»Frenemies for ever«: andcompany&Co. über Freundschaft in finsteren Zeiten, Foto: Hilla Flashkes

Sehnsucht nach streitbaren Freundschaften

In einem wilden Diskurs- und Flimmer-Remix baut andcompany&Co. in finsteren Zeiten einen fragilen Freundschaftssalon im Netz auf

Ich rufe eine Freundin an. »Gehen wir spazieren?«, frage ich. Leider nein, sie sei schon verabredet. »Sorry, schon zwei Haushalte.« Doch etwas Halt wäre schön gewesen, denke ich. Rufe ich Nina aus Berlin an und trinke mit ihr Bier über Zoom? Dort, wo ich mich noch einsam fühle, verschickt Jenny im Online-Stück der Berliner Gruppe andcompany&Co. per Delivery-Boot*innen schon Freundschaftsanfragen in die Welt. Als Knallbonbons explodieren sie in Berlin, Düsseldorf, Jerusalem und Tel Aviv. Die neuen Freund*innen kommunizieren über ein verzweigtes Röhrensystem, das YouTube untertunnelt. In jeden Screen ragt ein analoger Schaft hinein. Jenny blickt theatral in die Kamera, für einen neuen Beitrag klingelt sie.

Jennys »Salon Knallbonbon« ist im Stück »Frenemies forever« der Ausgangspunkt für einen explosiven Diskurs über Freundschaft in finsteren Zeiten. Die englische Wortschöpfung »Frenemy« bezeich­net ein Doppelwesen: sowohl Freund als auch Feind. Zwischen philosophischen Überlegungen und Schminktipps von Vlogger*in­nen und Influencer*innen sind kurze, mit Clowns- und Heulfiltern überfrachtete TikTok-Clips gemischt und wiederkehrende Dialoge der Bedingung von Freundschaft:

»Bist du noch meine Freund*in, wenn ich all meine Alf-Sachen anziehe und dabei das Kommunistische Manifest rezitiere? Bist du noch meine Freund*in, wenn ich als schwarzes Quadrat behaupte ich sei Lenin?« Die Freundschaft ist wählerisch und birgt die Angst ein falscher Move könnte alles beenden. In »Frenemies forever« ist die Antwort immer: Ja, auch dann.

Damit folgen die Freund*innen Hannah Arendt, die in ihrer Rede »Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten« von 1960 sagte: »Wir sahen, wie sehr Menschen in solchen Zeiten das Bedürfnis haben, näher aneinander heranzurücken, um in der Wärme der Intimität den Ersatz für die Leuchtkraft zu suchen, den nur das Öffentliche spenden kann. Das heißt aber, daß sie den Streit vermeiden.« Die ständige Bejahung, ja, auch dann sind wir Freund*innen, steht für die Sehnsucht nach politischen Freundschaften, die den Dissens aushalten und streitbar sind. Freund und Feind gleichzeitig: Frenimies.

Die Klingel ertönt und der nächste Beitrag folgt. Thema: Aristoteles Ausspruch »Oh Freund, es gibt keinen Freund.« und mögliche Deutungen. Der Philosophiezirkel aus Jenny’s Knallbobonsalon webt einen Diskurs- und Wortteppich, gespickt mit Zeichen und Verweisen, die mitunter überfordern. Allerdings lädt das assoziative Vorgehen der Figuren im Stück ein, sich im Text zu verhaken und ihn weiter zu spinnen.

Zum Beispiel deutet Luna Ali im Stück den widersprüchlichen Satz von Aristoteles, es gebe keinen Freund, so, dass es eben nicht den einen singulären Freund gibt. Für sie ist das ein politisches Moment der Freundschaft, da sie in ihrer Form nicht eingesperrt, keiner klaren Funktion zugewiesen ist. Wie würde eine Gesellschaft aussehen, die auf eben solchen Beziehungen aufbaut? Wie der Philosoph Jacque Derrida in seiner »Politik der Freundschaft« überlegt: ein Gegenstück zur Gegenwart, die sich auf die Prinzipien Blut, Geschlecht und Rasse, Nation und Familie beruft.

Häufig allegorisch bleiben die Bezüge zur Freundschaft in der Pandemie. Das Stück ziert sich vor allzu viel Realpolitik. Doch sie drängt sich auf: Denn die Beweglichkeit des vielfältigen, unklaren Wesens des Freundes bedeutet auch, dass er mit keinen klaren Rechten ausgestattet ist. Die Freundschaft hat keine Institution, sie hat keinen Haushalt, keinen verankernden Halt. Sie ist kein Paar und auch keine Familie. Die Soziologin Leonie Linek sagte Deutschlandfunk Kultur über Freundschaften in der Pandemie: »Ich bin überzeugt, dass sich die Maßnahmen, so verständlich sie auch sind, gegen Freundschaften richten. Wir haben eine Privilegierung von Paar- und Familienbeziehungen und deren Haushalten.«

Dennoch ist das pandemische Geschehen Bedingung des Stücks. Es diktiert die virtuelle Form und damit auch den Entwicklungsprozess. Plötzlich fliegen nur noch Sinnfetzen über die Mattscheibe, die Röhren dröhnen und kein Gedanke wird mehr zu Ende ausgeführt. Alles zerfasert in dieser plattformgestützten Kommunikation. Hier wird das Auseinanderdriften des Gesprächs zum Sinnbild für den Prozess der Stückentstehung selbst. Die Arbeit von andcom­pany&Co basiert auf einem intensiven Aushandlungsprozess, aus dem sich irgendwann eine Struktur herausschält. Und »Co« heißt: Sie spielen in immer neuen Koopera­tionen, in sich wandelnden Formationen.

Die Online-Kommunikation lässt das schwer zu. So ist das Scheitern Teil der Stückdramaturgie geworden — als Flut der abgebrochenen Sätze und nicht zu Ende geführten Gespräche über die Welt. Das Internet entpuppt sich als Ort der Unmöglichkeit für eben diese streitbaren Freundschaften, da der Finger schon am Anschlag des Unfriend-Klicks liegt. Damit dekonstruiert sich das Stück zum Schluss selbst, hallt mit seinen offenen Enden kaum nach. Zurück bleibt ein Gefühl des Mangels.