Alles fließt: Niklas Wandt. Foto: Harriet Meyer

So richtig Zoom

DJ, Produzent, Moderator, Multi-Instrumen­ta­list und irgendwo zwischen Krautrock, Free Jazz und Synthpop: Niklas Wandt ist ungreifbar

Der junge Niklas Wandt, geboren und verwachsen im Bergischen Land, machte sich schon früh an Kassettenrekorder und Mikrofon zu schaffen. Es folgten Schlagin­­stru­mente aus Haushaltsgegenständen, was die Eltern schließlich bewog, dem begabten Kind doch ein echtes Schlagzeug zu kaufen. Der Weg zum Radiomoderator bei WDR und Schlagzeuger in diversen Ensembles nahm seinen Anfang.

Heute blickt Wandt, Jahrgang 1989, zurück auf eine Kar­riere als Musiker, deren unberechen­barer Output sich in den letzten Jahren stetig weiter­entwickelt und verdichtet hat. Zwar prägen ihn vielfältige Koopertaionen unterschiedlichster Couleur, doch tragen die parallel betriebenen Projekte stets seine Handschrift.

Stoische Repetition, Drone, langsame Varia­tion und ­Texturwechsel, hohe ­Intensität

Sein jüngst erschienenes Solodebüt »Solar Müsli« verbindet auf beein­druckende Weise alle seiner bisherigen Ausdrucksweisen: Da ist der Erzähler, der hörspielartig durch das Album führt; da sind die frei atmenden Rhythmen seiner Jazz-Improv-Ensembles; da wabert das krautig-kosmische Ambiente von Can und Co., denen Wandt seit seiner Jugend treu ist; und schließlich wächst und gedeiht der elektronische Einfluss der letzten Jahre, in denen Wandt, 2014 nach Berlin gezogen, mit bekannten Produzenten wie Sascha Funke oder Jan Schulte alias Bufiman zusammen­gearbeitet hat und auch selbst als DJ in Erscheinung getreten ist.

Doch zurück zum Anfang: Die vielschichtige Künstlerpersönlichkeit und das auf zig Projekte verteilte Werk erschließen sich nur peu à peu aus dem Werdegang Wandts. Schon früh wurde er von Radio und Musik­fernsehen begeistert, stieß als Teen­ager auf die Alben von Miles Davis, John Coltrane und Eric Dolphy. Zwar interessierten ihn auch viele Dinge wie Indie, Folk, Metal oder HipHop, aber die wenigsten 14-Jährigen können wohl mit Free Jazz etwas anfangen. Anfang zwanzig machte es »dann so richtig zoom« mit Disco, Synthpop und der kosmischen Musik von Kraftwerk, Can, Neu!, Cluster und Ash Ra Temple.

Zu der Zeit spielte Wandt bereits improvisierend bei der Konzertreihe Denkodrom in Essen. Das dort entstandene Ensemble Transport, »stoische Repetition, Drone, langsame Variation und Texturwechsel, hohe Intensität«, mit Kollegen Nils Herzogenrath und Edis Ludwig tritt noch heute (gelegentlich) auf. In Köln besuchte er Jazzkonzerte, und der dortige Kontakt zu anderen ImprovisatorInnen war prägend. Als vielleicht wichtigste Erfahrung nennt Wandt im Interview »die freie und im besten Fall irgendwie schlüssige musikalische Gestaltung des Momentes ohne vorherige Absprachen«. Dabei hat er sich mit der Zeit »ein Vokabular an vor allem perkussiven akustischen Sounds« erarbeitet, welches er nun kontext­über­greifend einsetzt.

Selbiges brachte er auch in seinen elektronisch inspirierten Bandprojekten Stabil Elite und Oracles zum Einsatz, wobei Shoegaze, Kraut­rock und Electronica zusammentrafen. Mit den Oracles, einer langjährigen Gruppe von Freunden, ging es gar zu deutschlandweiten Festivalauftritten und schließlich nach Übersee. Der DJ Niklas Wandt hingegen ist eine neuere Erscheinung — seinen elektronischen Ausflügen als Produzent geschuldet und am eklektischen Umfeld des Düsseldorfer Salon des Amateurs geschult. Kein clubbiger four-to-the-­floor ist hier zu erwarten, sondern Perkussives, spiritueller Jazz, natür­lich Pop, Wave und ausufernde, kosmische Synth-Experimente.

Aus dieser Zeit seines Schaffens stammt die Zusammenarbeit mit Jan Schulte alias Wolf Müller: Das Duo veröffent­lichte 2018 ihr Album »Instrumentalmusik von der Mitte der World« (Growing Bin Records), dessen elektronisch-psychedelisch verspielter Folk es zu internationaler Beachtung schaffte. Auch hier mi­schen sich metronomisch gesteu­erte Maschinen mit lebhafter, organisch gespielter Perkussion und jener gesunden Portion Humor, die sich durch Wandts gesamte Arbeit zieht. Seine Veröffentlichungen mit dem Berliner House-Produzenten Sascha Funke sind ebenfalls gekennzeichnet durch krautige Synths, Drums und Vocals, wobei hier ein deutlich clubbigerer Einschlag unverkennbar rummst.

Dass bei so vielen unterschiedlichen Projekten der kreative Schaffens­prozess nicht immer der gleiche sein kann, leuchtet ein. Während Sascha Funke als viel beschäftigter Familienvater etwa auf festgelegte vormittäg­liche Studiozeit angewiesen ist, konnte sich Wandt für seine Solo-Produktionen »Erdtöne-EP« (2020) und »Solar Müsli« ganz auf die spontanen kreativen Schübe einlassen. Die Aufnahmen entstanden mal am frühen Morgen, dann erst wieder nach wochen­langer Pause. Von seinen Jahren als freier Improvisator am Schlag­zeug geprägt, zählt für ihn »das Gefühl des Teilens von etwas Unwiederhol­barem, das sich in fixierter Form auf Platte nie so ganz richtig anfühlt. Aber was, wenn man diese Offenheit im musikalischen Prozess auch in der Studio­arbeit bewahrt?« Er begann also damit, unbegleitete Drumspuren ohne große Hinter­gedanken aufzu­nehmen. Die Nach­bearbeitung war nur minimal, und die gleich im ersten Versuch aufgenommenen Takes wurden später »zu Stücken weitergesponnen, ohne einen großen Plan und natürlich mit gehörigen Limitationen in harmonischer und musikt­heoretischer Hinsicht«.

Im Jahr vor Corona hatte Wandt erstmals mehr Zeit unterwegs als zuhause verbracht. Die Vereinfachung und Verlangsamung des Lebenswandels war der Nährboden, aus dem das Solodebüt entstand. Die besonderen Umstände und die offene Herangehensweise an die Aufnahmen hat »Solar Müsli«, das daraus erwachsene Album, zum bislang persönlichsten Werk Wandts gemacht, das die unterschiedlichen Elemente seiner Künstler­persönlichkeit am besten abbilden kann. Augen­zwinkernd, aber selbst­bewusst vor­ge­tragen, verschmelzen die Einflüsse aus Krautrock und der psyche­delischen Welt des Free Jazz mit seiner hörspielhaften Erzähler­stimme und den organisch anmutenden, rhythmischen Unterbauten. »Ich habe keine Ahnung, wo die Reise anfing, aber ich habe jetzt zumindest erste Puzzle­stücke gefunden«, heißt es im Begleittext zu »Solar Müsli«.

Zurzeit puzzelt Wandt an einer weiteren Platte mit Sascha Funke, und auch »eine Art psychedelisches Hörspiel« mit dem Wiener Produzenten Feater ist geplant. Sein deutschsprachiges Wave-Duo Neuzeitliche Bodenbeläge mit Joshua Gottmann, schon bei Oracles ein Bandkollege, will sich im Dezember wieder im Studio einfinden. Eine weitere Einspielung mit Jan Schulte alias Wolf Müller ist zwar »ein bisschen auf der langen Bank, aber definitiv gewünscht«.

So viele unterschiedliche Kontexte sind es, in denen sich Wandt »total wohl« fühlt. Tatsächlich schafft er es, sie alle am Leben zu halten und gleichzeitig neue Projekte zu realisieren. Eines davon wäre die Live-Aufführung von »Solar Müsli«. Dafür bräuchte es aber erst mal die entsprechenden »Mitspieler:innen und Budget«.

Neben den vielen Studioproduktionen hat Wandt dieses Jahr nach langem wieder zurück zur freien Improvisation gefunden — gemeinsam mit dem Saxofonisten Otis Sandsjö, was aber einige Vorbereitungszeit benötigt, um »wieder halbwegs im Saft« zu sein. Langeweile dürfte keine aufkommen.

»Gefühlt geht es immer rein und raus aus Situationen fast büroartiger Regelmäßigkeit — Üben, Sessions. Produzieren — und eher unregelmäßigen Abläufen, vor allem jetzt, wo wieder Gigs und damit verbundene Reisen anstehen«, beschreibt Wandt die Situation.

Als geübter Improvisator wird ihm das keine allzu großen Probleme bereiten.

Tonträger

Niklas Wandt, »Solarmüsli« (Bureau B/Indigo)
bereits erschienen