»The Sadness«: Die sehen gar nicht traurig aus

Zivilisationen kommen und gehen, Zombies bleiben

Das Fantasy Filmfest bittet mit politisch umsichtigem Genrekino zu Totentanz und Schwanengesang

Dieses Jahr finden viele bekannte Veranstaltungen auf leicht verschobene Art statt. Das Publikum wird es den Kulturschaffenden hoffentlich danken, bevor im nächsten Jahr wieder halbwegs Normalität herrscht. Das Fantasy Filmfest etwa wird dieses Mal im Hochherbst gewuppt, nicht im Sommer. Wobei der Herbst eigentlich eine prima Zeit für ein Festival dieser Art ist. Da wird sich nach so manchem Film die Grenze zwischen Kino und Wirklichkeit noch etwas schummriger anfühlen.

Die Festivalmacher*innen dürfen sich dazu noch ganz besonders feste selbst auf die Schulter klopfen: Mit Nicolas Bedos’ »OSS 117: From Africa with Love«, Philip Gelatt und Morgan Galen Kings »The Spine of Night« sowie Bertrand Mandicos »After Blue« sind nämlich gleich drei der besten Filme dieses Jahres im Angebot. Chapeau!

Es gibt auch Vernachlässigenswertes der überambitionierten Art — zum Beispiel Tony Stones Unabomber-Innenansichten-Anmaßung »Ted K«, Filip Jan Rymszas in Stilwillen erstarrte Wall Street-Allegorie »Mosquito State« oder Valdimar Jóhannssons arg mit Andersartigkeit prahlender »Lamb«. Aber neben diesen auf die eigenen Oberflächen konzentrierten Anstrengungen stehen kompakt-bescheidene Genre-Perlen wie etwa Benny Chans Actionspektakel-Schwanengesang »Raging Fire« oder Rob Jabbaz’ Zombiefilm-Kommentar zur rechten Covid-Zeit, »The Sadness«.

Und was könnte im Jahr eines weiteren vermaledeiten James-Bond-Films wesentlicher sein als ein neues, absurdes Spionage-Abenteuer mit Agent Hubert Bonisseur de La Bath? Nachdem Regisseur Michel Hazanavičius angeblich aufgrund kreativer Differenzen den dritten Teil nicht mehr drehen wollte, ging »OSS 117: From Africa with Love« an Nicolas Bedos. Dessen »Die schönste Zeit unseres Lebens« gehörte 2019 zu den angenehmen Überraschungen. Nun fragt man sich, ob das Projekt Hazanavičius politisch etwas zu frontal war? Denn im Vergleich mit den Vorgängern »OSS 117: Der Spion, der sich liebte« und »OSS 117: Er selbst ist sich genug« ist »OSS 117: From Africa with Love« weniger schelmisch als zynisch geraten. Sicher, die Scherze drehen sich wieder um dieselben Themen, allen voran Chauvinismus, Xenophobie und Sexismus, aber zwischen 2009 und 2021 hatte Frankreich unter anderem einen Präsidenten namens Nicolas Sarkozy und die USA Donald Trump. Beide haben Spuren hinterlassen im konservativen Establishment des jeweiligen Landes. Chauvinismus zum Beispiel ist keine drollige Haltung mehr — Chauvinismus tötet, wie wir gerade in den USA immer wieder seit 2017 gesehen haben. Das hat er immer getan. Bloß: jetzt wissen wir das wieder etwas genauer. In gewisser Hinsicht kann man sich »OSS 117: From Africa with Love« auch als Zombiefilm anschauen, mit OSS 117 und seinem Vorgesetzten als Untoten des Nachkriegsfrankreich. Zombies der Ära de Gaulle, die auf ewig weitermachen werden, während die jüngeren Generationen vor sich hin scheitern, vor allem an der eigenen Arroganz. Ist es möglich, dass dieser Totentanz der Demokratie einer der politisch aufmerksamsten wie klügsten Filme der letzten Zeit ist?

Politisch ähnlich umsichtig erscheint »The Spine of Night«, eine animierte Fantasy-Erzählung davon, wie Kulturen untergehen. Buchstäblich. Die Geschichte wird dem unsterblichen Wächter, der seine Sterblichkeit entdecken darf, dargelegt von einer Hexe, die von den Toten auferstanden ist. Die Handlung erstreckt sich über Jahrhunderte. Zivilisationen kommen und gehen. Korruption herrscht überall, Klassenantagonismen werden dauernd neu geschaffen, um die Massen gegeneinander aufzuwiegeln und auszuspielen — zur Glorie wie zur Mehrung des Reichtums der Wenigen. Überraschend an dem Film ist sein Tonfall: »The Spine of Night« kommt erstaunlich melancholisch rüber, verweigert sich Exzessen. Selbst wenn das Blut in Strömen fließt, wirkt es nie sensationsheischend, sondern angemessen. Das Blutvergießen wird nun mal in Kauf genommen, um an der Macht zu bleiben.

»After Blue« erfreut durch emo-poppige Überkandideltheit. Kurioserweise fällt im Zusammenhang mit diesem Film selten das Wort »Western« — aber keine Genrezuordnung greift genauer. Um es auf den Punkt zu bringen: »After Blue« schaut sich gut als Variation Sergio Corbuccis »Leichen pflastern seinen Weg« von 1968. Nur, dass es hier allein Frauen sind, die sich töten, schikanieren, und schließlich eine allein auf Kopfgeldjagd schicken, weil ihre Tochter Mist gebaut hat. Gedreht wurde in High Concept-campigen Studiokulissen und vielleicht ab und sogar mal draußen an der frischen Luft. Szenen, die so lange bearbeitet wurden, bis alles wie Katzengold aussieht. Geredet wird in wundersam wirren Sätzen, die Pferde bleiben aber weiterhin Pferde. Tradition verpflichtet. Dass das Ganze in einer Zukunft nach dem Untergang der Mannheit spielt — die Kerle sind alle krepiert, weil ihre Haare nach innen gewachsen sind — ändert daran nichts. Ganz großes Kino. Erhebend. Und das braucht man ab und zu mal.

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