Raven heute: Nur mit Maske und G3-Antrieb | Foto: John Macdougall

Rückkehr mit Rückschritten

Während sich die Berichte einer langsam wiederkehrenden Clublandschaft häufen, scheint Nordrhein-Westfalen der letzte Ort auf der Welt, an dem es noch die Füße stillzuhalten gilt

Gerade erst schien die Wiedereröffnung von Clubs in NRW in greifbare Nähe gerückt, da hieß es auch schon wieder Landesinzidenzstufe 0 passé. Dank Delta ist doch wieder Bangen und Warten angesagt. Stattdessen bleibt Hoffen, dass es wenigstens zum Sommerende hin noch vereinzelt Termine zum Tanzen geben darf. Via Whatsapp wird sich schon seit Monaten wieder zum geheimen Raven verabredet. Diese oft unüberwachten und un­regulierten Veranstaltungen sind beliebt bei denjenigen, die ihrem aufgestauten Frust und Stress über die anhaltenden Restriktionen nicht mehr anders Ausdruck zu verleihen wissen.

Die Kölner DJs und Musiker können sich derweil meist nur durch Auftritte im Ausland helfen, wo manchmal laxere Bedingungen gelten. In Osteuropa möchte man von möglichen weiteren Corona-Wellen nichts wissen: Während des Sommers fanden bereits in Polen (»Summer Contrast«), Georgien (»Swing«) und der Ukraine (»Rhythm Buro«) Musikfestivals ohne jegliche Einschränkungen statt. Neben vielen einheimischen Künstlern konnte man dort auch vermehrt deutsche DJs und Fans antreffen.

Die unverhältnismäßig vielen in Berlin ansässigen Elektronik-Produzenten freuen sich derweil über jede Möglichkeit, endlich wieder arbeiten zu können und sind um jeden Gig dankbar, egal wohin es dafür geht. Zuhause lässt sich das Geschäft nur schleppend wieder an: ein Bruchteil der Berliner Locations hat unter strengen Auflagen mit Kontrollen und begrenztem Draußen-Angebot geöffnet.

Ein Lichtblick zumindest die »Nation of Gondwana«, seit 1995 fester Bestandteil der hiesigen Festivallandschaft, die nach einer risikoreichen Planungsphase als Modellprojekt in Brandenburg stattfinden konnte. Entsprechend groß waren am Ende Freude und Erleichterung bei allen Beteiligten.

Gerade die mangelnde Planungssicherheit in Abhängigkeit von aktuellen Inzidenzwerten ist für Veranstalter das Problem. Das Projekt »Clubculture Reboot« der Berliner Clubcommission will deshalb nachhaltige, Inzidenz-unabhängige Öffnungsschritte erreichen. Das wissenschaftlich fundierte und von der Charité unterstützte Modell soll dank PCR-Tests und Hygienemaßnahmen die »Genierung einer temporären SARS-Cov-2-freien Kohorte« ermöglichen und somit ein restriktionsfreies Tanzen auch unter pandemischen Bedingungen erlauben. Bereits Anfang August fanden dazu mehrfache Test-Raves mit bis zu 2.000 Besuchern in verschiedenen Berliner Locations wie Kitkat Club, der Wilden Renate oder dem Crack Bellmer statt.

Gleichzeitig ruft die Clubcommission Feiernde vermehrt zum Impfen auf. Die sogenannten »Langen Impfnächte« in der Arena Berlin boten dazu Gelegenheit, während Künstler auflegten, die in den letzten Monaten selbst in den Impfzentren gearbeitet hatten — darunter bekannte Szene-Gesichter wie die Berghain-DJs Henning Bär, Tama Sumo oder Nick Höppner.

Trotz der durchwachsenen Situation finden manche auch gute Worte für das hiesige Vorgehen: Carlos, selbst DJ und Veranstalter aus Barcelona, findet, dass die Clubs hier verantwortlicher als in seiner Heimat handeln. Die Menschen dort hätten momentan Angst, sich auf unkontrollierten Partys anzustecken. Gleichzeitig hätten es die Clubs mit stark beschränkten Öffnungszeiten und Kapazitäten sehr schwer, weil sie keinerlei staatliche Hilfen erhielten.

Im Nachbarland Frankreich dagegen hat die Szene langsam wieder zu einem Rhythmus zurückgefunden. Romain Fx, Produzent und DJ aus Nantes, sagt: »Es geht langsam wieder voran — aber wie lange noch? Wir sind alle aufgeregt und planen schon neue Projekte, aber wer weiß, was als nächstes kommt?« Er freut sich vor allem, dass die Menschen es gerade wirklich schätzten, wieder tanzen zu können. »Sie feiern jetzt besonders hart, um all ihren Stress rauszulassen, aber der Vibe ist trotzdem entspannt. Wild und gleichzeitig respektvoll — die beste Kombination für eine gute Party!« Außerdem zwinge die aktuelle Situation die lokalen Szenen zu besserer Zusammenarbeit. Als Künstler profitiert er davon: »Ich treffe gerade viel mehr Leute als vor Covid, wo jeder noch sein eigenes Ding gemacht hat.«

Auch wenn Romain das Spielen seiner eigenen Tracks vor echtem Publikum vermisst hat, war die Zwangspause für ihn lehrreich: »Ich habe gelernt, meine kreativen Energien wirklich zu bündeln und begriffen, dass ich dafür erstmal innerlich zur Ruhe kommen muss. Wenn es also wieder so richtig losgeht mit dem Touren, möchte ich trotzdem eine Auszeit planen, in der ich mich nur auf das Produzieren fokussieren kann.«

Innere Ruhe dürfte wohl kaum ein Clubber am Londoner Eröffnungswochenende verspürt haben. Während bis zu 40.000 Neuinfektionen am Tag verzeichnet wurden, hielt die Johnson-Regierung an einer restriktionslosen Rückkehr des Nachtlebens Ende Juli fest. Dann wurde plötzlich herumgerudert und auf eine vorgeschriebene Voll-Impfung für alle Clubbesucher ab Ende September umgeschwenkt. Ein letzter Versuch, sich als verantwortungsvoll zu gebahren, finden die empörten Nachtclubbetreiber, denen die Vorschrift nun großes Kopfzerbrechen bereitet. Ihre 18-35-jährige Zielgruppe ist nämlich zu über 60 Prozent noch nicht geimpft — und möchte dies auch gar nicht. Es sei eine ungerechte Benachteiligung ihres Wirtschaftszweiges, zumal die neue Regelung nur für Clubs, nicht aber Bars und Pubs gilt. Bei so viel Unmut konnte auch die lang er­wartete Zusage eines Versicherungsfonds für pandemiebedingte Event-Absagen nicht mehr versöhnlich wirken, die um Haaresbreite zu spät für alle bereits abgesagten britischen Sommer-Festivals kommt.

Die romantische Hoffnung vom weltweiten Summer of Love 2021 scheint sich nicht bewahrheitet zu haben. Was nicht schlimm sein muss. Debora etwa, selbst Teil der Clubszene und vor Covid viel unterwegs, brauchte diese Pause um herauszufinden, was sie eigentlich noch vom Feiern möchte. »Es brachte einen nüchternen Blick und damit mehr Raum für eigene kreative Projekte. Statt der Norm sind Partys nun die Ausnahme.« Vielleicht braucht es gar kein so schnelles Zurück zum Status Ante.