Bis die Grenzen verschwinden: Aksak Maboul, Foto: Samuel Kirszenbaum

Die Grenzen verschwinden lassen

Aksak Maboul und ihr Mastermind Marc Hollander tauchen in die Vierte Welt ein

Das Klischee des »unsung heroe« taucht immer dann auf, wenn Menschen im Hintergrund werkeln, dabei jedoch große Ver­ände­rungen, Verbesserungen, Revolutionen lostreten. Label-Macher kön­nen unbesungene ­Helden sein, für deren Wirken in der dritten Reihe andere abgefeiert werden. Der Belgier Marc Hollander lässt sich problemlos in diese Ka­tegorie einordnen. Wie kaum ­ein anderer hat er das Verständnis von (Pop-)Musik in den letzten 40 Jahren mitgeprägt — und doch ist er bis heute den meisten Menschen weitgehend unbekannt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass seine eigene Band Aksak Maboul, für drei Dekaden ruhen musste, damit Hollander Genre-, Kultur- und Ländergrenzen sprengen konnte.

Auf der Bildfläche erscheint er Ende der 70er Jahre mit der Kombo Aksak Maboul, die er mit seiner heu­tigen Partnerin Veronique Vincent und weiteren gründete. Sie waren Teil einer Entwicklung, die von Zeitgenossen wie Brian Eno oder Jon Hassell angestoßen wurde und die man ehedem »Fourth World« nannte. Dahinter stand eine einfache Rechnung: Wenn man die sogenannte Erste Welt und die Dritte Welt zu­sammenbringt, wenn man die kulturellen Praktiken verschmelzen lässt, dann entstehe die Vierte Welt.

Ganz klar: Heute haben sich die meisten von diesen Begriffen verabschiedet, projizieren sie doch (post-)koloniale Ideologie auf die Gemachtheit der Welt. Die Idee der fourth world hatte aber in verschiedenen Gewändern stets ein Fortbestehen und ist in den letzten zehn Jahren wieder prominent aufgegriffen worden: Wenn sich etwa Superstars wie Ed Sheeran oder Drake an Afro-Pop-Rhythmen bedienen, dann steckt darin neben viel betriebswirtschaftlichem Kalkül immer noch der Traum einer Synthese von weltumspannenden Klängen.

Von Berechnung konnte aber bei den ersten beiden Alben von Aksak Maboul keine Rede sein. An­fäng­lich war das Projekt im Post-Punk beheimatet; man nutzte den europäischen Diskurs nach Disco und Punk, um frei von Szenegedünkel und soundästhe­tischer Formatierung vielgestaltige Songs zu schreiben. Hollanders Interesse an dem, was man damals Weltmusik nannte, bahnte sich immer wieder Bahn: Auf dem Debüt »Onze Danses Pour Combattre La Mi­graine« findet man Bossa Nova nebst Jazz, fränzösische Chanson-Strukturen, afrikanische Folklore und und und.

Diese Freiheit trieb die Band gleichwohl in eine Krise, wenn man es so nennen mag: »Nach zwei Alben hatten wir ein kreatives Loch. Wir waren nicht mehr in der Lage etwas zu produzieren, das nicht nach verwässerten Versionen der Songs klang, die wir schon produziert hat­ten«, so Hollander im Rückblick. Er habe eine »fast schon pathologische Aversion« gegen den Stillstand entwickelt. Was er selbst als Musiker nicht mehr schaffte, das wollte er nun anderen ermöglichen. Dies war die Geburtstunde für Crammed Discs. Mit dem Label hat er bis heute etwa 375 Alben und 275 Singles ver­öffentlicht: »Die Arbeit am Label fraß meine gesamte Zeit und Energie auf.« Der Hingabe für das Fach dürfen Musikfans bis heute dankbar sein. Es begann mit der israelischen Gruppe Minimal Compact — und spann sein Netz über nahezu alle Konti­nente. Crammed Discs veröffentliche Platten von Künstler*in­nen aus den USA (Tuxedomon und John Lurie) über Äthiopien (Mah­moud Ahmed) nach Japan (Yasuaki Shi­mi­zu), dann Norwegen, Rumänien, Argentinien, Brasilien, China usw.

Während wir heute unabdinglich feiern, dass die musikalische Welt so eng zusammengewachsen ist wie noch nie in der Menschheits­geschichte, dann ist das nicht bloß Ergebnis technischen Fortschritts (Internet), sondern tatsächlicher Arbeit solcher Pioniere wie Hollander und Crammed Discs zu verdanken. Die eigenen musikalischen Ambitionen hat er derweil nie ganz begraben. Über 30 Jahre gab es Skizzen zu einem dritten Album: »Zu poppig für die Fans unserer Experimente, zu seltsam für ein Pop-Publikum.« 2014 entschieden sich Hollander und Vincent die Stücke auf dem Album »Ex-Futur Album« endlich zu veröffentlichen. »Die gesamte Musikwelt hatte sich verändert, war aufgeschlossener gegenüber Eklektizismus geworden.« Ein Ruck ging durch das Projekt, »wir suchten uns neue Mit-Musi­ker und wollten dieses Album auch live realisieren.« Die herausragende Rezeption der Platte habe sie bestätigt in diesem Anliegen. Sie versammelten eine Band, die einen ganz eigenen Sound entwarf: »Sehr organisch, mit experimentellen, fast schon psychedelischem Anspruch.« Anders als die viel roheren Entwürfe aus den 80ern, die alle noch auf Band produziert worden waren; teilweise sogar vor der Einführung des Midi-Standards.

Der Erfolg gab ihnen recht — und führte über kleinere Umwege zum mittlerweile vierten Album »Figures« aus dem letzten Jahr. An dem im Übrigen auch Faustine mitgespielt und -produziert hat — die Tochter von Hollander und Vincent. Aksak Maboul soll dennoch kein Familien­business bleiben, die Ansprüche sind anderer Natur: ­»Wir wollen mit unserer Musik die Erzählung vom ›The West and The Rest‹ weiter aufbrechen. Diese ­Zeiten sind längst überkommen.«

Der Anspruch ist universell, was sich auch darin äußert, dass Hol­lander im Interview nicht etwa betont, dass der Westen sich für den Rest der Welt geöffnet habe — er kritisiert beizeiten sogar die Inkorporation nicht-westlicher Klänge. Viel mehr betont er, dass in Zeiten von Streaming Menschen in Kasachstan, Peru und dem Se­negal die Möglichkeit haben den Katalog von Crammed Discs und Aksam Maboul zu erforschen. Es geht diesem gar nicht so unbesungenen Helden nicht darum die Grenzen zu verwerten, sondern sie verschwinden zu lassen.