Surreale Querschläger: Das Gelbe vom Ei

Elementare Bilder

Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zeigen ihr vielfältiges Programm online

Mit sechs Wettbewerben, Themenreihen, Schwerpunkten, Talkformaten ist auch ein klassischer »Off­line«-Jahrgang des ältesten Kurzfilmfestivals der Welt schon gut gerüstet. Nun sind noch zwei Online-Wettbewerbe hinzugekommen. Fragen neuer Medien und Formate sowie die Wahl aktueller Themen gehören seit jeher zum Profil der Internationalen Kurz­filmtage Oberhausen. Die Reihe »Kann und muss man jetzt Filme machen?« wird weitergeführt, die Rückschau auf Dieter Wieland ehrt einen Filmemacher, der sich früh mit Fragen der Nachhaltigkeit und Ökologie auseinandersetzte. Die Reihe »Solidarität als Störung« blickt auf filmische und soziale Kollektive. Die letztjährige Streaming-Dauer von 48 Stunden wurde auf die gesamte Festivallaufzeit vom 1. bis 10. Mai verlängert.

Köln

Schon die Beiträge mit Köln-Bezug — aus dem deutschen und NRW-Wettbewerb — sind hinsichtlich der Genres, Inhalte, Produktionsbedingungen und Handlungsorte denkbar divers. Die in Köln und Rotterdam lebende KHM-Absolventin Celine Berger durchstreift in »Cutting Edge« leerstehende Büroräume, die Kamera gleitet dicht an Gummibäumen und Monitorkabeln entlang und empor — visuelles und akustisches Design sind hypnotisierend und prägnant. Das Thema — die Architektur von Coworking-Spaces und Startup-Unternehmen — ist aber ohne Katalogtext oder Kenntnis der Künstlerin-Vita nicht lesbar. Simon Rupiepers »Im gelben Licht«, ebenfalls KHM, ist ähnlich kunstnah und installativ. Hier umkreist die schwebende Kamera eine Straßenlaterne, als habe sie sich in der legendären minutenlangen Schlusssequenz von Antonionis »L’Eclisse« (1962) verirrt.

Ausschnitthaft, deutungsoffen und ohne Paratexte sowie Referenzfilme verständlich ist Maria Bartolos KHM-Produktion »Meek«. Im Portugal der 2000er langweilt sich eine 11jährige bei den homophob-spießigen Gesprächen ihrer Eltern und freundet sich mit ihrem angereisten Onkel an, der irgendwie anders ist. Etwas liegt in der süßen Sommerluft — persönliches Heranreifen, queeres Erwachen, ein gesellschaftlicher Wandel der Geschlechterrollen. Im Umfeld der notorischen Regiegruppe der »Kölner Schule« wirkt Rainer Knepperges, der eine hintergründige Narretei mit filmischen Oberflächen treibt. Der Lockdown lässt ja ausgiebig Zeit, um in Archiven zu stöbern und »Tricks for Transformation« montiert Fundstücke des »Pathé News Archive« (un)sinnstiftend neu. Doch statt Weltkriegen, Schahbesuch oder Tornadototen interessieren Knepperges die Themenfilme »False Beards« (1962), »Hair Painters« (1960), »Egg Massage« (1962), »Miniature Town« (1960). Da gehen Hausfrauen — durch Pose, Mode und Mimik eindeutig den Eigenheim-Idyllen der 1960er zugehörig — brav zum Frisör. Aber spätestens, wenn das erste Eigelb über den nackten Rücken kullert, gibt es surreale Querschläger. Danach werden biederen Hausvätern Glatzen schwarz lackiert, Erdbeermasken aufgelegt und es wird mühsam auf Miniatur-Fahrrädern geradelt. Impressionen einer biederen Zeit — angeordnet mal als Diptychon, mal dreifach gesplittet — werden durch zwanghaft serielle Anordnung in Richtung Irrwitz verschoben.

Libanon

Der prüfende Blick ins Bild-Archiv beschäftigt das libanesische Kino seit jeher. Das propagandistische Dauerfeuer der verschiedenen konfessionellen Parteien und ihrer korrupten Funktionäre haben der Zivilgesellschaft längst den Glauben in kohärente mediale und Geschichts-Erzählungen geraubt, das Kino betreibt permanente Dekonstruktion. In Oberhausen sind die international bekannten Langfilmer Ghassan Salhab und Jocelyne Saab vertreten, aber auch die Kürzestform von einigen Sekunden genügt, hinter Bilder zu schauen — etwa bei »Prologue« von Hassan Julien Chehouri. 2019 schwenkt er mit dem Handy vom Balkon kurz über den Hafen — nix los. Der erklärende Text ist nachgestellt: am 4. August 2020 explodieren an eben diesen Kais 2700 Tonnen gelagertes Ammoniumnitrat — ein weiteres Trauma für eine Nation, die verzweifelt gegen ihren Zerfall ankämpft. Die Zerlegung eines Films in seine Elemente immerhin kann auch vergnüglich sein — auch abseits jeder Deutung. Was Knepperges mit British Pathé anstellt, treibt Rania Stephane in »Threshold« mit »The Master of Time«, einem trashigen Spätwerk des ägyptischen Großmeisters Kamal el-Sheikh. Aus der Science-Fiction von 1987 exzerpiert sie Szenen des Öffnens und Schließens von Türen, Toren und Pforten — die Handlung und Schauspieler*innen werden auf Akte des Hinauswerfens, Hereinbittens, Hinterherlaufens, Einsperrens und Rüttelns reduziert.

Baloji

Von politischer Relevanz, gesellschaftlicher Aktualität, ungehemmter Kreativität und Intelligenz zeugt das Oeuvre von Baloji, dem ein eigener Fokus gewidmet ist. Der digital native Tausendsassa ist zwischen seinen Heimaten Belgien und Kongo als Musiker, Komponist, Designer, Choreograph, V-Jay und Fotograf crossmedial unterwegs. Die Fake-Talkshow »Kaniama« ist eine Satire auf die Verquickung von TV-Unterhaltung und Polit-Propaganda des Staatsfernsehens in einem durchschnittlichen afrikanischen Land. »Never Look at the Sun« hinterfragt die verbreitete Praxis des Skin-Bleaching und feiert Blackness als den Effekt einer astronomischen Reise von Photonen aus dem Sonneninneren. Balojis vor bunten Straßenszenen und knackigen Choreografien überbordende Musik-Videos spielen afrofuturistische Bezüge ebenso an wie sie Raum lassen für Glanz und Elend der Gegenwart. »Zombies« karikiert die allgegenwärtige Smartphone- und Selfie-Sucht und unternimmt einen wilden Streifzug durch Frisörsalons, Nachtclubs, Politparaden. Ein mitreißender Clip, eine Aufforderung zum Tanz.

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