Die drei Fragezeichen und der seltsame Vertrag im Rathaus

Grüne, CDU und Volt wollen in den kommenden fünf Jahren gemeinsam Politik in Köln machen. Was haben die drei vor? Konnten die Grünen ihre Themen durchsetzen? Warum bekommt die CDU dann so viele Posten? Und wer war noch mal Volt?

 

Als Bernd Petelkau auf dem digitalen Parteitag der CDU Anfang März das Wort ergriff, malte der Kölner Parteichef seinen Parteifreunden das Horrorszenario einer rot-rot-grün regierten Stadt an die Wand. Wo diese Parteien am Ruder seien, wolle man den Bau von Einfamilienhäusern verbieten, die Gymnasien abschaffen, und eine autofreie Innenstadt! »Unser Ziel war, derartige Extrempositionen, zu verhindern«, sagte Petelkau.

Das ist der CDU gelungen. Ginge es nach dem Umfang des Bündnisvertrags, dann hätten Grüne, CDU und Volt wirklich Großes zustande gebracht. Mehr als 90 Seiten umfasst das Papier, das die drei Ratsfraktionen im Februar vorgestellt haben. Die Vereinbarung ist damit mehr als doppelt so dick wie der Vertrag, den CDU und Grüne 2016 geschlossen hatten. Hat man sich so viel vorgenommen?

Die Grünen, in Köln seit vielen Jahren an der Macht, haben bei den Kommunalwahlen im September einen historischen Wahlsieg eingefahren: 28,5 Prozent der Stimmen, das ergibt 26 Mandate im Rat. Zusammen mit den Verlierern von SPD und CDU (je 19 Sitze) erreichen sie jeweils die Hälfte aller Stimmen. Wie schon 2016 entschieden sich die Grünen für die CDU als Partnerin. Doch die Rollen von Grünen und CDU haben nun gewechselt, aus Schwarz-Grün wird Grün-Schwarz, dazu ein bisschen Lila. Denn um eine sichere Mehrheit zu haben, holte man sich einen weiteren Wahlsieger dazu: die Europa-Partei Volt, die aus dem Stand und völlig überraschend vier Sitze errang.

Die Grünen erstmals als stärkste Fraktion im Rathaus — was bedeutet das für Klimaschutz, Verkehrswende, aber auch für den Kampf gegen die Wohnungsnot — die drei Themen, die den Wahlkampf prägten?

Ob sich der Wahlsieg der Grünen auch in der Vereinbarung mit CDU und Volt widerspiegelt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Es gibt zwar Passagen, die so oder so ähnlich im Wahlprogramm der Grünen stehen. Aber nur wenige davon benennen konkrete Maßnahmen.

»Natürlich soll mit dem kleineren Bündnispartner auf Augenhöhe kommuniziert werden. Aber das Wahlergebnis machte die Grünen deutlich stärker als den Wahlverlierer CDU. Das wird aber nicht deutlich«, sagt etwa Jörg Frank, langjähriger Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, der seine politische Laufbahn vergangenes Jahr nach mehr als 30 Jahren beendete. Frank bemängelt auch, dass dort, wo Streitpunkte zwischen CDU und Grünen bestehen — Ost-West-Stadtbahn, Großmarkt, sozialer Wohnungsbau, Schutz von Grünflächen — sich nicht die Grünen durchgesetzt hätten, sondern Formelkompromisse notiert seien.

Der 92-seitige Koalitionsvertrag hält die Ziele des neuen Bündnisses in allen Politikfeldern fest, mit Schwerpunkten in Verkehr und Umweltschutz (Grüne), Wirtschaft und Sicherheit (CDU) sowie Digitalisierung (Volt). Aber viele wichtige Themen werden vergleichsweise kurz und unspezifisch abgehandelt, etwa Sozialpolitik oder Wohnen. »Dieser Koalitionsvertrag ist inhaltlich sehr gut geeignet, um CDU-Positionen voranzubringen«, so CDU-Chef Bernd Petelkau auf dem Parteitag Anfang März. »Die Verhandlungen waren auf Augenhöhe, wir haben nicht die Rolle eines Juniorpartners, sondern sind ein gleichberechtigter Partner in diesem Bündnis. Das drückt sich in unserer Beteiligung an der Verwaltungsspitze aus.«

Petelkau spricht damit einen wichtigen Punkt an: Im Bündnisvertrag sind nicht nur Themen und Ziele niedergelegt, sondern auch die Aufteilung der einflussreichen Posten in der Stadtverwaltung, die Besetzung von Dezernatsleitungen. Diese Beigeordneten kommen mit OB Henriette Reker im Stadtvorstand zusammen, dort berät man Strategien, setzt Schwerpunkte, leitet das Handeln der Verwaltung. Der Rat fasst Beschlüsse, aber wie und wann sie umgesetzt werden, liegt in der Macht der Verwaltung.

 

Grüne setzen auf Verjüngung

 

Tatsächlich sind Grüne und CDU mit jeweils vier Posten gleichauf. Die CDU bekommt die Dezernate für Bauen, Kultur sowie ein neues Super-Dezernat für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Digitalisierung, dazu noch die Nachfolge des Stadtdirektors — ein Posten, der als Startrampe für eine künftige OB-Bewerbung gilt. Die Grünen haben das Dezernat der Stadtkämmerin, quasi der Kölner Finanzministerin, dazu die Dezernate für Verkehr, Soziales und Umwelt.

Weshalb teilen sich Wahlsieger und Wahlverlierer die Macht im Rathaus? Sind die Grünen übers Ohr gehauen worden, wie es CDU-Chef Petelkau umschreibt, wenn er von »Verhandlungen auf Augenhöhe« spricht?

Andere, meist ältere Grüne, sehen das so. »Die CDU hat grandios verloren, aber bei den Verhandlungen das Maximum herausgeholt«, sagt etwa Ralf Unna, gesundheitspolitischer Sprecher und seit zehn Jahren im Rat. Als sich bei den Sondierungen mit CDU und Volt abzeichnete, dass die Grünen den wichtigen Stadtdirektorposten sowie das neue Super-Dezernat Wirtschaft und Stadtentwicklung hergeben, hielt Unna eine aufgebrachte Gegenrede auf der Mitgliederversammlung. Die Zustimmung, mit CDU und Volt Verhandlungen aufzunehmen, fiel denkbar knapp aus. »Unbedingt das Verkehrsdezernat haben zu wollen, ist nachvollziehbar«, sagt Unna. Doch sei man der CDU dafür sehr weit entgegengekommen. »Wir haben in Köln keinen Mangel an politischen Beschlüssen, aber ein Umsetzungsdefizit«, sagt Unna. Um mehr zu bewegen, benötige man das richtige Personal an den richtigen Stellen. »Die Parteispitze wird sich daran messen lassen müssen, ob die strategische Entscheidung für Verkehr und Umwelt und gegen den Stadtdirektor richtig war«, sagt Unna. »Wenn wir in fünf Jahren aus Köln ein Fahrradparadies gemacht haben, dann habe ich mich geirrt und werde Abbitte leisten.«

Doch der Einfluss von Altvorderen bei den Grünen hat abgenommen. Knapp zwei Drittel aller grünen Mandatsträger sind frisch in den Rat eingezogen. Erfahrene Grüne wie die Kulturpolitikerin Brigitta von Bülow wollte man nicht mehr zur Fraktionschefin haben und machte sie deshalb zur vierten Bürgermeisterin der Stadt, ein rein repräsentatives Amt. Andere wie der altgediente Umwelt- und Klimaexperte Gerd Brust verloren ihr Ratsmandat wegen eines aussichtslosen Listenplatzes.

Die Verjüngung der Fraktion hat viel mit der Stadtwerke-Affäre zu tun, die vor drei Jahren die Kölner Politik durchrüttelte. Der damalige SPD-Fraktionschef Martin Börschel sollte ohne Ausschreibung einen neu geschaffenen, hoch dotierten Managerposten bei den Stadtwerken übernehmen. So hatte es ein kleiner Kreis aus zwei Arbeitnehmervertretern, CDU-Chef Bernd Petelkau — und dem damaligen grünen Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank ausgeheckt. OB Reker stoppte den Deal, die Grünen waren über den Klüngel entsetzt. Während niemand Petelkaus Führungsposition in der CDU streitig machte und selbst Börschel kürzlich ohne viel Aufhebens wieder in den Vorsitz des Verwaltungsrats der Sparkasse gewählt wurde, ist die grüne Führung über dem Deal zerbrochen. Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank musste zurücktreten, Fraktionschefin Kirsten Jahn wurde nicht wiedergewählt.

An Franks Stelle ist der junge Verkehrspolitiker Lino Hammer getreten, Jahns Posten hat inzwischen Christiane Martin inne, die zuvor in der Bezirksvertretung Ehrenfeld die Grünen anführte. Nach dem furiosen Wahlsieg gingen Hammer und Martin, beide recht frisch in ihren Ämtern, in die Sondierungsgespräche. Auch mit der SPD habe man lange und ernsthaft sondiert, sagt Hammer. Bei den Themen Verkehr und Klimaschutz habe es aber irgendwann gehakt.

 

Harsche Kritik BeiM Thema Wohnen

 

Andere Grüne sagen, dass es bei den Verhandlungen mehr um Sympathie gegangen sei — etwas, das dem Politikverständnis von Jörg Frank, dem ehemaligen Strategen der Fraktion, zuwiderläuft. Das zeige sich auch an der Sprache. In der Grünen-Delegation ist viel von »Vertrauen« zum politischen Partner die Rede. Jörg Frank hingegen spricht lieber von »Verlässlichkeit« und findet auch nichts anstößig daran, von »demokratisch verliehener Macht« zu reden. Es gehe schließlich nicht darum, eine WG zu gründen, sondern grüne Vorhaben durchzusetzen. Dieser Unterschied zeige sich auch in den »unverbindlichen Formulierungen« des Kooperationspapiers. »Da ist vieles Marketing-Sprech, das mag für einen Wahlkampf-Flyer passen, gehört aber nicht in einen Bündnisvertrag.« Dort müsse es darum gehen, präzise Vereinbarungen zu treffen. Außerdem gebe es im Vertrag zwar viele Vorhaben, aber es fehlten die »strategische Priorisierung« und Angaben, wie die Vorhaben trotz Corona-Lasten aus dem Stadthaushalt in den nächsten Jahren finanziert werden sollen.

Harsche Kritik gibt es innerhalb der Grünen vor allem beim Thema Wohnen. Das Papier sei nicht geeignet, die Wohnungskrise zu entschärfen, schimpften mehrere Grüne auf der Mitgliederversammlung Anfang März. Wo sei die Abkehr vom Einfamilienhaus, die soziale Erhaltungssatzung für die gesamte Innenstadt? Die neue Fraktionschefin Christiane Martin hält dagegen: »Es ist doch eine Leistung, dass wir mit der CDU das Erbbaurecht als grundsätzliches Vergabeinstrument verabreden und nicht mehr als Ausnahme!« Zudem sollen städtische Grundstücke »bevorzugt« an städtische Wohnungsgesellschaften oder Genossenschaften vergeben werden und ein Konzept zum »preisgedämpften Wohnungsbau« erarbeitet werden.

Eben diese Akzentsetzung auf den preisgedämpften Wohnungsbau statt auf verstärkten Sozialwohnungsbau erregt die Gemüter, weil hier die Handschrift der CDU allzu deutlich wird. Dass man sich auch »für deutlich mehr öffentlich geförderte Wohnungen« einsetze, bleibe bloß ein Lippenbekenntnis. Im Wahlprogramm der Grünen stand sogar, dass auf städtischen Grundstücken mindestens 70 Prozent Sozialwohnungen entstehen sollen — im Bündnisvertrag findet sich dazu nichts.

Dass die Grünen beim Thema Wohnen so zögerlich sind, hat einen Grund. Wegen des Klimaschutzes sollen möglichst keine neuen Flächen mehr versiegelt oder aber an anderer Stelle durch Entsiegelungen ausgeglichen werden. Die CDU lehnt das strikt ab. Und überhaupt: Wie soll das in einer wachsenden Stadt gehen? Die Stadt plant gerade den Bau eines neuen Stadtteils, Kreuzfeld, im Kölner Norden. »Wenn wir Kreuzfeld bauen wollen, werden da natürlich Flächen versiegelt. Das können wir sicher nicht ausschließlich innerhalb Kölns kompensieren, da müssen wir in die Region gehen. Nur so ist eine Netto-Null-Versiegelung zu schaffen«, sagt Fraktionschefin Christiane Martin. Der Naturschutzbund BUND kritisierte die Grünen prompt dafür, dass sie der CDU beim Thema Flächenverbrauch zu weit entgegengekommen sei.

In anderen Bereichen finden die Grünen leichter ihre Linie. »Verkehr und Klimaschutz sind die beiden Mega-Themen, für die wir gewählt worden sind«, glaubt Hammer. In beiden Bereichen hat Köln fraglos Nachholbedarf. Bislang beschränkte sich die Strategie des Verkehrsdezernats weitgehend darauf, ein paar Radschutzstreifen aufzupinseln, wobei für jede neue Markierung eigens ein Pressetermin einberufen wurde. Von einer Mobilitätswende ist Köln weit entfernt. »Mir ist das Ziel im Bündnisvertrag total wichtig, den Gesamtanteil des Autos am Verkehr nicht nur auf ein Drittel, sondern auf ein Viertel zu reduzieren«, sagt Lino Hammer. In der Innenstadt sollen sogar nur noch zehn Prozent der Menschen mit dem Auto unterwegs sein, hat sich das Bündnis vorgenommen. »Und ich freu mich auf den Wasserbus auf dem Rhein!«

 

CDU bekommt OB-Startrampe

 

Weil Köln aber wächst, nimmt auch die Mobilität insgesamt zu. Die Zahl der zugelassenen PKW steigt seit Jahren, außerdem wächst die Zahl der Pendler, die täglich zur Arbeit in die Stadt hereinfahren. Diese wolle man künftig stärker an den Stadtgrenzen abfangen und mit Bus und Bahn an ihren Arbeitsplatz weiterleiten, so Hammer. »Wir müssen auch den ÖPNV stark ausbauen, anders ist das nicht zu schaffen.« Im Bündnisvertrag wird auch der Bau von Werkswohnungen erwähnt. »Wenn zumindest die städtischen Angestellten nicht mehr reinpendeln müssten, wäre ja auch schon etwas gewonnen«, so Hammer.

Für Mobilität und Verkehr ist in der Stadtverwaltung bislang Andrea Blome (CDU) zuständig. Weil die Grünen nun unbedingt den Posten für sich haben wollen — und zudem ein neues Klimadezernat unter grüner Führung einführen —, muss für Blome eine andere Verwendung gefunden werden. Ihr steht womöglich der Karrieresprung zur Stadtdirektorin bevor. Oder aber die CDU setzt ihren künftigen OB-Kandidaten auf den Posten, der allgemein als Sprungbrett dafür gilt — so hat es der bisherige Kölner Stadtdirektor Keller von der CDU gemacht, der im Düsseldorfer OB-Wahlkampf siegte. Das grüne Desinteresse an dem Posten erstaunt viele.

 

Ideenlosigkeit in der Sozialpolitik

 

»Klima und Verkehr war uns so wichtig, dass wir den Stadtdirektorposten dafür geopfert haben«, sagt Fraktionschefin Christiane Martin. Man könne sich darüber streiten, wie viel welcher Posten wert sei. Dann schiebt sie hinterher: »Hätten wir den Stadtdirektorposten besetzt, hätte es geheißen: Euch geht’s doch nur um Macht!« Ein Vorwurf den altgediente Grüne wie Jörg Frank mit einem Schulterzucken quittiert hätten. Warum soll es nicht um Macht gehen, wenn man Ziele durchsetzen will? Christiane Martin sagt, man habe sich stattdessen auch bei der Personalwahl für die Inhalte entschieden: Verkehr, Umwelt und Klima eben.

Auch Wirtschaft und Stadtentwicklung sind allerdings entscheidende Bereiche, um den Klimaschutz voranzubringen. Sie werden, wie bisher auch, unter der Ägide der CDU stehen. Hammer und Martin sehen darin kein Problem. »Auch ein CDU-Dezernent ist an Ratsbeschlüsse gebunden. Und mit Sabine Pakulat leitet außerdem eine Grüne den Stadtentwicklungsausschuss«, sagt Hammer. Darüber hinaus habe man darauf bestanden, die Liegenschaften dem neuen Klimadezernat zugeordnet. »Bodenpolitik und Flächenverbrauch sind ja entscheidend für den Klimaschutz«, so Hammer.

Eine heikle Personalie ist der Umgang der Grünen mit dem bisherigen Dezernenten für Umwelt und Soziales, Harald Rau. Er steht den Grünen nahe und eckte immer wieder an, weil er im Stadtvorstand den Klimaschutz voranbringen wollte. Kurz nach Amtsantritt dachte er laut über eine City-Maut nach und wurde von OB Reker zurückgepfiffen. Rau war maßgeblich an der Gründung des Klimarats beteiligt, genießt hohes Ansehen unter Aktivisten. Nun nehmen ihm die Grünen den Bereich Umwelt weg, um jemand anderen dafür zu installieren. Christiane Martin erklärt, der Verbund von »Soziales und Umwelt« sei nicht mehr zeitgemäß. »Warum soll das zusammengehören? Für mich klingt das nach einer Zeit, als das unter Soziales und Gedöns fiel.« Es sei um eine »sinnvolle Umsortierung« gegangen und nicht darum, Harald Raus Zuständigkeitsbereich zu beschneiden. Allerdings nimmt man Rau nun ausgerechnet den Bereich, mit dem er sich profiliert hat. Manche Grünen hätten sich Rau im vergangenen Jahr auch gut als OB-Kandidaten vorstellen können — anstatt Reker noch einmal zu unterstützen.

Im Sozialbereich aber, den Rau weiterführen soll, wirkt der Bündnisvertrag ideenlos. Ansätze, wie man Armut oder das steigende Problem der Obdachlosigkeit bekämpfen könnte, entschiedenes Eintreten für die Rechte Geflüchteter oder benachteiligter Kinder, dazu findet man entweder nichts oder schöngefärbte Beschreibungen des Status Quo.

 

Vom Neuling Volt hängt vieles ab

 

Während bei den Grünen viel im Umbruch ist, setzt die Kölner CDU auf Beständigkeit — und die heißt Bernd Petelkau. Kurz nach dem desaströsen Ausgang der Kommunalwahl bestätigten die Christdemokraten Petelkau als Fraktionsvorsitzenden. Der Landtagsabgeordnete aus Lindenthal ist außerdem seit fast zehn Jahren Kölner Parteichef. Vor drei Jahren saß er erfolgreich die Stadtwerke-Affäre aus, jüngst kehrte er sogar als Aufsichtsvorsitzender der Rheinenergie zurück. In seinem Schatten hat sich Niklas Kienitz profiliert, auch er wurde als Geschäftsführer der Fraktion bestätigt, wird aber auch als neuer Dezernent für Wirtschaft und Stadtentwicklung gehandelt. Von den 19 Ratsmitgliedern der CDU gehörten 13 schon dem alten Stadtrat an. Für Niklas Kienitz ein Grund, warum Grüne und CDU erneut zusammenfanden: »Bei den Grünen hat es einige Wechsel gegeben, aber man kannte sich.« Auch die Oberbürgermeisterin, die beide Parteien unterstützt hatten, habe eine Rolle gespielt. Henriette Reker hatte sich noch am Wahlabend für Grün-Schwarz ausgesprochen.

 Kienitz ist zufrieden mit dem Bündnisvertrag, vor allem, was die CDU-Kernthemen Sicherheit, Wirtschaft und Stadtentwicklung angeht: Masterpläne für Sauberkeit sowie Sicherheit, eine Mittelstandsvereinbarung mit der Industrie- und Handelskammer sowie eine Vereinbarung mit der Handwerkskammer, mehr Stadtbeleuchtung, um Angsträume zu reduzieren, ein Höhenkonzept für den Bau von Hochhäusern, die Digitalisierung mit Open Data als Innovationstreiber für Start-ups.

Auf dem Parteitag der CDU nahm die Basis die Bündnisvereinbarung mit knapp 72 Prozent an. Nicht allen schmeckt die Nähe zu den Grünen. Viele hätten gern einen eigenen CDU-Kandidaten im OB-Wahlkampf gesehen und fürchten, dass in einer Fortsetzung der Partnerschaft mit den Grünen das Parteiprofil unscharf wird. »Natürlich gibt es Punkte, die wir unserer Basis erklären mussten«, sagt Kienitz. Etwa die Ankündigung, das Anwohnerparken künftig an das Niveau europäischer Großstädte anzupassen, also deutlich teurer zu machen. Bei einigen Themen geht die CDU auch mit einem klaren Dissens mit dem Partner in die Ratsperiode: Die CDU will einen U-Bahn-Tunnel auf der Ost-West-Achse bauen, die Grünen die Strecke nur oberirdisch ausbauen. Schon in der vergangenen Ratsperiode hätte das beinahe zum Bruch der Koalition geführt. Die CDU will eine neue Autobahnbrücke im Kölner Süden, die Grünen nicht. Die Grünen wiederum wollen ein Nachtflugverbot am Flughafen Köln-Bonn, was die CDU ablehnt. Die wohl größte Errungenschaft der CDU in den Verhandlungen sind aber die Leitungen der vier Dezernate. Seit 2004, als die Christdemokraten noch gemeinsam mit der FDP regierten, war die CDU nicht mehr so stark in der Verwaltungsspitze vertreten.

Das Zustandekommen des Bündnisses geht auch auf Volt zurück. Die Neuen im Stadtrat sind pragmatisch. Man hat keine Bedenken, Kompromisse zu schließen, wie zuweilen die Klima Freunde oder die Wählergruppe GUT, die jeweils mit zwei Mandaten im Rat vertreten sind und eigentlich grüne Werte vertreten. Dass man ausgerechnet GUT nicht mehr zum Partner haben wollte, obwohl sich deren Vertreter bislang zur Unterstützung des schwarz-grünen Bündnisses durchrangen und sich stets als verlässlich erwiesen, während Volt völlig unbekannt war — das hat manche bei den Grünen erstaunt.

 »Im Rat wird mit sehr harten Bandagen gekämpft«, sagt Manuel Jeschka von der Volt-Fraktion. Seinen Job als Bodengutachter hat er gekündigt, um sich komplett der Ratsarbeit zu widmen. Jeschka ist in Würselen, im deutsch-niederländischen Grenzgebiet Euregio, aufgewachsen. Der Europa-Gedanke sei entscheidend für ihn, sagt er. Zu Volt ist er über Freunde gekommen, die dort aktiv waren. Europa und Freunde — das war auch für Isabella Venturini der Einstieg. Vorher hatte die Mitarbeiterin der Deutschen Welle schon bei den Grünen, der Linken und der SPD hereingeschaut, »aber da hat immer etwas gefehlt«. Bei einem Volt-Festival in Köln hat dann alles gestimmt: Plakate, Workshops, Yoga und «viele junge Leute«.

 

Pragmatismus bei Volt

 

Aber wenn die Probleme der EU und der europaweite Aufstieg des Rechtspopulismus der Grund waren, sich politisch zu engagieren, wie ist es dann, Kommunalpolitik zu machen? »Ich hatte nicht erwartet, wie komplex es ist«, sagt Isabella Venturini.  »Uns war nicht klar, wie wichtig die Dezernate sind. Eigentlich sollten sie ja die Beschlüsse des Rats und damit den Bürgerwillen umsetzen, aber dort sitzen auch Persönlichkeiten mit eigenen Zielen.« Und Manuel Jeschka ergänzt: »Es ist auch schwierig, dass die Parteien und die Verwaltung sich oft nahe stehen. Das sollte nicht so sein.« Im Wahlkampf hatte Volt mit den Vorzügen anderer Städte geworben: Sozialer Wohnungsbau wie in Wien, Fahrradfahren wie in Kopenhagen. Die Leitidee von Volt ist »Best Practice«: Was sich in anderen Städten bewährt, kann Vorbild für Köln sein.

Volt bezeichnet sich als Bürgerbewegung, und es ist vor allem eine Bewegung des Bürgertums. Die drei Gründungsmitglieder aus Deutschland, Italien und Frankreich stammen aus Unternehmer- oder Bankiersfamilien. Volt beschreibt sich als »pragmatisch« und »unideologisch«, dazu passen die zwei zentralen Versprechen: Lokalpolitik soll den guten Praktiken anderer Städte folgen, und sie soll das auf der Basis von Daten tun, also evidenzbasiert. Es sind Prinzipien, die Volt-Mitglieder an der Uni oder im Arbeitsleben kennengelernt haben.

»Das ist der Grund, warum wir alle in die Politik gegangen sind«, sagt ein Mitglied Anfang März, als Volt das Ratsbündnis mit Grünen und CDU bestätigt. Die Stimmung ist gut, viele tragen T-Shirts mit dem Markenzeichen der Partei: Lilafarbene Europa-Sterne auf weißem Grund — oder andersherum. Die größte Sorge: dass das Profil von Volt durch das Bündnis verwässert und die Partei bei der nächsten Wahl abgestraft werde. Dem stehen die Chancen gegenüber, auch als Neulinge im Rat über die Entwicklung der Stadt zu entscheiden. »Wir haben echt Bock darauf, das mit euch als Team zu machen«, sagt Fraktionsvorsitzende Jennifer Glashagen und nennt das Bündnis eine »riesige Challenge«. Jemand will wissen, wie die Verhandlungen liefen. »Wir haben uns ernstgenommen gefühlt«, sagt Glashagen. Aber manchmal sei der Ton »großväterlich« geworden und Volt habe auf den Tisch hauen müssen. »Aber daran müssen sich die Leute gewöhnen.« Nach vier Stunden Video-Call stimmen 85 Prozent für das Ratsbündnis. Es ist das eindeutigste Ergebnis der drei Bündnispartner.

 

Volt setzt auf Digitalisierung

 

Doch auch Volt-Ratsmitglied Manuel Jeschka findet die Vereinbarung oft vage: »Wir hätten gerne mehr Ziele gehabt, deren Erreichen man auch messen kann. Das ist ja der Kern unserer Politik.« Wo erkennt man Volt in diesem Programm? »Ganz klar, bei der Digitalisierung«, sagt Jeschka. Die anderen Bündnispartner bestätigen das: Der Nahverkehr soll durch Datenauswertung effizienter werden, digitale Bürgerservices sollen Routinen wie das Beantragen eines Ausweises einfacher machen. Ein besonderes Augenmerk legt Volt auf die Daten, die die Stadtverwaltung schon heute erzeugt. Sie sollen in »Data Lakes« gesammelt, anonymisiert und frei zur Verfügung gestellt werden. »Die Verwaltung ist nicht in der Lage, diese Daten alleine auszuwerten, weil ihr dazu die People Power fehlt«, sagt Jeschka. »Das könnte ein Weg sein, interessierte Startups anzulocken.«  Voraussetzung für all das sei, die Digitalisierung der Verwaltung voranzutreiben. »Wir haben dafür einen Chief Digital Officer vorgesehen«, sagt Jeschka. An den Erfolgen in der Digitalisierung will Volt sich messen lassen.

Der Pragmatismus von Volt zeigt sich auch im Verhältnis zur SPD. »Wir sind mehr als interessiert, mit der SPD gemeinsame Lösungen zu suchen«, sagt Isabella Venturini mit Blick auf die Sozialdemokraten, deren Oppositionsarbeit sich in der vergangenen Ratsperiode vor allem durch Trotz auszeichnete. Beim Video-Stammtisch, den der ehemalige Kölner SPD-Chef Jochen Ott Anfang März mit dem Ortsverein Nippes veranstaltete, lässt sich erahnen, was damit gemeint ist. Man ist per Du, die SPD-Mitglieder stellen freundlich-kritische Nachfragen zu Verkehr, Schulbau und zu den Stadtwerken, einem SPD-Erbhof. Die Volt-Mitglieder antworten ebenso freundlich, aber bestimmt, wenn sie anderer Auffassung sind. »Wir hätten uns auch Rot-Grün-Lila vorstellen können«, sagt Volt-Fraktionschefin Jennifer Glashagen an einer Stelle. Zum Schluss fordert sie »kein Fingerpointing, mehr konstruktive Gespräche« für die Kölner Lokalpolitik. Jochen Ott geht auf die Anspielung nicht ein, sondern kontert mit einem Kompliment: »Vielleicht seid ihr ja die Wachmacher von Schwarz-Grün.«

Die Grünen aber, scheint es, machen sich gerade schon selbst wach. Nur 76 Prozent stimmten dem Bündnis letztlich zu. Vor fünf Jahren votierten hingegen 87 Prozent für den Vertrag mit der CDU. »Jetzt haben die Grünen auch in Köln vor allem durch die Klimaschutz-Welle einen historischen Wahlerfolg und lassen sich dann die Butter vom Brot nehmen«, resümiert Jörg Frank, der ehemalige Fraktionsstratege der Grünen. Der Wahlsieger geht mit einem konservativen und einem zumindest bürgerlichen Partner in die nächsten fünf Jahre. Hätten die Grünen auf ein Bündnis mit den in der Umweltpolitik erheblich progressiveren Gruppen wie den Klima Freunden und dem bisherigen Partner GUT gedrängt, dann wäre der CDU-Horror vom verbotenen Eigenheim vielleicht auch nicht Realität geworden. Wahrscheinlich würde ein solches Bündnis aber eher die Erwartungen der Wählerinnen und Wähler erfüllen, die im September so häufig ihr Kreuzchen bei Grün gemacht haben.