Verkehrsinsel mit Zukunft

Verkehrsknoten, Entree zur Shopping-Meile, Drogen-Hotspot. Der Neumarkt gehört zu den am stärksten frequentierten Orten der Stadt. Als Platz funktioniert er nicht. Das soll sich ändern

Wenige Menschen schlendern über eine weitläufige Fläche durch die Sonne, Bäume legen die zahlreichen Sitzgelegenheiten in Schatten, Kinder spielen Fangen. Auf der zweispurigen Autostraße im Hintergrund sind zwei Fahrzeuge zu sehen. In der Sichtachse bäumt sich die romanische Basilika St. Aposteln auf.

In den vergangenen Jahren machten in Kölns Politik und Tagespresse solche »Renderings« vom Neumarkt die Runde. Dabei möchten Architekten vermitteln, wie Orte aussehen könnten, wenn man sie neu gestaltete. Je idyllischer diese Malereien gestaltet sind, desto unrealistischer ist es meist, dass es dort jemals so aussehen wird.

An einem Dienstagmittag Ende Juli steht Christl Drey an der Westseite des Neumarkts. »Das ist meine Lieblingsstelle.« Sie zeigt auf einen schmalen Fahrradweg, der erst eine 90-Grad-Kurve nimmt, ehe er zwischen einem Gitter und einem Betonpfeiler hindurchführt. Wer den Neumarkt Richtung Rudolfplatz verlässt, muss durch dieses Nadelöhr manövrieren. Drey ist nicht nur Stadtplanerin, sondern auch regelmäßige Nutzerin des Neumarkts. Sie ist Vorsitzende vom Haus der Architektur Köln (hdak), der Verein hat seine Geschäftsstelle am Platz. Drey kennt die Tücken des Neumarkts aus ihrem Alltag. »Ein Wirrwarr an Fahrspuren und Übergängen«, sagt sie, als sie auf einer Verkehrsinsel steht, während sich Radfahrer und Fußgänger eigene Routen über den Platz bahnen. Sie queren Schienen und quetschen sich an Gittern vorbei. Besonders ärgert sich Christl Drey vor St. Aposteln. Die Kirche steht keine drei Meter von der Apostelnstraße entfernt, der Gehweg ist abgepollert, man kann an der engsten Stelle kaum zu zweit nebeneinander hergehen. »Dass eine romanische Basilika mitten im Verkehrsraum steht, gibt es nirgendwo in Europa. Nicht mal in Italien.« Die Stadtplanerin sagt über den Neumarkt aber auch: »Dass es einen so großen freien Platz im Zentrum einer Großstadt überhaupt gibt, ist sehr besonders.«

Der Neumarkt ist einer der am stärksten frequentierten Orte Kölns: Drehkreuz für den Nahverkehr, Entree zur Schildergasse, in der Nähe das Museumsquartier und die Zentralbibliothek. In den vergangenen Jahren ist der Neumarkt Anlass vieler Debatten mit stadtweiter Aufmerksamkeit geworden. Ende 2016 hatte der Stadtrat beschlossen, dort einen sogenannten Drogenkonsumraum zu eröffnen. Der Neumarkt gilt seit Jahren als der Drogenhotspot der Stadt. Das Elend der Drogenkranken spielt sich nicht selten auf offener Straße ab. Um die Situation zu verbessern, sollten Abhängige in einem geschützten Raum ihre illegalen Drogen konsumieren können und Betreuung erhalten. Auch sollte der Drogenkonsum so aus der Öffentlichkeit geholt werden. Doch den Konsumraum gibt es noch immer nicht. Zunächst mobilisierten Anwohnende und Gewerbetreibende gegen die Pläne, dann fand die Verwaltung keine geeigneten Räume. Als Provisorium wurde ein mobiles Angebot geschaffen, die beiden Fahrzeuge brannten bei einem Feuer im Frühjahr aus. Ende Juni entschied schließlich der Rat, dass der Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt einziehen soll. Das Gebäude, eines der ältesten am Neumarkt, gehört der Stadt. Ende des Jahres soll das Angebot bereitstehen, fast fünf Jahre nach dem ersten Ratsbeschluss. Sozialdezernent Harald Rau freut sich, dann »Kompetenzen und Kapazitäten gebündelter einsetzen« zu können.

Auch Guido Köhler hofft auf den Konsumraum. »Wir brauchen Hilfsangebote, die auf alle wirken. Auf die Drogen­abhängigen, aber auch auf das Umfeld. Das ist die Basis, um den Platz neu zu beleben und zu gestalten«, sagt der Vorsitzende von »Zukunft Neumarkt«. Die Bürgerinitiative hatte sich gegründet, als die Pläne der Stadt für einen Konsumraum öffentlich wurden. Anwohner fühlten sich von der Verwaltung übergangen. Nachdem die Fronten lange verhärtet schienen, haben sich beide Seiten zuletzt angenähert. Zwar kritisiert die Initiative weiterhin, vom Sozialdezernat nicht in die Planung für den Konsumraum ­einbezogen worden zu sein, dennoch sitzen Stadt und Anwohnende nun an einem Tisch: Im vergangenen Herbst initiierte die Stadt den Fachkreis »Plätze mit besonderem Handlungsbedarf«. Den gibt es auch am Neumarkt. Eine Arbeitsgruppe kümmert sich seitdem um eine »unmittelbare und sichtbare Verbesserung der Situation«. Neben Zukunft Neumarkt und der IG Neumarkt, der zweiten Bürgerinitiative am Platz, sind auch Politik, Verwaltung, KVB und Polizei vertreten, die Gruppe wird vom Kriminalpräventiven Rat geleitet. »Die Arbeitsgruppe ist ein Gewinn für alle Beteiligten. Wir bringen Dinge in Bewegung«, sagt Anwohner Guido Köhler. Zukunft Neumarkt hat Ideen zur Gestaltung des Neumarkts erarbeitet: sanitäre Anlagen, Sitzgelegenheiten, Gastronomie auf dem Platz, Info-Tafeln zur Historie des Orts. Außerdem: bessere Querungen für Fußgänger und Radfahrende zu Lasten des Autoverkehrs. »Wir müssen die Verkehrsinsel Neumarkt besser erschließen«, sagt Köhler. Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte vor zwei Jahren die Idee, den 1997 stillgelegten Brunnen auf dem Neumarkt nach dem Vorbild des Ebertplatzes wieder in Betrieb zu nehmen. »In Kürze«, heißt es aus der Verwaltung, werde der Politik dazu ein Baubeschluss vorgelegt. Die BI Zukunft Neumarkt befürwortet den Vorstoß der OB. Man möchte bei der Wiederbelebung des Platzes »in kleinen Schritten denken«, betont Köhler. »Wir haben uns bewusst gelöst von der großen politischen Entscheidung, die über dem Neumarkt schwebt.«

Diese große politische Entscheidung ist die vielleicht größte der laufenden Ratsperiode: Der Stadtrat wird vermutlich im kommenden Jahr darüber abstimmen, wie man die überlastete KVB-Trasse auf der Ost-West-Achse, auf der die Linien 1 und 7 über den Neumarkt rollen, stärken kann. Die einen wollen dafür eine U-Bahn bauen, die anderen präferieren einen oberirdischen Ausbau.

Die Ertüchtigung der Ost-West-Achse gilt als Jahrhundertprojekt, weil es nicht nur den Verkehr, sondern auch die umliegende Innenstadt neu ordnet. Das gilt vor allem am Neumarkt, wo der Platz an der Nordseite an die Innenstadt und die Fußgängerzone angeschlossen werden könnte. »Im Grunde machen wir es ja dafür«, sagt Ralph Sterck von der FDP-Fraktion im Rat. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Verkehr und Stadtentwicklung. Vor allem die Befürworter einer unterirdischen Lösung, von denen die FDP der überzeugteste ist, sehen in einem U-Bahn-Tunnel die Chance, den Neumarkt neu zu sortieren. »Aber wir dürfen uns auch nichts vormachen: Das sind alles lang­fristige Überlegungen. Wir müssen auch kurzfristig etwas machen«, sagt Sterck. Man geht davon aus, dass eine U-Bahn nicht vor Ende der 30er Jahre fertiggestellt wäre. So lange kann der Neumarkt nicht warten.