Was ist ihre Rolle?

Pleasure

Nackte Wahrheiten: Ninja Thyberg erzählt die Geschichte einer jungen Porno-Darstellerin

Das Spielfilmdebüt der schwedischen Filmemacherin Ninja Thyberg ist nichts für Menschen, denen im Kino eh schon zu viel Sex und nackte Haut gezeigt wird. Wenig zimperlich erkundet die 37-Jährige durch die Augen eines jungen Starlets, wie die milliardenschwere Pornoindustrie und die Menschen, die in dieser Branche vor und hinter der Kamera ihr Geld verdienen, ticken. Gleich am Anfang wird Linnéa (Sofia Kappel in ihrer ersten Hauptrolle) vom amerikanischen Grenzbeamten bei der Einreise aus Schweden am Flughafen gefragt: »Business or pleasure?« und etabliert damit die Pole von Geschäft und Vergnügen, zwischen denen sich die Szene vermeintlich bewegt. »Pleasure«, nuschelt die junge Frau mit den platinblonden Haaren, die sich nun Bella Cherry nennt und in Los Angeles ihren Traum einer Pornokarriere erfüllen will. Mit ihren 19 Jahren ist sie alles andere als ein Opfer. Sie weiß, was sie will: das große Geld und ein Star werden. Sie kommt in einer WG mit anderen Darstellerinnen unter, ergattert erste Aufträge. Doch schnell erkennt Bella, dass sie für den Durchbruch, und um nach ganz oben zu kommen, einen hohen Preis zahlen muss.

Thyberg, die sich bereits vor dem Film als »radikale Anti-Porno-Aktivistin« jahrelang mit Ausbeutung und Machtstrukturen in der Industrie auseinandergesetzt hat, vermeidet simple Verurteilungen und zwängt ihre Protagonistin in keine vorbestimmte Rolle. Sie konzentriert sich auf die Arbeitsbedingungen und darauf, wie die Bilder, die durch Online-Pornografie allzeit verfügbar sind, die Identität, Geschlechterrollen und das soziale Verhalten der Menschen beeinflussen. Sie zeigt aber auch, was sonst ausgeblendet wird: den Blick hinter die Kulissen, in teils sehr deutlichen Szenen wie etwa einem übergriffigen Fetischdreh. Und sie zeigt  auch die Solidarität unter den Frauen, die sich jener Spielregeln meist sehr bewusst sind, die ihr Handeln und ihr Selbstwertbefühl prägen — in jeder Hinsicht. Dabei erweist sich die Pornoindustrie als brutal-ehrlicher Turbokapitalismus, der kein Hehl daraus macht, dass Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen. Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit sind auch hier längst cleveres Selbstmarketing und Followerzahlen auf Sozialen Medien entscheidend. Thyberg ist bei ihrer fiktiven Geschichte, auch dank intensiver Recherche, irritierend nah an der Realität. Außer der scheinbar nahezu angstfreien Hauptdarstellerin stehen fast durch die Bank reale Protagonist*innen der L.A.-Pornoszene vor der Kamera. Vor allem die Männer, ob Produzenten oder Performer, geben oft kein gutes Bild ab.

SWE/NL/FR 2021, R: Ninja Thyberg, D: Sofia Kappel, Evelyn Claire, Dana DeArmond, Revika Anne Reustle, 109 Min.