Mittelmäßige Menschen, große Politik

»Curveball«

Johannes Nabers ­Komödie ist die ­unglaubliche Geschichte eines BND-Informanten

Fantastisch und doch wahr ist sie, die Geschichte des Rafid Ahmad Alwan al-Janabi, genannt »Curveball«. Der aus Marokko zugereiste Asylanwärter behauptete 1999 in Zirnfeld, er habe am Giftwaffenprogramm des irakischen Diktators Saddam Hussein mitgewirkt. Der Bundesnachrichtendienst (BND) witterte zunächst eine große Sache, stufte die Quelle aber bald als unglaubwürdig ein. Bis zu den Terroranschlägen am 11. September 2001, als der CIA eine Verbindung zwischen der islamistischen Al-Qaida und dem säkularen Diktator in Bagdad brauchte: US-Außenminister Colin Powell  präsentierte den schlecht informierten Informanten Alwan am 5. Februar 2003 als »glaubwürdige Quelle« und dessen erfundenen Notizen von mobilen Giftgas-Laboren als »Fakten«. US-Präsident George W. Bush ließ den Irak bombardieren. Erst 2004 — Anthrax-Vorräte wurden nie gefunden — stufte der CIA Curveball als Lügner ein.

Diese Ereignisse, Grundlage mehrerer Dokumentarfilme, inszeniert Johannes Naber mit einem Ensemble erdachter Figuren rund um den naiven Biowaffen-Experten Dr. Arndt Wolf, der Alwan für den schlitzohrigen BNDler Schatz aushorcht, dann wegen seines ­Irrtums gefeuert wird, und der ­später beobachten muss, wie Schatz mit der falschen Quelle ­Karriere macht; dies folgt der strittigen These, Deutschland habe die Wahrheit über den falschen Informanten bewusst nicht an die USA weitergereicht.

Naber erzählt keinen Agenten-Thriller, sondern eine Slowburner-Komödie, die vorführt, wie mittelmäßige Menschen große Politik mitbestimmen. Dem moralischen Potenzial des Themas — der Stellenwert von »Wahrheit« in der Politik — steht die unentschiedene Tonlage der Inszenierung gegenüber: Als Provinzposse angelegt, versucht »Curveball«, weder so bissig zu sein wie die Polit-Satire »Wag the Dog« über einen kriegstreiberischen US-Präsidenten noch so hysterisch-heiter wie »Schtonk«.

»Curveball« hat formidable Schauspieler und absurde, dialektal gefärbte Dialoge, und gegen Ende wird bei einer Schlittenfahrt alles vergnüglich zusammengebracht. Rafid Alwan lässt sich als pathologischer Lügner sehen. Aber hinter all den tolldreisten Geschichten steht eine bittere Wahrheit: Der von einer kriegslüsternen US-Regierung vom Zaun gebrochene »Vergeltungskrieg« forderte Hunderttausende Tote, beförderte die Entstehung des Terrornetzwerks Islamischer Staat und destabilisierte die Region bis heute. »Curveball« übrigens — der im Irak Saatgut anbaute — bezieht inzwischen in Süddeutschland Hartz IV.

D 2020, R: Johannes Naber, D: Dar Salim, Virginia Kull, Sebastian Blomberg, 108 Min.