Schreiben mit postkolonialer Brille: Jo Güstin, Foto: Hugo Comte

Der Text als Anfang

Die Reihe »Stimmen Afrikas« zeigt das Übersetzen als Dialog

Übersetzen ist undankbar. Nur die wenigsten Leser*innen nehmen die Leistung wahr, die in dieser Arbeit liegt. Und wenn doch mal eine Übersetzung für Aufmerksamkeit sorgt, dann ist sie oft mit einem Skandal verbunden, wie im Fall von Amanda Gorman. Die Schwarze US-Lyrikerin sollte in den Niederlanden von einer bekannten weißen Dichterin übersetzt werden. Die allerdings trat zurück, nachdem eine Schwarze Niederländerin ihre Wahl als »vertane Chance« bezeichnete. Der Fall wurde rauf und runter debattiert, meist mit der unsinnigen Frage »Darf der/die dieses Gedicht übersetzen?«. Nicht gefragt wurde: Was bedeutet »Übersetzen« überhaupt? Wie überträgt man Worte und die damit verbundenen Empfindungen von einer Sprache in die andere? Diese Frage stellt das Festival »Gegen das Vergessen — Blick in die Zukunft« der Reihe »Stimmen Afrikas«.

Angehende Übersetzer*innen der Uni Düsseldorf haben Geschichten afrikanischer Autor*innen ins Deutsche übertragen und stellen ihre Übersetzung nun in deren digitaler Anwesenheit vor. Im Mai ist die kamerunische Autorin Jo Güstin, die in Kanada lebt, zu Gast.

In ihrer Kurzgeschichte »Lisa fucking Müller« erzählt sie von zwei weißen Schwestern, die eine gemeinsame Erinnerung verbindet. Sandra hatte ihre Schwester Alex im Jugendalter beim Sex mit Lisa überrascht. Sie rastete aus und zerstörte damit die Beziehung der beiden jungen Frauen. Heute verbindet die beiden Schwestern eine Hassliebe: Alex sitzt im Rollstuhl, ist wohlhabend und attraktiv, während ihre Schwester von ihr abhängig ist, sich aber dennoch überlegen fühlt. Als nach vielen Jahren ein Wiedersehen zwischen Lisa und Alex bevorsteht, brechen die Rivalitäten der Schwestern wieder aus.

Dann kommt auch noch eine Stimme im Futur ins Spiel, die die temporäre Linearität der Ge­schichte in Frage stellt.

Geschrieben ist »Lisa fucking Müller« aus einer feministisch-postkolonialen Perspektive. Wie sich dieser Kontext in die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht Deutschland übersetzen lässt, ist dabei nur eine der Fragen, auf die »Gegen das Vergessen — Blick in die Zukunft« eine Antwort sucht. Die Übersetzung ist hierbei jedoch nicht das Ende, sondern der Anfang des Dialogs.

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