Tiefe Rillen auf dem Dancefloor: LSDXOXO

Berechnung und Exzess

Neues Futter für die Dancefloors von LSDXOXO, A.G. Cook und Jinjé

Ein todsicherer Tipp um eine Party auf eine energetisch höhere Stufe zu hieven, sind in den letzter Zeit Tracks von LSDXOXO. Der aus Philadelphia stammende, über New York und London mittlerweile in Berlin gelandete Produzent, hat seit 2015 mit EPs wie »Softcore« und »Fuck Mary Kill« tiefe Rillen in hiesigen Dancefloors hinterlassen. Stichwortgeber und Vorgänger sind zahlreich: die transgressiven (und bisweilen alles andere als politisch korrekten) Tracks der Hip- und Ghetto-House-Ära sowie der Chicagoer Juke-Szene gehören genauso dazu, wie auch der dezidiert homoerotische House eines Aaron-Carl und der queeren und campen Vogueing-Spektakel der 80er Jahre. Die kennt man aus dem legendären Film »Paris Is Burning« von Jennie Livingston oder als zeitgenössisches Echo via RuPauls Drag Race. Also klar, LSDXOXO arbeitet sich stark an den 80ern und 90ern ab. Und an sexuellen Gelüsten, die auf der Dancefloors entweder direkt oder als Tanzvergnügen sublimiert ausgelebt werden dürfen.

Zur neuen EP, die bei XL er­scheint und den Namen »Dedi­cated 2 Disrespect« trägt, gibt es auch das Video »Sick Bitch«. Gesamt­künstlers LSDXOXO führt hier gleich selbst Regie. Es ist ein verwirrendes Spektakel, irgendwo zwischen dem Vampire-Schocker »Blade«, einem Stripclub und dem Designer Rick Owens. Alles schön eingefangen im körnigen Bild der ersten Digi-Cams. Die gefilmte Rave-Nacht kann jederzeit von den feuchtfröhlichen Atmosphäre in ein dunkles, gefährliches Fest kippen. Die Figuren drohen sich geradewegs »tot zu feiern«.

Nicht ganz so düster, sondern meist strahlend hell und kristallklar präsentieren sich die Welten und Werke des PC Music-Gründers A.G. Cook. Cook, der dabei half, Charli XCX zum Superstar zu machen, und seitdem einer der gefragtesten Produzenten überhaupt sein dürfte, hat einen Euro-Trash-Trance-Revival-Sound mit der Ästhetik von Tanz-Videospielen gepaart und so das Genre Hyper-Pop (mit-)begründet. Letztes Jahr erschien sein Opus Magnum »7G«: 50 Stücke, oft nicht länger als zwei Minuten. Die Menge machts. Knapp drei Stunden Spieldauer waren selbst für beiläufiges Hören zu viel. Von daher kann man den neuerlichen Move begrüßen: Monate nach Release des Albums beginnt das Label einen eigenwilligen Veröffentlichungszyklus. Seit April wird nochmal alles schön ausgewertet, was sich auf »7G« findet — als mit einem schicken Remix auf der B-Seite. Für »Beautiful Superstar« ging man sogar ins Plattenpresswerk.

Was ist davon zu halten? Ich bin da ambivalent. Einerseits ist es ein Hörangebot, das echt willkommen ist. Immerhin hatte das originale Epos durch seine schiere Größe viele Hörer*innen abgeschreckt. Nun kann man sich den einzelnen Tracks widmen — ganz ohne das ungute Gefühl, man verpasse nun was.

Anderseits nimmt man Cook und PC Music nichts ab: Weder dass es um die Kunst noch um die Hörer­schaft gehen könne. Hier soll bloß die Verwertung optimiert werden. So lieblos sich die Digi-Singles präsentieren, mit eilig hingeknallten Designs und mutlosen Remixen, ist der business-move offensichtlich : Der Algorithmus von Spotify, Deezer und Co. ist der einzig wahre Adressat. So wird »2021« und »The Darkness« kaum mehr abgerungen als schon auf dem Album — warum auch? Wenn man bei den Streaming-Plattformen belohnt wird für Gleichförmigkeit, dann bedient Cook sie gerne. Dieses Phänomen, das zuerst bei der K-Pop-Sensation BTS und anderen Hoch-Chartern aufgetaucht ist, wandert durch die Verkaufsränge langsam nach unten. Keine schöne Aussicht, denn aus künstlerischer Sicht meistens — und auch bei PC Music — eine verpasste Chance.

Alternative Acts, die sound-ästhetisch zumindest eine gewisse Nähe aufweisen hätte es zuhauf gegeben. So hätte man etwa in Leeds anrufen können, wo mit Jinjé aka Lee Malcolm ein vielversprechender Künstler heranreift. Ja, zugegeben: »Open Unity«, die EP auf MESH, ist das Debüt von Jinjé — und bis auf ein paar Minuten im »Panorama Bar Mix 07« von nd_baumecker gab es vorher noch kein Lebenszeichen des nerdy dreinschauenden Rotschopfs. Aber ganz neu im Geschäft ist Jinjé nicht. Schon vor etwa zehn Jahren hatte er es unter seinem bürgerlichen Namen versucht. Wenig erfolg­reich leider. Lustigerweise macht gerade diese gewisse »unhippness« die fünf Stücke auf »Open Unity« aus. Man hört Anleihen der Post-Dub­step-Dances im ersten, Bristol-Techno-Experimentalsound im dritten, Tech-House im vierten und einen leidenschaftlichen Drone im letzten Track. Das ist alles kunterbunt, aber eben auch ehrlich. Den Anschein, dass es sich um Kalkül handelt, macht hier wenig.

Dazu passend das Musikvideo zur Single »Cinétique«, die aussieht als hätten Franz Ferdinand und Tame Impala eine Chillwave-Platte aufgenommen; was aber weder die Musik noch das Video entwerten sollte. Ganz unumwunden: Lieber ehrenhaft und »authentisch« als berechnend. Hier hat niemand auf Algorithmen geachtet. Und das macht dann doch schlußendlich immer noch am meisten Spaß.

LSDXOXO, »Dedicated 2 Disrespect« (XL Records/Beggars), bereits erschienen

A.G. Cook, »The Darkness«, »2021« und weitere (PC Music), bereits erschienen; weitere folgen wahrscheinlich

Jinjé, »Open Unity« (MESH), bereits erschienen