Bäume oder Räume?

Einerseits hapert es in Köln beim Klimaschutz. Andererseits fehlen dringend benötigte Schulen. Nun ist ein Streit entbrannt, ob man beide Ziele verfolgen kann — oder welches Anliegen wichtiger ist

Am Niehler Kirchweg gibt es viel Beton und Asphalt. Kathrin Rothenberg-Elder will das ändern. Im August spazierte sie mit der Nippeser Bezirksbürgermeisterin Diana Siebert (Grüne) den Niehler Kirchweg entlang, der von der Hochbahn durchschnitten wird. Darunter: ein Parkplatz. Rothen­burg-­Elder ist Psychologin und engagiert sich bei Scientists for Future. Sie fragt sich: Wie kann man Menschen zu klima­sensiblem Handeln bewegen?

»Ich dachte, ich probiere es vor meiner Haustür aus«, so Rothenberg-Elder. Dann gründete sie die Initiative »Natur für Nippes«. Der Bezirksbürgermeisterin Diana Siebert schlug sie vor, hier zu entsiegeln, dort zu begrünen, das kam gut an. Aber dann erfuhr Rothenberg-Elder, dass mehr als 100 Bäume gefällt werden sollen — gegenüber ihrem Haus, wo sich die Edith-Stein-Realschule und das Barbara-von-Sell-Berufskolleg befinden, die wie viele Schulen saniert und wegen steigender Schülerzahlen erweitert werden müssen. Im November sollen die Bauarbeiten beginnen, die Schülerinnen und Schüler werden übergangsweise in Containern lernen.

Klimaschutz und ein ordentliches Lernumfeld — ist das vereinbar? In keiner anderen Stadt in NRW gab es in den vergangenen zehn Jahren so viele Hitzetage wie in Köln. 2019 hat die Stadt sich zum Klimaschutz verpflichtet und den Klimanotstand ausgerufen. Aber Köln befindet sich auch im Schulnotstand. Die Stadt braucht in den kommenden zehn Jahren 54 neue Schulen. In keiner anderen Stadt in NRW sind die Klassen an weiterführenden Schulen so groß wie in Köln.

»Schulbau ist fraglos dringend nötig«, sagt Kathrin Rothenberg-Elder, deren Tochter selbst eine Zeitlang die Realschule besuchte. Dass aber 102 Bäume gefällt werden sollen, macht sie fassungslos. »Ich hab mich richtig verarscht gefühlt.« Zwei Dinge regen sie besonders auf: »Dass in Politik und Verwaltung so wenig Wissen über den Klimawandel herrscht.« Und, dass der Beschluss der Fällungen so intransparent ablief. Rothenburg-Elder steht vor der Berufsschule und zeigt auf ein paar Bäume mit weißem Band um den Stamm. »Dieser Baum soll gefällt werden«, steht darauf, sie und ihre Tochter haben die Bänder angelegt. »Es geht nicht um die Frage: Schüler oder Bäume«, sagt die Psychologin. Alle hätten die gleichen Interessen. Ein Baum erbringe eine Leistung von zehn Klimaanlagen. »Bäume fällen ist schlecht fürs Klima, und es ist vor allem schlecht für die Schüler, die hier manch­mal den ganzen Tag verbringen.« Rothenburg-Elder drang auf einen Ortstermin mit Politik, Verwaltung, Architekturbüro — plötzlich hieß es, 34 Bäume könne man erhalten, oder umpflanzen. Das schnelle Einlenken macht Rothenburg-Elder skeptisch. Hat man Klima­fragen bei der Planung außer Acht gelassen? »Ich bin überzeugt, dass man bei vernünftiger Umplanung den allergröß­ten Teil der Bäume retten könnte«, so Rothenburg-Elder.

»Die Zahl von 102 Bäumen war ein Schock«, sagt auch Max Beckhaus, Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Bezirksvertretung Nippes, wo ein Bündnis aus Grünen, Klima Freunden, FDP, Linken und Gut regiert. Die Beschlüsse zur Schulsanierung sind vier und fünf Jahre alt. Dennoch erkennt Beckhaus an, dass etwas passieren muss. »Die Schülerzahl steigt, der Raum wird knapp. Man muss leider bauen.« Die Neubauten würden aber, wie vorgeschrieben, im Passivhausstandard errichtet, Dach- und Fassadenbegrünungen sowie Neupflanzungen von Bäumen auf dem Schulgelände seien geplant. »Aber bei den Bäumen hätte man besser aufpassen müssen.« Beckhaus ärgert sich vor allem über die geplante Tiefgarage unter dem Neubau. Ihretwegen wird es viele Fällungen geben. »Die Schule ist gut angebunden, die Schüler sind jung und können Fahrrad fahren«, so Beckhaus. Doch die Stellplatzsatzung schreibt eine bestimmte Anzahl Parkplätze vor.

Andreas Hupke, seit 17 Jahren Bezirksbürgermeister der Grünen in der Innenstadt, läuft an einem sonnigen Oktobermorgen über den Venloer Wall und zeigt auf parkenden Fahrzeuge. »Das Auto ist in Köln noch immer das goldene Kalb. Das merkt nur keiner! Stattdessen attackiert die Verwaltung das höchste Gut: unser Grün«, ruft Hupke und deutet auf den Inneren Grüngürtel, der sich von hier bis zur Luxemburger Straße im Süden und im Norden bis zum Rhein erstreckt. Als Oberbürgermeister sorgte Konrad Adenauer vor fast hundert Jahren dafür, dass der innere Befestigungsring aus der Preußenzeit zur Grünanlage wurde. »Das ist ein Angriff auf das Erbe Adenauers«, sagt Hupke und findet es lustig, dass er als Grüner das sagt.

Zwei Interimsschulen will die Stadt im Inneren Grüngür­tel errichten. Dafür müssen Böden versiegelt und 13 Bäume gefällt werden. Während für den Standort an der Kreutzerstraße nahe dem Quäker-Nachbarschaftsheim keine Bäume weichen müssen, entzündet sich Streit am zweiten Modulbau am Venloer Wall. Er soll auf dem Außengelände der beiden städtischen Kitas errichtet werden. Nacheinander sollen sechs Innenstadt-Schulen einziehen, beginnend mit der Grundschule Antwerpener Straße und der Montessori-Grund­schule Gilbachstraße. Damit werden laut Verwaltung 700 Schulplätze gesichert und 120 neue geschaffen. Zwar ist der Grüngürtel Landschaftsschutzgebiet, die beiden ausgewählten Standorte jedoch »baulicher Innenbereich«. Dort besteht Baurecht. »Die Verwaltung holt sich einen Freifahrt­schein, indem sie sich auf Schulen und Kitas beruft«, schimpft Hupke. Die Stadt habe den Schulnotstand durch jahrzehntelange Untä­tigkeit herbeigeführt und gehe nun den einfachsten Weg, statt ökologische Alternativen zu suchen, so Hupke. Die Bezirksvertretung habe eine Liste möglicher Standorte präsentiert, alle seien abgelehnt worden. Nun wurde dort ein Beschluss gefasst, dass auf Grünflächen keine »Interimsbauten kommunaler Bau- oder Sanierungsvorhaben« mehr entstehen dürfen. Stattdessen müssten »Straßenzüge oder versiegelte Grundstücke« ausgewählt werden. Die städtische Gebäudewirtschaft teilt mit, man habe 21 alternative Standorte geprüft. »Alle angemessenen alternativen Optionen wurden immer schon im Vorfeld sorgfältig geprüft und, wenn möglich, ausgeschöpft«, so eine Stadtsprecherin. Die Nutzung von Grünflächen sei nur zeitlich begrenzt und unter strengen Auflagen gestattet.

Auch die Eltern der beiden Kitas am Venloer Wall, deren Außengelände durch die Interimsbauten verkleinert werden, empören sich: »Wir sind in die Planungen nicht einbezogen worden, obwohl das pädagogische Konzept unserer Kita auf dem naturnahen Außengelände beruht«, so Patrizia Bader, Elternbeiratsvorsitzende der Kita am Venloer Wall. Die Stadt weist daraufhin, dass dennoch fast das Doppelte der empfohlenen Außenfläche erhalten bleibe. Auch Patrizia Baders Tochter wird kommendes Jahr die Grundschule Antwerpener Straße besuchen. »Natürlich bin ich für Schulplätze«, sagt Bader. »Aber es muss eine andere Möglichkeit geben, als Kinder gegen Kinder auszuspielen und den Grüngürtel zu bebauen.«

»Ich bin Lobbyist für Kinder«, sagt Jochen Ott. Der SPD-­Landtagsabgeordnete bezeichnet sich als Grünliebhaber und engagiert sich in der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Doch Schulbildung habe Priorität. »Was nutzt Kindern Klimaschutz, wenn sie schlechte Bildungschancen haben oder mit dem Auto quer durch die Stadt gefahren werden müssen?« Was für das Klima gelte, gelte auch für den Schulbau. »Da ist fünf vor zwölf absolut untertrieben!« In größter Not müsse man auf Grünflächen ausweichen, wie zuletzt beim Dreikönigsgymnasium in Bilderstöckchen, das an den Rand des Blücherpark ausgelagert wurde: »Wir haben zehn Jahre verloren, weil es keine Bereitschaft gab, hier ein Interim aufzustellen. Da muss erst ein Ziegel auf den Kopf eines Schülers fallen, bevor Bewegung in die Sache kommt!«, sagt Ott.

Alle sind für Bäume, alle für gute Bildung. »Dass wir jetzt diesen Konflikt haben, liegt nicht an uns«, sagt Kathrin Rothenburg-Elder von Natur für Nippes. »Das hat die Stadt versiebt, die sich nicht an die eigenen Bekenntnisse zum Klimaschutz hält.«