Kämpferischer Journalismus: Curtis versteht sich nicht als Künstler

Die dunklen Seiten der Macht

Adam Curtis stellt seine Dokus prinzipiell online frei zur Verfügung. Auch die neue »Emotionsgeschichte der Moderne«

»Ich hasse Verschwörungstheorien. Ich finde sie einfach ziemlich langweilig. Sie sind heute so populär, weil sie dem Denken der gegenwärtigen Menschen so gut entsprechen. Die Leute denken nur noch in Fragmenten. Sie assoziieren, parallelisieren, stellen nebeneinander, aber dahinter steckt keine echte Bedeutung. Es sind nur die Vereinfachungen und Dummheiten die Welt, in der wir leben.«

Dass der Mann ein Gespür für Themen hat, die in der Luft liegen, zeigt der Zeitpunkt, an dem dieses Zitat fiel: Im Mai 2010 stellte Adam Curtis seine Filme erstmals in Deutschland bei einem Filmfes­tival vor.

Aber bereits seit fast 30 Jahren gehört Curtis, geboren 1955, zu den für eine breitere Öffentlichkeit unbekanntesten, zugleich wichtigsten Filmemachern aus Groß­britannien. Seine Filme laufen auf internationalen Festivals, ab und zu sogar bei den Filmfestspielen in Cannes.

Curtis hat eine ganz eigenwillige Form von politischem Essayfilm entwickelt, die sich in mancher Hinsicht an die besten Traditionen des britischen Dokumentarfilms und des Free Cinema anschließt. Seine Filme sind von komplexen assoziativen Montagen geprägt, und bieten eine Collage aus atemberaubenden Funden im Archivmaterial und Erzählertexten. Das Ergebnis ist ein filmischer Bewusstseinsstrom der Material aus Soziologie, politischer Theorie, Geschichte und Psychologie zu bislang ungesehenen Bildern verbindet, im Stil derart verführerisch, dass es schwer fällt schwer, sich als Zuschauer dem Sog von Curtis’ Gedanken, auch seiner Thesen zu entziehen.

Die meisten seiner Werke sind zwar Mehrteiler, die man aber auch in einem Zug, quasi als einen Film, ansehen kann, manchen genügt eine Spielfilmlänge, sehr viele von ihnen wurden internationale Erfolge: »Pandoras Box«, »The Power of Nightmares« über die Vorgeschichte des 11. September und des islamischen Fundamentalismus seit den 1950er Jahren sowie ihre Verwandtschaft mit der neokonservativen Bewegung in den USA und natürlich der Vierteiler, der seinen Ruhm begründete:  »The Century of the Self« über die Geschichte der Psychoanalyse und der Propaganda — und über die Parallelen.

Adam Curtis ist ein politischer Filmemacher. Er ist engagiert, zwar unparteiisch und »britisch nüchtern« im Benennen und Präsentieren von Fakten, aber nicht in ihrer Bewertung. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und ist zornig. Curtis greift die Mächtigen an, misstraut den globalen Konzernen und den Finanzinstitutionen. Zugleich ist er offenkundig von den dunklen Seiten der Macht fasziniert. In seinen Filmen gibt es immer wieder überraschende Verbindungen, verborgene Agenden und Pläne, geheime Zirkel, Treffen abseits der Öffentlichkeit. Curtis liebt auch Koinzidenzen und überraschende Gleichzeitigkeit von Gegensätzen.

Vielen anderen Filmema­cher*innen wirft er vor, »dass sie nur das machen, von dem sie glauben, dass es das Publikum hören will und ertragen kann, ähnlich wie alle politischen Parteien mit den Wählern.«

Selbst möchte er keinesfalls nicht als Künstler verstanden werden. »Ich stehe in der besten Tradition des klassischen BBC-Journalismus, meine Filme sind wie Reportagen aus den 1960er oder 1970er-Jahren, die ihrem Publikum das Tor zu einer unbekannten Welt erschließen. Darin mag ein Stück echter Bescheidenheit liegen, auch die bekannte Furcht eines Linken, für einen »bürgerlichen Intellektuellen« gehalten zu werden.

Tatsächlich ist Curtis in vieler Hinsicht eine Ausnahme: Einer den man nicht einfangen kann, der durch seinen internationalen Erfolg die Lizenz zum Experiment, Zeit zur Recherche und die Freiheit zum Außergewöhnlichen hat — und dessen Filme eher billig sind, was diese Freiheit sichert. Zugleich aber dient Curtis einer zunehmend normierten und den Controllern unterworfenen Organisation auch als Feigenblatt.

Einer der bemerkenswertesten Dinge, die man zu Adam Curtis erzählen kann, ist, dass er fast alle seine Filme sehr schnell komplett frei ins Internet stellt. Man kann sie auf seiner eigenen Homepage, über YouTube und auf anderen Plattformen frei abrufen — für ihn ist das eine glasklare Sache: »Die Filme wurden von öffentlichen Geldern für öffentlich-rechtliche Sender produziert, sie gehören also den Bürgern, die sie bezahlt haben, und sie sind als Information und Aufklärung gedacht. In diesem Sinn sind meine Filme Eigentum der Menschen in der ganzen Welt — und ich selbst werde für sie ja gut bezahlt.«

Curtis letzter Film ist selbst für seine Verhältnisse besonders monumental: »Can’t Get You Out of My Head«. In sechs Teilen von denen jeder Teil die klassische Spielfilmlänge von 90 Minuten überschreitet, bietet er eine »Emotionsgeschichte der Moderne« und verbindet dabei disparate Elemente. Ausgangspunkte sind der Aufstieg des Populismus, die Wahl von Donald Trump, die Entscheidung für den Brexit. Hinzu kommt die Unfähigkeit der politischen Lager, den ermüdenden Demokratien weiterhin eine Zukunftsvision zu geben. »Keiner der gegen den Rechtspopulismus ist, hat eine echte Alternative«, heißt es im Film. So entwickelte sich die Serie zu einem Portrait des einstweiligen Scheiterns der Linken. Curtis schlägt den Bogen von der Geschichte der Revolutionen im 18. Jahrhundert zu den 1960er und 70er Jahren mit ihrem Bürgerrechtsbewegungen, dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989, bis in die Gegenwart. Dort stellt sich dann die Frage nach der Zukunft der Demokratie und des westlichen Modells von Wohlfahrtsstaat und sozialpartnerschaftlicher Gesellschaftsordnung.

Zum Blog von Adam Curtis bei der BBC: bbc.co.uk/blogs/adamcurtis

Alle sechs Teile von »I Can’t Get You Out of my Head«  sind auf Youtube zu sehen.