Hand aufs Herz: Wer weiß schon genau, wo der Platz anfängt oder aufhört?

Atmosphäre ab 17 Uhr

Leerstand, viel Außengastronomie und hochfliegende Pläne: In der zweiten Folge unserer Serie zu den Kölner Plätzen berichten wir vom Friesenplatz

Von einem Tor, das am Friesenplatz entstehen könnte, sprechen die einen. Von Konkurrenz für den Dom in der Stadtsilhouette warnen die anderen. Politikerinnen, Denkmalschützer und andere Vertreter der Stadtgesellschaft diskutieren derzeit, ob ein weiteres Hochhaus in der Innenstadt genehmigt werden soll. Gegenüber dem umstrittenen Bauprojekt stehen bereits die bis zu sechzig Meter hohen Bürotürme, die Star-Architekt Norman Foster Anfang des Jahrtausends an die Ringe setzte. Während die Diskussion aus der Vogelperspektive geführt wird, lohnt es sich, den Friesenplatz selbst in den Blick zu nehmen.

Zwischen Innenstadt, Ringen und Belgischem Viertel, zwischen Amüsiermeile, repräsentativen Geschäftsadressen und Szeneviertel wirkt er nämlich seltsam unbestimmt. Hand aufs Herz: Wer weiß schon genau, welche Form er hat? Wo der Platz anfängt oder aufhört? Wofür ist er bekannt? Welche Defizite weist er auf?

Ob Michael Kunz sich für diese Fragen interessiert, lässt er nicht durchblicken, obwohl von ihm das künftige Gesicht des Platzes abhängen wird. Der Immobilieninvestor sitzt im ersten Stock seiner Unternehmenszentrale am Ring. Er hat vor einigen Jahren das leerstehende, 39 Meter hohe Eckhaus am Friesenplatz gekauft, um das sich die aktuelle Diskussion dreht, und er würde es gerne durch einen 99 Meter hohen Turm ersetzen. Samt Grundstück gehörte es zu einem Paket mit dem nahen Gerling-Quartier, das Kunz mit Partnern bereits zur exklusiven Wohn- und Geschäftslage entwickelt hat. Der Block, in dem seine Büros untergebracht sind, liegt ebenfalls in unmittelbarer Nähe des Friesenplatzes. Auch er ist revitalisiert und verdichtet worden. Ein Hotel, auf dem Bäume wachsen, entworfen vom Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven, eröffnete jüngst im Innenhof.

Kunz hofft, sein nächstes Millionenprojekt vor allem nach oben entwickeln zu können. »Das wäre ein absolutes Architektur-Highlight«, sagt er. Seinen Wunsch, knapp unter 100 Metern, hat der Rat der Stadt aber bereits abgelehnt, obwohl die CDU anders als ihre Bündnispartner Grüne und Volt Sympathien für ein zweites Hochhaus hegt. Der Kompromiss: Stadt und Investor sollen unter anderem prüfen, ob 67 Meter mit dem Status des Kölner Doms als Weltkulturerbe vereinbar wären. Doch selbst diese Höhe sehen viele kritisch.

Thomas Tewes richtet den Blick nach unten. Oben­herum sei der Platz in den vergangenen Jahren »schön gemacht« worden, sagt er. Tewes ist Hauptgeschäftsführer des Haus- und Grundbesitzervereins, der um die Ecke residiert und derzeit sein Gebäude renovieren lässt. Immobilieneigentümer, allen voran ein Versicherungskonzern, haben um den Platz herum abgerissen und neu gebaut, aufgestockt, kernsaniert, Fassaden erneuert und in den Innenhöfen verdichtet. Die an die City grenzende Lage zieht florierende Geschäftsmodelle an. Ein Anbieter für Gemeinschaftsbüros und eine sich handwerklich gebende Burger-Kette haben den Friesenplatz als Standort gewählt. »Aber wenn ich nach unten schaue, denk ich doch: O Gott!«, sagt Tewes. Politik und Verwaltung müssten sich der Gestaltung annehmen: den Schwung durch die Aufwertung der Immobilien nutzen, um den öffentlichen Raum anzupassen. Radwegführung, Bodenbelag, Möblierung — Tewes geht es um das Erscheinungsbild. Der Friesenplatz sei kein Wohlfühlplatz. Doch abgesehen von der Hochhausdiskussion und den Problemen mit der Drogenszene, die von einem Platz in der City zum nächsten vertrieben wird: Der Friesenplatz fällt nicht durch anhaltend negative Schlagzeilen auf. Er ist sicher kein innig geliebter Veedelsplatz. Wohnungen gibt es in der näheren Umgebung nur sporadisch. Belebt ist er dennoch. Das liegt an einer Kaffeerösterei, mehreren Cafés, Restaurants und Bars, die große Teile des Platzes für ihre Außengastronomie nutzen. Sie haben inzwischen die Shisha-Bars verdrängt, die früher große Gruppen von den Ringen auf den Platz lockten. Auch wenn der Kaffeeröster mit seiner Hipster-Aufmachung deutlich signalisiert, dass das Belgische Viertel nicht weit ist, gehört der Friesenplatz abends immer noch eher zur Ausgehlandschaft entlang der Ringe. Tagsüber essen Angestellte hier zu Mittag, Suchtkranke verbringen Zeit zwischen U-Bahnhof, den Treppenabgängen und Parkbänken. Doch die meisten nutzen den Platz wohl bloß, um ihn zu überqueren.

»Man nimmt den Platz einfach nicht so wahr«, sagt Rachid Benhammou. Er betreibt den Friseursalon Kunstrausch an der Venloer Straße, dort, wo sie vom Friesenplatz abknickt und zum Stadtgarten führt. Der Platz habe aber sicher »Potenzial, in alle Richtungen«, sagt Benhammou. Um Kleidung zu kaufen, wird er jedenfalls seit Jahrzehnten angesteuert. Das Modehaus Weingarten, seit 1930 hier ansässig, nutzt heute mehrere Ladenlokale, teilweise angemietet, und ein nahe gelegenes Parkhaus. Mode für Damen, Herren, Kinder, Schuhe und große Größen bietet das Familienunternehmen an, das nicht auf Laufkundschaft angewiesen ist. Von einer »1b-Lage« spricht Ge­schäftsleiter Martin Wendler: weder Szene wie im

Belgischen, noch Breite Straße, dafür eine lange Tradition. »Wir sind quasi mit dem Platz verheiratet«, sagt Wendler. In den Junkies und Trinkern sieht er nach wie vor ein Problem. Vor einigen Jahren wandte sich sein Unternehmen mit anderen Gewerbetreibenden an die Stadt. Sie ließen die Bänke vor ihren Eingängen entfernen und schickten Sozialarbeiter, Ordnungsamt und Polizei häufiger vorbei.

Doch dann geriet der Friesenplatz wieder aus dem Blick. Es scheint, als hätten andere Plätze die volle Aufmerksamkeit verlangt. Wendler ist derweil froh über die gut besuchte Außengastronomie, die für Leben und eine weniger bedrohliche Atmosphäre sorge. Momentan sei das Problem einigermaßen eingehegt, meint Wendler.

So würde das auch Thomas Tewes vom Haus- und Grundbesitzerverein beschreiben, vor dessen Eingang sich Suchtkranke derzeit tummeln. Wichtig sei, dass die Leerstände verschwinden, sind sich die beiden Geschäftsleute einig. Denn, und darin ist man sich ebenfalls ringsum den Platz einig: Er hätte mehr Potenzial. Der Platz wird durch den Hohenzollernring geteilt. Quer, aber nicht ganz rechtwinklig, führen außerdem Magnusstraße und Venloer Straße über den Platz. Für Passanten, Restaurant- und Cafébesucher bleiben spitz zulaufende Freiflächen. Die Ladenlokale im Erdgeschoss des Foster-Hochhauses sind vermietet, wirken mit ihren großen Schaufenstern einladend und dem Platz zugewandt. Ab 17 Uhr sei dieser erfüllt von einer eigenen Atmosphäre, fröhlich, aber gesitteter als auf den Ringen. So wirbt zumindest einer der Wirte, der auf die Abgrenzung großen Wert legt. Der Friesenplatz habe es verdient, als eigenständig wahrgenommen zu werden, sagt er. Zwischen den Filialen der Gastro-Ketten hat sich eine letzte Bar gehalten, die Wasserpfeifen, Kölsch und Cocktails anbietet.

Es mag sein, dass die Zivilisierung des Feiervolks ganz gut gelingt. Und vielleicht zeigt sich daran, dass für den Friesenplatz nicht so sehr die Höhe der Gebäude, sondern ihre Erdgeschosse relevant sind. »Früher gab es nur uns und Starbucks«, erinnert sich Kazim Demirbas, 59 Jahre alt, an eine Zeit, als Leerstände den Platz noch stärker prägten. Ihm gehört seit gut 20 Jahren das Döner-Restaurant Planet Oriental, das unmittelbar an einem der U-Bahn-Aufgänge liegt. Die Leerstände und die Drogenszene sorgten nach wie vor für das Gefühl von Unsicherheit bei vielen seiner Kunden, berichtet er. Das würde sich ändern, wenn gegenüber mehr Leben Einzug halte, ist Demirbas sicher. Der Kölner mit kurdischen Wurzeln — im Nebenberuf Schauspieler und neben Hollywoodstars wie Christopher Lambert und Sophie Marceau auf der Leinwand zu sehen — hat gleichwohl auch eine klare Meinung zu den Hochhausplänen. »Wenn du mich fragst, würde ich nein sagen. Sonst haben wir bald hundert Hochhäuser und du siehst den Dom nicht mehr.« Die größeren Zusammenhänge sind eben auch vom Boden aus betrachtet problemlos sichtbar.