Jede Menge Galgenhumor: Oliver Minck unterwegs in den eigenen Untiefen | Foto: Haik Buechsenschuss

Dunkle Süße

In seiner Musik singt Oliver Minck gegen Verbitterung und Tragik an

Oliver Minck ist als Autor Chronist der Kölner Indie-Szenen zwischen Folk und Post-Punk — und mit seinen Bands selbst seit zwanzig Jahren ein Aktivposten. Jetzt hat er mit »Ein­same Inseln« sein erstes Soloalbum veröffentlicht. Zeit, den Mann zu fragen, der sonst die Fragen stellt.


Killt Corona die Indie-Szene?

Es trägt gewiss dazu bei. Gerade die Indie-Szene lebt von einem Austausch, der nur in der persönlichen Begegnung möglich ist. Und wer seine Zielgruppe nur noch über das Internet erreichen kann, ist heutzutage angewiesen auf Social Media. Ohne bezahlte Werbung gibt es dort aber keine Reichweite. Dafür muss wiederum eine Menge Geld in die Hand genommen werden — das kön­nen eigentlich nur die großen Player.

Du bist für die Stadtrevue seit fast 20 Jahren Chronist der Kölner Indie-Szenen. Bei deinen Recherchen bin ich der Außenstehende, deshalb darf ich mir die Frage erlauben, die du vielleicht als ketzerisch empfindest: Warum hat es trotz all der tollen Indie-Acts in Köln nie die kritische Masse gegeben, die dafür gesorgt hätte, überregional von einer Kölner Schule zu sprechen?

Eine Schule würde ja eine gemeinsame Philosophie oder zumindest Ästhetik voraussetzen. Die ist in Köln abseits von Karneval aber nicht vorhanden, wenn man mal Techno ausklammert. Man respektiert sich, tauscht sich auch aus, kooperiert, aber jeder macht halt irgendwie sein eigenes Ding. Mit der Verlagerung der Popkultur ins Netz haben sich regionale Schulen wahrscheinlich ohnehin langfristig erledigt.

Mit Wolke hast du dich 2005 —ge­meinsam mit deinem musikalischen Partner Benedikt Filleböck — außerhalb des Zeitgeistes gestellt, der natürlich auch Köln voll erwischt hatte: nervöser, post-punkiger, leicht angeekelter, elektroider Rock war angesagt. Wolke hat dagegen sehr zurückgenommene, »private« Musik gespielt. Die Sonne, dein nächstes zentrales Projekt, setzte plötzlich auf Opulenz, detailverliebte Arrangements, Virtuosität, komplexes Songwriting — und das in einer Zeit, als wieder schlichtes Songwriting und klassische Folk-Schemata angesagt waren. Ist dir die Abgrenzung vom Zeitgeist wichtig?

Um eine bewusste Abgrenzung geht es mir nicht, den Zeitgeist finde ich als Konsument und Journalist interessant, er hat für mein eigenes Schaffen aber wenig Relevanz. Ich wollte eigentlich immer nur die Musik machen, die mir persönlich noch fehlt. Der Unterschied zwischen Wolke und Die Sonne lag für mich auch weniger im Songwriting als im Arrangement, den Farben, mit denen man eine Skizze ausmalt. Das war bei Wolke eben auf wenige, zurückhaltendere Elemente reduziert — man sollte hören, dass es nur zwei Personen sind —, und bei Die Sonne war es das Besteck einer Rockband mit fünf unterschiedlichen Leuten, die sich im Sound eingebracht haben.

Mit »Einsame Inseln« kehrst du als Solist zurück zur »kleinen Form«, verzichtest aber dennoch nicht auf, sagen wir: vollentwickelte Songs. Ist das Album die Synthese von Wolke und Sonne?

Dagegen spricht, dass mit Benes Klavier eine der entscheidenden Wolke-Komponen­ten fehlt. Dafür spricht, dass mir Boris Rogowski, der bei Die Sonne Gitarre gespielt hat, bei der Produktion geholfen hat und auch großen Einfluss auf die Klangästhetik hatte. Ich habe das alles zuhause im stillen Kämmerlein vorproduziert und dann haben wir es gemeinsam aufgepimpt. Es sind mehr oder weniger elektronisch arrangierte Indiepop- und Folksongs, produziert von Menschen mit Rockband-Hintergrund.

Ich frage in Interviews eigentlich nie nach dem Artwork, es ist ja nicht die Sache selbst. Du bringst aber auf dem Cover und im Booklet eine Reihe von — man kann das so sagen: Gemäl­den von Thomas Wenzler-Horn. Die stehen auch nicht in einer 1:1-Beziehung zu den Songs. Geht es dir um den »totalen Genuss«, meint: die Leute sollen nicht nur die Musik hören, sondern auch schauen und über die Beziehung von Bild, Musik und Text grübeln?

Thomas Wenzler-­Horn, der — kurz nachdem er die Bilder fertiggestellt hatte — tragischerweise nach langer Krankheit verstorben ist, hat die Bilder schon speziell für die jeweiligen Songs gemalt oder hat sich von ihnen inspirieren lassen. Ich kannte ihn schon länger, bin auf seine Kunst aber erst durch seinen Instagram-Account aufmerksam geworden, auf dem er regelmäßig auf dem Tablet erstelle Bilder postete, mit denen er seine Krankheit verarbeitete. Mich faszinierte die Mischung aus poppig-bunter Bildsprache und schonungsloser Motivwahl. Seine Frau Julia hat für das Artwork die Bilder grafisch aufbereitet. Für mich ver­schmel­zen in den Bildern die Motive meiner Songs mit der durch die Krankheit gefärbten Weltsicht von Thomas. Das geht schon an die ­Nieren, ist aber auch sehr stark.

Sehe ich das richtig, und Wenzler-Horn hat dich für das Künstlerporträt mit Veilchen im Gesicht gemalt?

Ja, er hatte das Motiv zunächst auch für das Cover vorgeschlagen. Mir persönlich war diese Dystopie meiner selbst aber zu heftig, um ihr permanent ins Auge blicken zu wollen. In der Serie dabei haben wollte ich es aber unbedingt, deshalb ziert es jetzt die Vorderseite des CD-Booklets.

In deinen Texten führst du die Hörer nah an unsere Zeit, es ist vielleicht sogar offensichtlich, die Texte auf 20/21 beziehen zu können. Aber den »Smoking Gun«-­Beweis, bringst du nicht. Ich vermute, dass du ihn ganz bewusst nicht bringst, und es offen­lässt, ob die Texte von unserer Zeit sprechen oder doch nur innere Bilder aufrufen.

Die Songs sind im Lau­fe der letzten drei Jahre entstanden, ich würde sagen, das lediglich zwei von ihnen im Verdacht stehen könnten, vom Leben in der Coro­na-Krise beeinflusst zu sein. Ich musste deshalb nichts verschleiern oder im Vagen halten. Vielleicht sind die Themen, die mich ohnehin umtreiben — Entfremdung, Sehnsucht, Verzweiflung, das Gefühl, irgendwie in der falschen Welt zu leben — derzeit einfach gesamtgesellschaftlich stärker im Trend.

Du schilderst in deinen Texten viele persönliche Zustände. Sehnsucht nach Kontakten, ein bisschen Eskapismus, Kopfschütteln über die Zeit­läufte — alles Momente, die wir an uns selbst entdecken und die erst mal keine gesellschaftlichen Konsequenzen haben. Aber wenn du singst: »Ich werde mich niemals ändern« und im Song trotzig darauf bestehst, machst du etwas öffentlich, und Öffentlich-machen ist der erste Schritt zur Politisierung. Ist das Private wirklich politisch? ­­

Es stimmt: Das Private kann politisch sein, wenn man es öffentlich macht und somit ein Statement setzt. Das angesprochene Lied ist in meinen Augen ein klassischer Selbst­­ermäch­tigungssong. Ein »My Way« für Loser. Du machst etwas, mit dem du ständig auf die Nase fällst, dein Selbstbild korreliert nicht mit der Außenwahrnehmung, dennoch siehst du nicht ein, davon abzulassen, weil du es selbst für wertvoll hältst. Als jemand, der mit über 40 trotz ausbleibendem kommerziellen Erfolg darauf beharrt, an seiner musikalischen Vision festzuhalten, hatte ich das Bedürfnis, mir selbst eine Hymne zu schreiben — oder einen Abgesang, je nach Perspektive. Da steckt natürlich auch jede Menge Galgenhumor drin. Das ist mir generell wichtig: Dass aus dunk­­len Gefühlen keine Verbitterung oder moralinsaure Galligkeit wird.

»Einsame Inseln« ist ein Solo-Album im strikten Sinne. Du holst andere Musiker nur dazu, wenn du sie für eine bestimmte Stimmung, einen bestimmten Klang brauchst. Ist jetzt die Zeit für diese Solo-Musik?

Dass es soweit gekommen ist, ist ein Pro­zess. Wer im hohen Popmusiker­alter eine Band zusammenhalten will, braucht entweder wirtschaftlichen Erfolg, um seinen Mitstreitern finanzielle Anreize zu bieten — oder alle Beteiligten müssen künstlerisch so viel Bock aufbringen, dass sie be­reit sind, die Sache als Luxushobby miteinander durchzuziehen. Beides war in meiner Konstellation nicht mehr gegeben. Schön für mich ist aber, dass ich über ein Netzwerk an Musiker:innen und Filmern verfüge, die gerne mit mir zusammenarbeiten und meine Musik bereichern.

Welche Musik hast du im letzten Jahr gehört?

Oh je … Joni Mitchel, Leonard Cohen, Nico, Radiohead, Billie Eilish, Taylor Swift, Sorry3000, International Music, Alpentines ... Ich habe eigentlich den Anspruch, stets die Lieder aus den Top 10 der Single-Charts zu kennen, seit deutscher Autotune-Rap dort regiert, wird dieses Unterfangen aber zum echten Härtetest.

Noch mal: Killt Corona die Indie-Szene?

Die Indie-Szene hat schon immer komisch gerochen, wird aber niemals sterben!

Tonträger:

»Einsame Inseln« ist auf Bauturm Records (Tonpool) erschienen.