Die Kontrolle verloren: Raser töteten 2015 auf dem Auenweg in Deutz eine junge Frau

»Kein Bewusstsein für die enorme Gefahr«

Jürgen Berg von der Kölner Polizei über die Gefahren durch Raser und illegale Straßenrennen

Herr Berg, zuletzt gab es viele Meldungen über Rennen und Raserunfälle. Hat sich während der Corona-Pandemie die Lage auf Kölns Straßen verschlimmert

Die Zahlen sprechen für ein gleichbleibend hohes Niveau. Wir liegen bei etwa zehn angezeigten Rennen pro Monat. Die Wahrnehmung mag eine andere sein. Auf leeren Straßen in einer Häuserschlucht kann sich ein Auspuff höllisch laut anhören. Was wir beobachten, ist ein Verdrängungseffekt der Szenetreffs, etwa weil der Rheinboulevard oder die Alfred-Schütte-Allee in Poll gesperrt wurden. Und wir sehen dort vermehrt ein Event- und Partypublikum. Menschen, die eigentlich an den Ringen in der Außengastronomie sitzen und mit Rasern oder Tunern nicht viel zu tun haben.

Die Polizei versucht seit 2015, als in Köln drei Menschen bei illegalen Straßenrennen getötet wurden, das Problem in den Griff zu bekommen.

Man hat damals die dringende Erfordernis gespürt, etwas zu tun. Aber man musste erst klären, um was für ein Phänomen es sich handelt. Wir hatten und haben es, das wissen wir mittlerweile, mit einem nachhaltigen Problem zu tun. Es wurde eine feste Dienststelle eingerichtet, die sich um Verkehrsphänomene wie Rasen, illegales Tuning und Rennen kümmert.

Das klingt, als könne man das Problem nicht beseitigen. Dabei ist die Teilnahme an illegalen Straßenrennen seit 2017 eine Straftat.

Man kann es kontrollieren, aber nicht beseitigen. Bei Rennen mit tödlichem Ausgang steht eine Verurteilung nach Mord im Raum. Man sollte meinen, dass spätestens da jedem klar geworden ist: Lass’ das sein! Aber wir sehen auf den Straßen, dass das höhere Strafmaß nicht abschreckt. Wir hatten in Köln in den vergangenen Jahren keine schweren Rennunfälle. Aber das kann sich jederzeit ändern. Erst gestern Abend hatten wir einen Rennunfall. Das Auto hat ein Straßenschild umgefahren. Steht da ein Radfahrer oder Fußgänger, stirbt ein Mensch.

Wann spricht man von einem Straßenrennen?

Die klassische Situation ist: Zwei Raser treffen sich zufällig an einer Ampel, gucken sich an und treten bei Grün wie die Verrückten aufs Gas. Beim Alleinrennen ist nur ein Fahrzeug beteiligt. Der Begriff ist unglücklich, aber der Tatbestand bleibt derselbe, weil die Gefahr genauso groß ist. Zum Rasen gehört mehr als die Geschwindigkeitsübertretung, nämlich das rücksichtslose und grob verkehrswidrige Fahren — rechts überholen, sich gegenseitig überholen und einscheren. Wir fließen mit Zivilfahrzeugen im Verkehr mit, um solche Situationen frühzeitig zu erkennen und einzuschreiten.

Wer sind die Straftäter?

Man spricht von einer Raserszene, vermischt aber Leute, die dasselbe tun, ohne organisiert zu sein. Sie eint, dass sie kein Bewusstsein für die enorme Gefahr haben, die von ihnen ausgeht. Ihre Wahrnehmung ist: Wir haben die Situation jederzeit unter Kontrolle! Tatsache ist aber, dass es sich vielfach um junge Fahranfänger handelt. Es sind ausschließlich Männer, meist im Alter von 18 bis 25, viele mit türkischen und arabischen Wurzeln. Wir sprechen da über Menschen, die meist Defizite im Leben durch solches Verhalten ausgleichen wollen. Sie wohnen in der häuslichen Gemeinschaft, haben keinen Ort, um ein paar Freunde einzuladen. Alles, was sie haben, ist draußen — und draußen ist das Auto das höchste Status­symbol.

Raser brauchen Autos, mit denen sie rasen können.

Es handelt sich nicht selten um Fahrzeuge mit 300, 400 PS. Das läuft oft über Leasing oder Verleihfirmen, es sind auch viele alte Autos, die umgebaut werden und von denen eine zusätzliche Verkehrsgefährdung ausgeht. Da sitzt der Fahranfänger in einem Auto mit Hunderten PS und glaubt, alles unter Kontrolle zu haben.

Warum gelingt es nicht, frühzeitig zu verhindern, dass Menschen zu Rasern werden?

Wir erreichen unsere Klientel kaum. Es bringt nichts, wenn wir Menschen an den Hotspots Flyer in die Hand drücken. Wir haben es mit Gefährderbriefen an die Familien versucht, die oft einen größeren Einfluss auf die jungen Erwachsenen haben. Die Polizei NRW führt zudem den »Crash Kurs« durch. Dort tragen Beteiligte und Angehörige von Unfallopfern Jugendlichen ihr Erlebtes vor, bevor diese den Führerschein machen. Die Teilnehmer gehen meist wortlos aus der Veranstaltung. Die Frage ist, wie lange das anhält. Wir sind eher bei der Forderung, einen Stufen-Führerschein einzuführen. Warum muss ein 18-Jähriger ein 400-PS-Auto fahren können? Auch ein Stufen-Führerschein gibt keine Sicherheit, aber wir könnten frühzeitiger eingreifen und auch auf Verleiher würde größerer Druck entstehen.

Nicht nur Menschen mit getunten Autos rasen. Sind alltägliche Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht eine viel größere Gefahr?

Wer zu schnell fährt, ist nicht gleich ein Raser. Rasen definiert sich auch über verkehrsgefährdendes Verhalten. Der Raser zeigt, was er angeblich kann. Der Schnellfahrende hat es eilig oder merkt oft gar nicht, dass er zu schnell fährt. Was nicht heißen soll, dass es nicht gefährlich ist, wenn der Familienvater zu schnell unterwegs ist. Auch hier haben die Sanktionen in den vergangenen Jahren deutlich angezogen.