Den furchtbaren Zeiten entkommen: Peter Brötzmann, Foto: Thomas Venker

Etwas dagegen setzen

Peter Brötzmann gehört zu den einflussreichsten Free-Jazz-Musikern, er ist bildender Künstler und Organisator unabhängiger Musik — und das alles in Wuppertal. Jetzt feiert er seinen 80. Geburtstag

Der 14. Mai in Köln: Brötzmann live, mal wieder. Aber nicht der Saxofonist steht auf der Bühne. Er ist nach Köln gekommen, um seinen Kunst-Katalog »Along the Way« vorzustellen, der anlässlich seiner Soloausstellung in den Räumen der von Albert Oehlen unterhaltenen und von Jens-Uwe Beyer und Alexander Warhus geführten Galerie JUBG erschienen ist.


Peter, neulich hast du deinen 80 Geburtstag gefeiert, ein Moment der inneren Bilanz?

Geburtstage spielen in meinem Leben keine Rolle. Da ist es auch egal, dass er in die Viruszeit gefallen ist.

Wie hat sich für dich als manischen Unterwegstyp die Zwangspause durch die Pandemie angefühlt?

Es ist ein furchtbares Jahr. Mein letztes Livekonzert war im Februar 2020 mit Heather Leigh in Athen. Ich war noch nie in meinem Leben an einem Stück so lange an einem Platz. Das ist ganz ungewöhnlich und nicht sehr inspirierend. Ich habe natürlich versucht, ein bisschen zu arbeiten, und bin sicherlich auch beschäftigt mit meinen Hörnern, aber es ist einfach nicht das, was zu meinem bisherigen Leben passt. Ich krieg zwar die ersten Konzertangebote für das spätere Jahr, aber ich denke, es wird erst 2022 wieder richtig weitergehen. Und dann mal gucken, ich bin ja nicht mehr der allerjüngste, und die Gesundheit ist auch nicht die allerbeste. Insofern bin ich froh, dass ich jetzt diese Ausstellung habe. Ich habe über die Jahrzehnte bei Anfragen für Ausstellungen immer auf ein andermal vertröstet. Wenn ich mir jetzt so die Zukunft angucke, werde ich wohl doch öfters mal ja sagen.

Im sehr schönen Katalog »Along the Way«, der gerade bei Trost erschienen ist, sprichst du von den »Guts«, die dich immer geleitet haben. Meint dies das Bauchgefühl oder den Schneid?

Oder beides? Alles was sich innen abspielt. Ich bin kein Mann mit großen Ideen. Ich mach die Dinge und damit hat es sich. Das sind so Parallelen zur Musik, die auch mehr aus dem Bauch als aus der Kopf kommt.

Gibt es im Rückblick ein Ereignis, das du lieber löschen würdest aus der eigenen Biographie?

Das Gute an der Kunst: Du machst sie alleine in deinem Studio, und wenn du mit irgendetwas nicht zufrieden bist, kommt es in den Ofen. Insofern kann ich hinter dem stehen, was übrig ist von den ganzen Jahrzehnten. Es ist auch viel verloren gegangen, was ich zum Teil bedauere.

Verloren gegangen, weil du keine Zeit hattest, das Archiv zu pflegen?

Ich bin kein Mann von Archivierung und solchen Dingen, es verschwanden bei Umzügen also ein paar Dinge. Ein großer Teil der Arbeit der Jahrzehnte ist in Chicago bei der Galerie Corbett, ich weiß im Moment gar nicht, was alles, ich muss mal eine Liste anfordern.

Stört es dich, dass du in der öffentlichen Wahrnehmung mehr Musiker als Künstler bist, obwohl du ja doch früh bei der Fluxus-Bewegung dabei warst und kontinuierlich auch als bildender Künstler gearbeitet hast?

Das mit der Musik hat sich so ergeben. Ich hatte mit Mitte 20 meine ersten Ausstellungen, und war auf einem ganz guten Wege, bloß die Gesellschaft mit Musikern, miteinander zu reisen und Dinge zu erfahren, das hat mir immer sehr viel bedeutet. Die Bilder machst du alleine, Musik machst du zusammen, das ist der Unterschied. Dazu kommt, dass mir das Reisen fehlt. Ich bin von klein an immer sehr viel gereist und habe inzwischen alle Kontinenten ein bisschen gesehen, das ist ein ganz wichtiger Teil der Arbeit.

Wie sieht es mit deiner Arbeitsweise aus, empfindest du da Ähnlichkeiten in der Herangehensweise an Materialien und deren Positionierung im Raum im Vergleich mit der Musik?

Ich bin da ganz vorsichtig, Parallelen zu ziehen. Der einzig ähnliche Ausgangspunkt ist, dass ich mit dem, was in einem Moment an Material da ist, arbeite, ob das musikalisches oder bildnerisches ist. Insofern gibt es ein paar kleine Ähnlichkeiten. Mit der Musik musst du immer in der Lage sein, dich auf andere einzulassen. Das erfordert eine ganz andere Ausgangsweise, als alleine an den Dingern rumzubasteln.

Wirkt sich das auf deine Narrative aus?

Im Endeffekt geht es so sowohl bei diesen Dingen hier als auch bei der Musik darum, ein paar Geschichten zu erzählen. Man muss als Betrachter oder Zuhörer die Bereitschaft mitbringen, sich da darauf einzulassen und Fantasie zu entwickeln, seine eigenen Geschichten daraus zu machen.

Eine Sektion im Katalog heißt: »Porn Pics« — gibt es im aktuellen Klima der Cancel Culture bei einem älteren CIS-Mann einen Moment der Nachdenklichkeit, ob man das machen kann?

Ne, das hat mich nie interessiert. Das, was da ist: Wenn es mir gefällt, soll es auch gut sein für die anderen. Da habe ich keine Hemmungen.

Verfolgst du die Diskurslinien?

Ich brauche diese ganze überheizte Angelegenheit nicht: Black Live Matters oder MeToo, das ist eine Welt, die ist nicht meine. Ich kämpfe mein ganzes Leben lang mit der Musik und den anderen Arbeiten für eine gewisse Freiheit — und die Freiheit sollte für jeden da sein. Wie man es erreicht: schwierig genug. Ich sehe in all diesen Bewegungen unheimlich viel Missbrauch. Insofern interessiert mich das nicht mehr. Ich bin, das kann ich schon sagen, zu alt dafür.

Du hast viel mit schwarzen Musikern zusammen gespielt.

Ich kann dir erzählen, mit zwei Schwarzen an deiner Seite in den Südstaaten von Amerika rumzutouren, da merkst du schon, was los ist. Insofern ist die Musik das einzig richtig gute, praktische Beispiel, wie es gehen kann — man muss es bloß tun. Das ist ja das Gute an der Musik, dass du lernst, die Dinge von allen möglichen Seiten zu betrachten.

Hattest du das Gefühl, dass sie mit dir darüber in den Dialog gehen wollten oder war das Musikmachen der Dialog der Wahl?

Die schwarzen Musiker haben Gottseidank ein großes Selbstvertrauen, ein großes Selbstverständnis auch. Du musst schon — ganz simpel: um mitzuhalten, um einen Gegen-Point zu setzen — konsequent arbeiten, musst präsent sein. Jazz in Europa war nach dem Krieg eine Kopie dessen, was in den Staaten passierte. Es ist einfach so, wenn du unterwegs bist mit Leuten, die du magst, die dich fordern, dann ist es immer auch eine Challenge. Auf der Bühne zu sein, ist kein freundliches auf die Schulter klopfen, das ist harte Arbeit, ein Fight, du musst dir angewöhnen, dir nichts gefallen zu lassen. Ob man schwarz oder weiß ist, Mann oder Frau, das sind äußerst sekundäre Fragen. Ich hab von Anfang an in meiner Musikkarriere sehr viel mit Frauen zu tun gehabt. Es war überhaupt nicht die Frage: Kann das sein? Muss das sein? Darf das sein? Ich hab das immer nur entschieden entlang der Linien: Mit wem habe ich was zu tun? Wo habe ich etwas dagegen zu setzen? Was kann man zusammen erreichen? Darum geht es.

Wo du den Kraftakt eben ansprichst. Spielt Alter eine Rolle? Merkst du, dass es sich auswirkt auf die Art, wie du dich der Musik und Kunst widmen kannst?

Das Alter spielt ganz gewiss eine große Rolle, allein schon von der physischen Möglichkeit. Ich kann mich erinnern, bei einem der letzten Konzerte von Miles Davis waren wir zufällig im selben Hotel untergebracht in Berlin. Miles ging durch den Flur mit Stützen — und abends auf der Bühne war er wie neugeboren. Ich merk das an mir selbst. Man ist ja gar nicht gewöhnt zu registrieren, dass der Körper so alt ist, wie er ist. Ich hab darüber hinaus seit 20 Jahren ein Lungenproblem. Das macht das Reisen schwierig. Manchmal musst du schon versuchen, tief Luft zu holen, um überhaupt noch etwas auf die Beine zu stellen.

Welche Rolle spielt Geld?

Wenn du dein ganzes Leben lang immer nur gucken musst, wie geht es denn weiter, wie kann das kleine bisschen Zukunft aussehen, dann spielt Geld eine alltägliche große Rolle. Ich war in der glücklichen Lage, dass ich vor Covid-Zeiten unheimlich viel gearbeitet habe, und mir als Musiker ein bisschen Polster auf die Bank setzen konnte. Deswegen kann ich auch dieses Jahr ohne Konzerte ganz gut überstehen. Aber irgendwann geht auch das zu Ende, und dann kann man wieder gucken, wo man bleibt. Wenn du weißt, wie die Gagen im Musikbusiness sind, dann kannst du dir vorstellen, dass da nichts übrig bleibt. Das sind ja nicht die Summen, die in der bilden­den Kunst gehandelt werden. Deswegen war ich erfreut, dass sich der Albert Oehlen gemeldet hat. Er ist ja seit Jahrzehnten ein Freund der Musik und hat einiges an Hilfen für die Musik zur Verfügung gestellt.

Gibt es so etwas wie ein role model für Peter Brötzmann?

Ich habe immer gute Leute getroffen, auch als ganz junger Mann, so Leute aus der Musik wie Don Cherry oder Steve Lacy, aus der bildenden Kunst war Nam Jun Paik ein ganz wichtiger Mann für mich, für den ich ein bisschen gearbeitet habe. Von den älteren Jazzmusikern wie Cherry und Lacy konnte ich eine Menge lernen. Die haben mir, der ich in den ersten Jahren ziemlich angefeindet wurde, dass das keine Musik sei, was ich mache, immer gesagt: »Brötzmann, mach deinen Kram, mach es einfach.« Das tut einem als junger Mann gut.

Gibt es Urmomente in deinem Leben?

Es war für mich wichtig, immer die richtigen Leute getroffen zu haben. Zum Beispiel eine Nacht mit Eric Dolphy in Wuppertal in einer Kneipe, wo man so viele persönliche Dinge erfährt, die nirgendwo geschrieben stehen, von denen man für sich selbst ungemein viel lernen kann. Es gibt keinen Moment, von dem ich sagen könnte: Jetzt will ich dahin, weil ich den und den gehört habe. Das nicht. Ich wusste von früh an, was ich nicht wollte, wohin die Reise geht, das erfährt man dann später. Du musst bedenken, wir haben den ganzen Kram Anfang der 60er Jahre angefangen. Da waren die Dinge so genormt, auch der ganze Kunstbetrieb, es gab ja nicht umsonst die Fluxus-Bewegung, die sich unbedingt absetzen wollte von dem offiziellen Kunstbetrieb. Das kam mir sehr entgegen, weil ich mit dem ganzen etablierten Kram nichts zu tun haben wollte. Das heißt: Man machte sein eigenes Plattenlabel auf, man veranstaltete selbst die Konzerte, man versuchte ein Netzwerk aufzubauen mit Kollegen in anderen Ländern. Da bildete sich eine ungemeine Solidarität auf. Das waren Jahre der Zusammenarbeit, die heutzutage in dem Sinne nicht mehr stattfindet. Es gab wirklich den naiven Wunsch, die Welt zu verändern. Dass das nicht so einfach ist, haben wir dann schnell gemerkt — jedenfalls die meisten von uns. Manche sind da durchaus dran zerbrochen. Aber du lernst, wenn du unterwegs bist, ganz schnell pragmatisch zu sein, du musst mit dem Vorlieb nehmen, was da ist.

So hart es damals war, empfindest du es trotzdem als Vorteil, dass ihr die Strukturen prägen konntet während sie heute ja vorgegeben sind?

Wir waren in einer viel besseren Ausgangsposition als heutzutage. Wir hatten was, wogegen wir alle gemeinsam kämpfen wollten. Als im Krieg geborenes Kind musste ich erst mal lernen, was einem passiert ist. Und da man keine Antworten von Lehrern und Eltern bekam, musste man sich diese selbst zusammensuchen.

Wie wichtig ist es, selbstkritisch zu sein?

Ich will nicht übertreiben, aber das war immer ein Punkt, der ganz wichtig war. Vor allen Dingen bei der Musik ist es ja so, wenn das Konzert vorbei ist, ist die Arbeit vorbei. Ist das, was du getan hast, irgendwo in the air. Dann musst du mal gucken, was du an diesem Tag eigentlich für Blödsinn gemacht hast. Du kannst es ja nicht zurück nehmen, du kannst die Musik ja eben nicht in den Ofen schmeißen. Insofern muss man da immer ganz genau hinhören.