Picasso signiert Mitgliedern der FDJ von ihm gestaltete Tücher auf dem internationalen Jugend­kongress in Nizza 1950. ©Succession Picasso/VG Bild-Kunst, Bonn 2021; Foto: Kunstmuseum Pablo Picasso Münster

Gebraucht, verboten, verwandelt

»Der geteilte Picasso« im Museum Ludwig zeigt den Maler zwischen Ost und West

Er war Bohemien und Avantgardist, aber auch Kommunist und Friedensaktivist — sein Publikum fand Picasso deshalb auf beiden Seiten der Mauer. »Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR« lautet der Untertitel der aktuellen Ausstellung im Ludwig. Worin treffen sich die unterschiedlichen Rezeptionen? Was trennt sie? Kuratorin Julia Friedrich erzählt im Interview über ihre ungewöhnliche Herangehensweise an den Künstler.


Was machte die Picasso-Rezeption in Ost und West aus?

Julia Friedrich: Die Rezeption war in beiden Systemen ganz unterschiedlich, schon die Bedingungen unterschieden sich: In der DDR fehlte das Geld für Ausstellungen. Auf beiden Seiten fiel den Betrachter*innen zunächst auf, wie rätselhaft Picassos Kunst war. Picassos Galerist Kahnweiler hatte von »Zeichen« gesprochen. Das griffen Kunsthistoriker auf beiden Seiten auf, doch sie fassten Picassos »Zeichen« verschieden auf. Im Westen fragte man: Was will der Künstler ausdrücken? Im Osten fragte das Publikum — oder fragten Experten und Funktionäre, die glaubten, das Publikum zu vertreten — nach sich selbst, den eigenen Bedürfnissen. Brauchen wir diese Kunst? Hilft sie uns weiter? Wohl schon, denn Picasso ist Schöpfer der Friedenstaube und Mitglied der Kommunistischen Partei. Aber in manchem weicht er doch von der Linie ab. Sollen wir sie korrigieren? Die letzte Frage wurde leider selten gestellt. Später haben sich beide Seiten einander angeglichen.

Wie wollen Sie diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Ausstellung sichtbar machen?

Sichtbar werden sie hoffentlich von selbst, wenn wir beide Seiten einander gegenüberstellen. Unser Blick hier in Köln ist ja zunächst ein westlicher, von dem sich der östliche deutlich unterscheidet. Aber mit der Differenz ist vielleicht auch der eigene Blick besser wahrzunehmen, sie macht die jeweilige Prägung bewusst.

Das Ludwig verfügt über eine der größten Picasso Sammlungen weltweit. Waren die Werke aus dem Kölner Bestand der Ausgangspunkt Ihrer Recherche?

Die Ausstellung hatte gute Voraussetzungen, das war klar. Aber den Ausgangspunkt bildeten eher meine Forschungen zu Kunstpolitik, Sammlungs- und Ausstellungspraxis der Nachkriegsjahre. Damit beschäftige ich mich schon lange. Zuletzt etwa mit der Geschichte der Documenta. Aus unserem Bestand zu sehen ist etwa der »Kopf einer lesenden Frau«, das erste Picasso-Gemälde, das die Stadt Köln angekauft hat, gegen den Willen vieler Bürger.

Auf welche zusätzlichen Leihgaben können die Besucher*innen sich freuen, woher stammen sie?

Picassos »Massaker in Korea« etwa ist eine Leihgabe des Musée Picasso in Paris. Das Gemälde war 1955 schon einmal in Köln zu sehen. Ein besonderes Exponat ist auch ein Theatervorhang aus dem Berliner Ensemble, auf den Brecht die »streitbare Friedenstaube meines Bruders Picasso« malen ließ.

Gab es innerhalb Ihrer Recherchen Informationen, die für Sie neu waren?

Da fällt mir als erstes Picassos Besuch der Gedenkstätte Auschwitz ein. In Polen erinnert man sich daran, in Deutschland ist das kaum bekannt. Am Abend dieses Tages hielt der Dichter Paul Éluard die Eindrücke in einem Satz fest, den auch Picasso unterzeichnete: »Auschwitz hat keinen Ort, sondern lastet auf unserem Ge­wissen, um es zu trüben oder zu wecken.«

Können wir heute — mit der zeitlichen Distanz zur Zeit des Kalten Krieges — davon ausgehen, dass die Kunst Picassos sowohl im kommunistischen als auch kapitalistischen System ideologisch vereinnahmt wurde? Ist es Ziel der Ausstellung, unsere stereotype Vorstellung von der Freiheit der Künste zur Diskussion zu stellen?

»Vereinnahmt« — ich glaube, diese Vorstellung ist schon der westliche Blick. Kunst soll demnach nicht »vereinnahmt« werden, sondern autonom sein, den Geschäften entzogen, denen die Menschen sonst nachjagen. In der Ausstellung setzen wir aber voraus, dass Vereinnahmung immer stattfindet und Kunst ohne sie keine Bedeutung hätte. Picassos Werk wurde in beiden Systemen gebraucht und missbraucht, verstanden, verboten, verwandelt, kurz: Es lebt. Seine Biografie spiegelt sich gerade darin wider, dass über widersprüchliche Vereinnahmungen oder Aneignungen gestritten wird. Offensichtlich geht die Kunst in keiner bestimmten Aneignung ganz auf. Vielleicht liegt darin ihre Freiheit.

Abschließend möchte ich Sie gerne fragen, was die Ausstellung mit unserer Gegenwart verbindet: Warum ist die Frage nach der Picasso-Rezeption in Ost und West gerade heute von Bedeutung?

Mich interessiert diese Rezeption auch als Modell, an dem sich etwas zeigen lässt: dass die Bedeutung künstlerische Werke nicht nur in ihnen selbst zu suchen ist. Vielleicht sind sie nur ein Anlass, etwas zu verstehen oder misszuverstehen, darüber zu sprechen, zu streiten. Also mit anderen in Verbindung zu treten. Ich habe allerdings den Eindruck, dass diese anregende Wirkung nachgelassen hat. Kunst ist heute etwas vergleichsweise Starres, das sich schlecht übertragen und verändern lässt. Vielleicht kann die Ausstellung zeigen, dass es einmal anders war. Was anders war, kann auch wieder anders werden.

»Der geteilte Picasso«

Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR
Museum Ludwig, 25.9.–30.1.2022