Brutaler Klassenkampf, subtile Spannung

»Candyman«

In Nia DaCostas Version des Horror-Mythos rechnet das Monster mit der Oberschicht ab

Horrorfans wissen Bescheid: Der Candyman ist jener schwarze Mann, der anstelle seiner rechten Hand einen spitzen Haken hat — eine grässliche, garantiert tödliche Waffe. Nicht zu vergessen die Rasierklingen, die er seinen Bonbons beilegt. Allerdings erscheint der Candyman nur, wenn das Opfer seinen Namen fünfmal hintereinander ruft und dabei in den Spiegel schaut. Virginia Madsen konnte in »Candyman’s Fluch«, den Bernard Rose 1992 nach Clive Barkers Kurzgeschichte »The Forbidden« inszenierte, der Versuchung nicht widerstehen. Mit schlimmen Folgen. Nun kehren Produzent Jordan Peele (»Get Out«) und Regisseurin Nia DaCosta (»Little Woods«) dorthin zurück, wo alles begann: nach Cabrini Green, einer heruntergekommenen Neighbourhood von Chicago. Interessant: Die einstige Sozialbausiedlung ist — Stichwort: Gentrifizierung — zu einem beliebten Viertel für Besserverdiener avanciert. Der schwarze Künstler Anthony und seine Freundin Brianna, eine Galeristin, haben hier ein luxuriöses Loft gekauft. Doch Anthony steckt gerade in einer Schaffenskrise. Bis er von einem alteingesessenen Mann von der Candyman-Legende hört. Er beginnt vor Ort zu recherchieren, prompt werden seine Bilder immer blutrünstiger und makaberer. Und dann kommen drei übermütige Mädchen auf der Schultoilette auf die dumme Idee, den Candyman zu rufen: »Say his name!«

Schon Bernard Rose hatte die Story stimmungsvoll inszeniert, Kameramann Anthony B. Richmond sorgte für elegante Bilder. Nia DaCosta knüpft daran an und macht doch einiges anders. Zu ihren schönen Ideen zählt, das Schicksal der Titelfigur als bewegten Scherenschnitt zu zeigen und somit an die Vorgeschichte des Kinos zu erinnern. Auch bei ihr ist der Candyman ein melancholisches Monster, dem Unrecht geschah: Vor über 100 Jahren wurde der Candyman von einem weißen Mann, dessen Tochter er porträtieren sollte, bestialisch zu Tode gefoltert. Das Thema Rassismus klingt hier eindeutig an. So bewegt sich der Unhold buchstäblich am Rande der Wohlstandsgesellschaft und hält den Reichen, Weißen und Schönen den Spiegel vor. Sie haben ihre Strafe verdient, und diese Strafe ist — wie schon 1992 — sehr ruppig, sehr blutig, sehr brutal. Doch es gibt sie auch, die Momente der subtilen Spannung — wenn der Candyman hinter Mauern nur zu erahnen ist, der Stich einer Biene auf Anthonys Hand immer größer wird oder jemand davon abgehalten werden muss, Candymans Namen allzu oft zu rufen. Mit anderen Worten: Der Film ist ein verdammt unheimlicher und furchterregender Schlag in die Magengrube.

USA 2021, R: Nia DaCosta, D: Yahya Abdul-Mateen II, Teyonah Parris, Nathan Stewart-Jarrett, 90 Min.