte sich Horsch schon relativ früh und schnell eine Fangemeinde er-produziert, als Teil des Dorfjungs-Kollektivs, mit Partys in Brühl und Köln, frenetische Anhänger generiert und mit seinen Tracks sogar den Weg nach New York ins bekannte Beats-in-Space-Universum gemacht. Doch: »Clubs sind für mich irgendwann zu laut geworden. Von meinem Kollektiv war ich der Einzige, der schon um halb drei nach Hause wollte, weil ich dann schon so müde war.« Wieder zurückhaltend und irgendwie charmant. Bedenkt man, dass Horsch damals Mitte 20 und nicht Mitte 40 war, umso mehr. Feiern kann jeder, gute Musik produzieren vielleicht doch nicht.

Offenbar spricht da auch Demut aus den Zeilen — es haben schon ganz andere ihr gesamtes Pulver im Nachtleben verschossen. Stattdessen zog es Horsch, den wir ab jetzt wieder Gianni Brezzo (»Gianni ist mein zweiter Vornamen, Brezzo der Mädchenname meiner Mutter« — alles klar!) nennen, eher ins Studio. Für seine eigenen Produktionen, aber auch für die von befreundeten Musikern. So lernte Brezzo Keshav Purushotam aka Keshavara kennen und war schon kurze Zeit später an der Produktion von dessen Solo-Debüt beteilgt. Er habe bei der gemeinsamen Arbeit in den Gotteswegstudios einiges gelernt: »Deshalb finde ich es immer wieder spannend, mit anderen Künstler*innen zu arbeiten. Momentan arbeite ich aber lieber an meiner Musik«, sagte er und setzte dies in Tat um.

Mittlerweile gibt es drei Solo-Alben, eine Kooperation mit dem Osnabrücker Ambient-Künstler Cass., dazu eine Handvoll EPs, Compilationbeiträge, Singles — und womöglich noch hunderte Tracks, die nur noch nicht das Licht der Welt erblickt haben. Brezzo erklärt den enormen Output so: »Ich mache täglich Musik. Ich nehme Musik täglich auf.« Der neuste Streich heißt »The Awakening«, besteht aus sieben Stücken und erscheint beim Köln-Berliner Label Jakarta Records.

Passt der Jazzer, der vom House kommt, überhaupt auf ein Label, das für seinen HipHop-Output bekannt ist? Ja, wie die Faust aufs Auge. Das hat zwei Gründe: Einerseits haben sich in den letzten Jahren die Sphären von (Instrumental-)HipHop und Jazz immer weiter angenähert, Künstler wie der Chicagoer Makaya McCraven zeigen, dass Sampling und Beat-Producing ganz sicher auch ihren Platz im Jazz behaupten. Andererseits ist Gianni Brezzo ein Produzent, der sich und auch seine Musik gerne ausprobiert, überall reinschnuppert, sich die Formen und Codes geschickt und in Windeseile aneignet. Hier eben die Grandezza der Beat-Scene und — mehr oder weniger erstmalig — auch den souligen Gesang.

So bleibt er für sein Publikum musikalisch ungreifbar, was sich aber in Zeiten immer schneller morphender Erwartungshorizonte durchaus lohnen kann. Trotzdem gibt sich Brezzo betont lässig und laid back: »Am liebsten mache ich Musik am Morgen, zu einem Kaffee am Nachmittag oder abends mit einem Glas Vino.« Musik produzieren wird hier der Nimbus der Arbeit genommen, sie wird wieder zu etwas, was man längst vergessen hatte: Zum Lebensgefühl, zum aufgeklappten Cabrio-Dach, zum Barfußlaufen am Strand, zum strahlenden Soundtrack einer Jugend.

Ganz so billig lässt uns Brezzo dennoch nicht davonkommen. Klar, aus »The Awakening« wird viel gechillt. Aber eben nicht ohne Disruption: »Beirut« mit der Vokalistin J. Lamotta, erinnert uns im Gewand des Jazz-Pops an die schreckliche Situation in Libanons Hauptstadt; »In My Arms« fängt mittemang an zu dröhnen und ist dann eher überwältigend als entspannt. Immer wieder gibt es jene kleine Hürden, die man elegant überspringen muss, um die Musik dahinter dann einfach zu genießen.

Das ist aber nicht störend, sondern vor allen Dingen richtig gutes Songwriting. Sorge tragen, dass sich hier irgendwas erschöpft haben könnte, braucht man nicht: Gerade die Arbeit mit den Sänger*innen J. Lamotta und Otis Junior hat Brezzo gefallen. Folglich könnte die nächste Platte vornehmlich auf Gesangsspuren basieren — oder halt doch etwas komplett anderes bereithalten.

Tonträger:

Gianni Brezzo, »The Awakening«
Jakarta Records / Groove Attack
(bereits erschienen)