Alarmstufe Gelb: Sonae reflektiert in ihrer Musik Energiezustände, Foto: Katja Ruge

So schmeckt der Sommer

Die Kölner Produzentin Sonae reflektiert die Sonnen- und die Schattenseiten der heißen Jahreszeit

»Sommer« ist ein Signalwort. Bei der bloßen Erwähnung werden bei jedem eindeutige Assoziationen und Gedanken aufgerufen. Man denkt vielleicht an David Hockneys Pop-Art Gemälde »A bigger splash«: ein Pool, im Hintergrund ein kalifornischer Bungalow, ein Platscher. Wärmende Sonne, erfrischendes Nass. Der Mensch, der vom Sprungbrett ins klare Wasser springt und seine Sorglosigkeit und Leichtigkeit auf die betrachtende Person überträgt. Ein weiteres Bild: Man beißt vergnügt in einem Pfirsich (der süße Fruchtsaft tropft auf die Klamotten, hinterlässt eine Klebrigkeit, die etwas lästig und zugleich ok ist). Dann gönnt man sich Gelato zu jeder Tageszeit, verlagert das Leben auf die Straße und lässt es sich im Alltag gut gehen. Ist doch ganz menschlich, oder? Andererseits heißt es in den News, dass Wälder brennen und ganze Landstriche ausdürren — oder absaufen.

Im Stadtgarten eröffnet nun eine audiovisuelle Installation, die sich thematisch mit dem Sommer befasst. Hinter dem Konzept stecken die Komponistin und Produzentin elektronisch-experimenteller Musik Sonia Güttler alias Sonae und die Medienkünstlerin Jennifer Trees. Ausgangspunkt der Installation »Summer« war für Sonae die Anfrage des Labels LAAPS: Es ging um ein Album, das eine musikalische Auseinandersetzung mit dem Begriff »Sommer« zum Thema haben sollte.

In dem Zuge ist das Konzeptalbum »Summer« entstanden, das genau vier Wochen nach der Ausstellung veröffentlicht wird. Sonae berichtet im Interview, dass sie sich erst mal über die Aufgabenstellung riesig gefreut hat: »Ich habe sofort an Sonnencreme gedacht, und an gebräunte Haut. Das war meine erste Assoziation und ich dachte: Ja Mann, das ist gut für meine Seele — ich mache ein Sommeralbum!«

Tatsächlich hat sich nach der anfänglichen Euphorie Resig­nation eingestellt. Sonae entschied sich, eine zweite Perspektive zu integrieren, eine die auch die Schattenseiten des Sommers erwähnt. So wird nicht negiert, was uns unmittelbar bevorsteht mit unserer naturverachtenden Lebensweise: nämlich eine unwiderruflich nahende Klimakatastrophe. Die multimediale Ausstellung knüpft genau da an, wo die Freude in Sorge umschlug. Sie veranschaulicht die Folgen des Klimawandels, die sich in zunehmenden Dürren, Hitzewellen und Ernteausfällen äußern.

Die Künstlerin verrät uns: »Ich probiere mich schon länger darin, das künstlerische Vokabular in meinen Projekten, von Release zu Release, zu erweitern.« Sie musste dieses Werk einfach auch in andere Disziplinen übersetzen. »Bei Summer wusste ich sofort, dass es eine große Installation dazu geben muss. Und da ich so ein großes Format noch nie aufgesetzt habe, wollte ich kollaborativ arbeiten. Da fiel mir Jennifer Trees ein. Mit ihr zu arbeiten ist unglaublich. Wir funktionieren nach einem gegenseitigen Wechselprinzip, als würde ein Algorithmus im Hintergrund mitlaufen.« Das oben erwähnte Spannungsfeld und die konträren Auffassungen von Sommer werden mit der Installation im Stadtgarten auch räumlich definiert. Dafür werden zwei raumhohe Monitore aufgestellt, die sich gegenüberstehen. Für das Publikum ergibt sich so ein begehbarer Korridor. Sonae betont: »Das heißt, du kannst dich nicht nur wählen, sondern du musst ! Du musst dich wortwörtlich für deine Perspektive auf die Installation entscheiden.«

Auf den Bildschirmen werden ganz unterschiedliche Versionen des Sommers wiedergegeben: Die eine zeigt unsere romantische Auffassung vom Sommer, zum Beispiel, »dass wir in den letzten Jahren die schönsten Abende an Badeseen hatten, die wir überhaupt hier in Deutschland jemals gekannt haben«, wie Sonae erzählt. Im anderen Szenario wird die krude Ausbeutung der Natur durch den Menschen veranschaulicht. Sonae spricht in diesem Zusammenhang auch von »Handlungsbedarf«, denn die Besucher*innen müssen schließlich selbst festlegen, was sie für Bilder konsumieren wollen. Es geht dabei keineswegs darum, eine moralisierende Haltung einzunehmen, sondern eine Bühne zu konstruieren, auf der sich widersprüchliche Emotionen und Gedanken entfalten können.

Im Interview offenbart Sonae, dass sie den inhaltlichen Zugang zu der Thematik über die Sprache, Werbung, Geschichte, Poesie, aber auch Filme gefunden hat. So lassen sich etliche kulturelle Referenzen entdecken — sowohl in der Ausstellung als auch auf dem Album. So versucht sie verschiedene »Parameter« abzudecken, die mit der heutigen Wahrnehmung von Sommer verbunden sind und diese als »Essenzen« einfließen zu lassen. Eine Feststellung, die sie macht, ist, »dass künstlerische Arbeiten, die sich bis dato sowohl historisch als auch in den letzten Dekaden mit Sommer auseinandergesetzt haben konnten sich noch völlig hemmungslos auf das reine Naturereignis konzentrieren«.

Die Zuschauer*innen sollen hingegen die Ambivalenzen im Rahmen der Installation auf der eigenen Haut spüren und aushalten. Schließlich geht es auch um Dringlichkeit, um unmittelbare Gefahr. Im Gegensatz dazu findet gerade erst ein sehr langsames Umdenken in der Wirtschaft, Politik und bei Konzernen statt — trotz jahrzehntealter Erkenntnisse, dass es so nicht weitergehen kann.

Das gleichnamige Album knüpft an diesen lebensechten Beobachtungen an und nimmt die aufmerksamen Hörer*innen mit auf einer Fahrt zwischen brutaler, ohrenbetäubender Dystopie und naturnaher Idylle. Sonae knüpft an transzendente, sublime Naturlyrik an. Einerseits sieht der Mensch in der Natur eine unberechenbare Urgewalt, die er oder sie nicht in Gänze erfassen, geschweige denn bändigen kann. Andererseits gibt es die häufig beschriebene, überwältigende Schönheit — die zeitgleich schnell in Kitsch umzukippen droht. Hier und in den unzähligen Zwischentönen bewegt sich Sonae leichtfüßig und stürzt sich im nächsten Moment in einen reflektierten Stilbruch. Ihre elektronische Sammlung entwickelt immer wieder treibende Momente, hinterlässt dabei aber oft auch einen Beigeschmack. In »Steam« entfaltet sich der Beat starr, zwischendurch meldet sich ein Ticken — irgendwo zwischen Glocke, Pulsmessung und runter laufender Uhr. Der »Puls der Zeit« scheint sich nach und nach vom Takt des Werks zu trennen: Das Ticken wird (gefühlt) langsamer. Diese Analogie kann natürlich in verschiedene Richtungen gedeutet werden. Man denke bloß daran, dass einerseits die ressourcenverschwenderischen Lebensweise immer mehr in den Fokus des öffentlichen Interesses gerät, viele (junge) Menschen auf die Straße gehen und eine Zukunft für sich einfordern. Andererseits fliegen zeitgleich ein paar superreiche Unternehmer für einige Minuten ins All. Anstatt unsere Lebensgrundlage auf diesem Planeten zu retten, sollen in Zukunft lebensfeindliche Orte im All kolonialisiert werden.

Wie klingt eigentlich ein staubtrockener Planet, auf dem kein Pflänzchen wächst? Dass unsere Atmosphäre zumindest dünner wird, reflektiert auch Sonaes Album. Die ersten Tracks des Konzeptalbums »Summer« vermitteln ein düsteres Endzeit-Szenario.

Im Titelsong  hört man unheilbringende Insektenschwärme und außerirdische Laute, die befremdlich wirken. »Soleil Noir« reiht sich gleichermaßen in diese Atmosphäre ein, ebenfalls mit gewaltigen Beats. Hier orchestriert die Künstlerin neben der Stille auch sämtliche Geräusche: etwas knistert, knattert, rauscht und raschelt in ihrer Kulisse. Sind das etwa Birken, die sich im Wind biegen und rascheln?

Ästhetisches verbindet sich mit Ungewissheit. Zwar knüpft die Klangkunst an irgendwas Bekanntem an, jedoch lässt sie sich nie klar zuordnen. Meistens landet man eben doch in unbekannten, unheimlichen Klanggewässern. Faszinierend ist auch der Umschwung, der sukzessive eingeleitet wird. Der Ton wird zum Ende hin optimistischer. So erreicht das Werk einen melancholischen Höhepunkt in »Heat«, das mit dem Kölner Komponisten und Multi-Instrumentalisten Gregor Schwellenbach co-produziert wurde.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Installation und das gleichnamige Album einen fröhlich schwitzen lassen. Nach diesen Fieberträumen kommt vielleicht die Ernüchterung — und mit ihr die Möglichkeit sich aus der bedrückenden, stickigen Situation zu befreien, neue Kräfte zu mobilisieren und neue Handlungsspielräume zu erkämpfen. So endet die Kunst von Sonae womöglich in einer kontemplativen Note. Damit wir irgendwann wieder ohne Sühne in Pools springen und Pfirsiche essen können.

Installation »Summer« eröffnet am 4.9. im Stadtgarten, 19 Uhr. Das Album »Summer« (LAAPS) erscheint am 4.10