Was ist ein Original?

The Lost Leonardo

Ein teures Gemälde wird in Andreas Koefoeds Doku zur umstrittenen Filmrequisite

Obwohl »The Lost Leonardo« um ein einziges Gemälde kreist, ist das Werk, das 2005 wundersam in New Orleans auftauchte und Jesus als Salvator Mundi darstellt, in diesem Dokumentarfilm nur kursorisch zu sehen. Vereinzelt werden Fotos und IR-Aufnahmen eingeblendet, die Erhaltungsschäden andeuten sowie verborgene Unterzeichnungen. Archivaufnahmen zeigen das Bild kurz in der Londoner Nationalgalerie, die 2011 überraschend vorbehaltlos da Vinci zu seinem Schöpfer erklärte. Ähnlich knappe Eindrücke ergeben sich wiederum aus Nachrichtenbildern von der Verkaufsschau, mit der jene New Yorker Auktion vorbereitet wurde, die 2017 den aktuellen Rekordpreis für Kunst aufstellte: 450 Millionen Dollar.

Dagegen ist in kurzen, nachgestellten Szenen, die die auffallend lange Restaurierung des Gemäldes andeuten, eine renommierte Expertin offenkundig neben einer Nachbildung zu sehen. Das gleiche gilt für einen launigen Kritiker, der kurzerhand seine Einschätzung auf die Bildfläche kritzelt, dass es beim Thema dieses Films nicht um Kunst gehe — und erst recht nicht um einen echten Leonardo. Dabei reflektiert die Selbstverständlichkeit, mit der Andreas Koefoed mit solchen Inszenierungen das Rekordobjekt zur nachgemachten Filmrequisite degradiert, ganz beiläufig den Umstand, dass die konkreten Qualitäten und die Aura des (angeblichen) Originals wohl längst vom grellen Sensationscharakter erstickt wurden.

Dass Geschmacklosigkeiten und Absurditäten dennoch faszinieren, beweist der dänische Filmemacher, indem er als ›Talking Heads‹ einfach jeden und jede einfängt, die Relevantes zum Thema beitragen mögen. Das reicht von den umtriebigen New Yorker Kunsthändlern, die das Bild zunächst für gut 1000 Dollar erwarben, bis zum skrupellosen Betreiber eines Schweizer Zollfreihafens, der es ihnen 2013 für über 80 Millionen abkaufte — um es mit etwa 50-prozentigem Gewinn sogleich an einen in Monaco lebenden russischen Oligarchen zu verhökern.

Umso bezeichnender wirkt angesichts der fesselnden Plauderei aber schließlich der subtile Horror, den ein Foto zweier stumm bleibender Kerle verströmt, die vorm Louvre posieren, während der »Salvator Mundi« wohl als geopolitisches Faustpfand in ihren diplomatischen Verhandlungen firmiert: Das feiste Grinsen des mörderischen De-facto-Herrschers von Saudi-Arabien und aktuellen Besitzers des Rekordbildes, Mohammed bin Salman, sagt, während er seinen Arm um den etwas verlegen dreinblickenden Macron legt, mehr aus als jeder Pinselstrich Leonardos (oder wer auch immer »Salvator Mundi« gemalt haben mag).

DK/F/SWE 2021, R: Andreas Koefoed, 97 Min., Start: 23.12.