Extreme fragile Musik: Philip Zoubek bei der Arbeit

Es soll krass klingen

Der Pianist Philip Zoubek feiert mit seinen Stücken den Eigensinn: Keine Klischees, keine Tabus, immer höchste Präzision

 

»Wenn man mich auf eine Position festnageln will, bin ich gerne der erste, der das Gegenteil behauptet«, sagt Philip Zoubek — und reichlich Gelegenheit für das Gegenteil ist tatsächlich vorhanden: In den letzten Monaten sind vier Alben unter seinem Namen oder mit seiner prägenden Beteiligung erschienen.

Zoubek ist Pianist, der nicht zuletzt für sein Spiel mit dem präparierten Klavier bekannt geworden ist, seit ein paar Jahren spielt er zudem analogen Synthesizer. Er kommt aus dem österreichischen Tulln, der selbsternannten Tulpenstadt an der Donau (berühmt geworden durch den schwarz-melancholischen Song gleichen Namens von Voodoo Jürgens) und lebt und arbeitet seit über 20 Jahren in Köln. Er ist einer der stärksten Stimmen der jüngeren Jazz-Generation, tour weltweit, ist aktuell an dem Elektronik-Projekt Tau5 beteiligt, das das Jazz-Album des letzten Jahres vorgelegt hat und hat 2020 den WDR-Jazzpreis verliehen bekommen. »Mich interessiert der Forschungsaspekt — mich auf ein Territorium begeben, das mir noch unbekannt ist oder auf ein bekanntes, das ich ganz neu vermesse. Dann passiert etwas mit der Musik, wo es für mich interessant wird, eine intensive Erfahrung, die ich nicht habe, wenn ich die Vorgaben eines Formates erfülle«, lautet sein Credo. Jede seiner aktuellen Produktionen spiegelt diese Erfahrung wider — auf ihre Art. Los geht’s!

 

Hübsch/ Martel/ Zoubek

Ize

(pierre-yvesmartel.bandcamp.com/album/ize)

Bereits die vierte Veröffentlichung des Trios. Carl Ludwig Hübsch spielt Tuba, Pierre-Yves Martel Viola da Gamba. Die Musik ist ruhig, sehr dicht, aber ohne monolithisch zu sein. Wie eine Strömung, die man unter einer dicken Eisschicht gerade noch wahrnimmt. Während der Produktion hieß das Album noch »Ice«, aber »bei uns ist immer irgendwas falsch«, sagt Zoubek und lacht.

»Der Sound war von Anfang an klar. Dennoch gibt es eine Evolution. Auf der aktuellen CD ist er noch extremer geworden. Für mich ist unser Sound ein Unikat, das ist etwas, was nur wir haben. Das macht die Faszination des Trios aus. Wir improvisieren immer, es gibt keine Komposition. Aber der Soundeindruck bei jedem Konzert ist eigentlich immer ähnlich. Die Sprache, die wir gemeinsam gefunden haben, ist einfach sehr stark. Der Klangraum ist abgesteckt, aber was in ihm passiert, ist offen.«

»Das oberste Gebot ist, dass die Musik bestehen bleibt. Wenn ich unbedingt provozieren will, muss ich es so tun, dass ich die Musik nicht zum Abbruch bringe und die anderen nicht um die Chance, adäquat zu antworten. Es darf nicht destruktiv wirken. Wir haben keine Verbote ausgesprochen, es ist eine stillschweigende Übereinkunft. So zu spielen, ist risikoreich, das kleinste Nebengeräusch, ein voreiliger Einsatz, einen Klangbogen versäumen, einer von uns ist eine Spur zu laut — all das kann blitzschnell zum Einsturz führen. Es ist extrem fragile Musik. Sie muss erstklassig aufgenommen sein, die Feinheiten der extend technics und Präparationen müssen sehr präzise eingefangen werden, um die Klangtiefe abzubilden. «

 

Philip Zoubek Trio

Nonplaces

(Why Play Jazz)

Die zweite CD der Gruppe. David Helm spielt Bass, Dominik Mahnig Schlagzeug. »Nonplaces« sind Orte des Übergangs, des Transits oder Konsums: Bahnhöfe, Shopping Malls, Autobahnen, Wartehallen. Zoubek, Helm und Mahning spielen — als wäre es der Kontrast zu »Ize« — elf kürzere, sehr heterogene Stücke.

»Wir wollten Charaktere darstellen, keine Prozesse. Unsere Konzerte sind prozesshaft, da wird das Material durchgehend moduliert, da geht es uns um Energiezustände, die wir transformieren. Unsere CD funktioniert völlig anders: Da sind die Stücke eher wie Fenster, die sich öffnen und einen Blick freigeben. Das ist ein bestimmtes Bild, das wir zeigen. Ganz entfernt klingt die Idee der Klaviercharakterstücke aus der Romantik nach.«

»Auch bei unserer Trio-Musik ist die Frage wichtig: Wie können wir sie zusammenhalten? Das Album wollten wir ja möglichst heterogen, aber es sollte auch nicht beliebig klingen. Wir haben das zum Beispiel darüber gelöst, dass bestimmte Elemente, Klavierpräparationen oder der Einsatz des Synthesizers, wie Fäden funktionieren, die sich durch oberflächlich sehr verschiedene Stücke ziehen. Dadurch gewinnt die Musik einen starken texturalen Charakter, den man sonst mit Neuer Musik assoziiert. Den Kontrast dazu bildet unser starker Jazz-Bezug. Letztendlich garantieren die Einheit der Musik wir selbst: Ich schreibe zwar die Stücke, aber wir alle arbeiten gemeinsam an ihnen, entwickeln sie im Spiel weiter. Das ist ein gemeinsamer Prozess, in dem wir zu unserer Sprache finden.«

»Das Album klingt ziemlich dirty, wie eine alte Aufnahme vom Paul Bley Trio. Wir wollten keine geleckte Produktion, kein schöngeistiges Klaviertrio. Es sollte krass klingen. Die Stücke sind alle live aufgenommen, auf altem analogen Equipment, das wir ziemlich gefordert haben, es gibt Passagen, die sind verzerrt — nicht so, dass es wie ein Missgriff klingt, sondern eher so, als ob wir das Stück aufwändig nachbearbeitet hätten. Das Schlagzeug zu Beginn klingt wie verfremdet, sehr crisp, die Becken krachen, da schwingt nichts schön aus. Aber auch das ist live — und nicht digital nachbearbeitet. Es lag an den alten Röhenverstärkern!«

»Viele, die uns zuhören, wissen gar nicht, wo die Komposition endet und die Improvisation beginnt, wir wissen das natürlich und wir spielen auch damit. Uns geht es um Strukturen, die sich überlagern, durchdringen oder einfach parallel zueinander verlaufen. Wir denken die Stücke nicht von einem Thema her, das man am Anfang spielt und am Ende und das in den Improvisationen mal mehr, mal weniger stark aufgegriffen wird, dagegen wollen wir die verschiedenen Elemente stärker miteinander verschränken. Das macht unsere Musik gleichzeitig viel strenger als klassische Jazz-Stücke, aber auch freier.«

 

Gratkowski/ Zoubek/Landfermann/ Mahnig

Torbid Daylight

(Impakt)

Dominik Mahnig am Schlagzeug ist wieder dabei, Robert Landfermann ist am Bass zu hören und Frank Gratkowski an Klarinette und Saxofon zu hören. Die Musik ist — sowohl live als auch im Studio — im Februar 2020 aufgenommen worden, kurz vor dem Durchbruch der Corona-Panik. Sie ist mitunter so hitzig, die Spieler scheinen dermaßen miteinander verstrickt, dass man ganz neidisch wird: Abstandsregeln gelten für diese Musik nicht. Diese Aufnahme entspricht am ehesten der Erwartung einer Jamsession von Free Jazzern.

»Kann man so sagen. Aber auch auf dieser CD findest du Stücke, die im Studio aufgenommen wurden, also unter ganz anderen Bedingungen. Es gibt diesen Free-Jazz-Aspekt, wo wir alle nach vorne gehen, an einer Idee dran bleiben und uns da regelrecht festbeißen. Dagegen stehen Stücke, die sehr klangsensibel sind, wo wir an subtilen Texturen weben, da ist viel Platz für Pausen. Natürlich kommen wir irgendwann wieder ins hochenergetische Spiel, das Idiom ist hier schon Free Jazz. Aber wir springen nicht auf den erstbesten Zug auf, lassen vieles offen.«

»Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist Frank Gratkowski, der beides beherrscht, das Offene und das Powerplay. Er ist einer der besten Spieler, die ich kenne. Ein Gelehrter, kennt wahnsinnig viel Musik, hört die auch total hierarchiefrei, hat sehr gute Ohren. Für seine Studenten ist er ein Mentor. Wenn er den Raum betritt, dann hat er so eine lockere Art, aber er hört genau hin, was wir da spielen und macht präzise Kommentare, die einem wirklich weiterhelfen. Er zeigt Haltung. Was wir bei ihm gelernt haben — und was sich auch in diesem Quartett ausdrückt: Es geht immer um Kommunikation, wie können wir miteinander spielen?, und immer um einen Ausdruck, der scharf sein muss. Frank geht es nie um einen Stil, nie um ein Format.«

 

Zoubek Solo

Vortex

(Why Play Jazz)

Sein zweites Soloalbum, ausschließlich auf dem präparierten Klavier eingespielt, ebenfalls auf Greifswalder Label »Why Play Jazz« veröffentlicht, das sich mit Künstlern und Bands wie Philipp Gropper, Hyperactive Kid, Rudi Mahall oder eben Zoubek als das vielleicht wichtigste hiesige Jazz-Label für die aktuelle Szene profiliert hat. »Vortex« scheint viele Ideen zusammenzubringen, die Zoubek auf »Ize« und »Nonplaces« jeweils für sich ausprobiert hat. Die CD beschreibt einen langen Bogen (er hat darauf geachtet, dass sie exakt 50:00 Minuten dauert), ist aber in sich sehr heterogen. Ist das Solo-Spielen der Kern seiner Kreativität? Zoubek verneint. Aber welchen Status in seiner Kunst hat das Solo?

»Schwer zu sagen … Natürlich stelle ich mir solche Fragen nicht. Diese CD ist eine Studioproduktion. Es sind drei Takes, die ich zusammengeschnitten habe, aber man hört die Aufnahme als ein Stück. Im Studio habe ich improvisiert, anschließend das Material gesichtet und einige Parts überblendet. In den 90er und Nuller Jahren hatten viele im Jazz und der Improvisierten Musik die Idee, große Bögen zu spielen, da haben dann einige angefangen, Suiten zu schreiben… Und mich hat das genervt! Deshalb meine Entscheidung, häufig Charakterstücke zu schreiben, kürzere Kompositionen, die einen bestimmten Aspekt herausstreichen.« Lange Bögen sind nicht dein Ding? »Doch eigentlich schon. Aber es ist schwierig, eine Großform wirklich auszufüllen. Als Hörer — und als Musiker — bei einem 50-Minuten-Stück dran zu bleiben, ist harte Arbeit. Auf CD oder LP ist das noch viel schwieriger als live. Jetzt, bei dieser Produktion, hatte ich den Ehrgeiz, das mal durchzuziehen. Zum Schluss geht die Musik in einen ambienthaften Teil über, es pendelt sich ein, da finden die schroffen Passagen am Anfang ihr Gegenstück, da nehme ich die Hörer ein bisschen an die Hand. Aber es bleibt eine Herausforderung.«


… die man nur mit Improvisation meistern kann: im Zweifelsfall alle Pläne über Bord werfen und sich ganz auf die unvorhergesehene Situation einlassen. Zoubek betont, dass seine Musik nur im Austausch mit anderen Musikern entstehen könne. »Das Ego steht im Hintergrund, und das gemeinsame Entwickeln und Hineinbringen der Stimmen ist ein immanenter Bestandteil unserer Musik.« Improvisation ist erweist sich Im Kollektiv als ­bestes Mittel gegen Neurosen — ideal zur Behandlung von Zwangshandlungen und übertriebenen Ordnungsvorstellungen. Nochmal Zoubek: »Früher war es so: Ich habe im Proberaum ein paar Sachen am präparierten Klavier geprobt, habe da was ausgetüftelt, komme dann zum Auftritt — und das Klavier, was da steht, das packt es nicht. Das war frustrierend. Heute verstehe ich diese Situationen als Chance, mir macht es Spaß, sich auf die Bedingungen vor Ort einzulassen, auch wenn die nicht gut sind — man muss seinen Weg finden, mit Schwierigkeiten umzugehen. Das hält wach.« So wie seine Musik auch.

philipzoubek.com