In Köln geboren, in der Welt zuhause

Zum Abschluss dieses traurigen Club-Jahres ein bisschen Herzenswärme mit Aroma Pitch

Eine DJ-Sendung beim Kölner Hochschulradio Kölncampus, gut zehn Jahre ist es her. Da standen Aroma Pitch das erste Mal bei mir an den Reglern, wir kannten uns über gemeinsame Schulfreunde. Heute sind das umtriebige Trio Magnus, Jesse und Julius  samit ihrer Reihe Cologne Sessions aus dem Kölner Nachtleben nicht mehr wegzudenken. Obwohl sie dafür ein forderndes Doppelleben mit Studium in Berlin und eigener Party in Köln gleichzeitig hinlegen mussten. Nun erscheint ihr Debütalbum »Interlife« beim Münchner Label Public Possessions. Wir haben uns über die Geschichte einer modernen Boyband unterhalten.

Stimmt es eigentlich, dass ihr schon in der Schule zusammen Musik gemacht habt?

Magnus: Jesse und ich waren ab Stufe 5 in derselben Klasse und haben schon früh gemeinsam Schlagzeug-Stücke aufgeführt. Das war rückblickend eine wichtige Bühnen- und Improv-Erfahrung. Später, im Teenageralter, kamen dann außerschulische Bandprojekte zustande, bei denen auch schon erste Do-It-Yourself-Recordings im Netz oder auf CD veröffentlicht wurden.

Jesse: Julius lernten wir etwas später kennen, mit 17 oder so. Damals waren wir drei alle Schlagzeuger. Die beiden wollten eine neue Band gründen, und Magi rief mich an und holte mich ins Boot. Wir einigten uns schnell darauf, dass wir elektronische Musik machen wollen. Daraufhin entstanden dann die ersten Versuche und wir lernten das Auflegen.

Wie legt man sich als elektronisches Trio denn auf einen Stil fest?

Julius: Jeder von uns bringt ständig neue Ideen mit ein. Das gilt sowohl fürs Auflegen als auch für’s Live-Spielen an den Geräten. Dabei ist es uns schon immer wichtig gewesen, dass die einzelnen musikalischen Impulse zusammen als Ganzes funktionieren. Über die Jahre haben wir einen kollektiven musikalischen Verstand entwickelt: Obwohl jeder seine individuellen Nuancen mitbringt, können wir uns meist schnell auf einen gemeinsamen musikalischen Nenner bringen, sobald wir alle drei zusammenkommen.

Jesse: Das Schöne bei elektronischer Musik ist, dass man anfangs oft nicht weiß, was sich klanglich ergeben wird. Und das Überraschende ist, dass man selbst nach vielen Jahren des Musikmachens immer noch Klänge und Sphären erschaffen kann, die einen aufhorchen lassen, die man als neu und reizvoll empfindet, in die man eintauchen will.

Gibt es bei euch sowas wie eine klasse Rollenverteilung?

Alle: Magi und Jesse sind unsere Beat-Master und benutzen dafür Drum-Machines wie zum Beispiel die 808 von Roland oder den Octatrack als Sampler. Die Basslines kommen meistens von der SH-101. Julius ist für Akkorde und Melodien zuständig und frickelt, wenn er nicht gerade in die Tasten schlägt, an seinem Modular-Synthesizer rum. Wer sich das Ganze nicht so recht vorstellen kann, kann zum Beispiel unseren Live-Auftritt im Berliner Internetradio HÖR von diesem Jahr auf Youtube angucken.

Und im Studio? Wie geht ihr an neue Aufnahmen heran?

Julius: Meistens fangen wir mit einem Live-Jam an, den wir auf Multitrack aufnehmen. Hier werden Ideen gesammelt und nach einer Grundstimmung gesucht. Falls uns bestimmte Parts besonderes gefallen, benutzen wir die Einzelspuren als Grundlage für eine neue Produktion. Diese beinhaltet dann auch das Einspielen von zusätzlichen Layers und das Arrangieren in einen Song. Als letzter Schritt kommt der Feinschliff, also das EQen und Abmischen einzelner Elemente bis hin zum fertigen Mix.

»Interlife« ist euer erstes Album, nach fünf EPs, die ihr im Selbstverlag veröffentlicht habe. Hat es lange dafür gebraucht?

Jesse: Haha, ewig lange hat das gedauert! Wir haben vor etwa drei Jahren entschieden, uns an ein Album heranzuwagen. Von da an haben wir intensiver an dessen Zusammenstellung gearbeitet. Kein schneller Prozess. Tatsächlich hat Corona hat uns hier ein gutes Stück Freiraum geschaffen. Wir hatten ja einfach nicht mehr viel zu tun unter der Woche; und am Wochenende dann Studio statt Club oder Bar. Wir konnten den Fokus stark auf die Produktionen richten. Andererseits hat natürlich unsere DJ-Seite gelitten. Aber man kann nicht alles haben.

Köln, Berlin oder Detroit — wonach klingt Aroma Pitch heute?

Magnus: Wir lassen uns seit über zwölf Jahren Bandgeschichte von so vielen Dingen inspirieren und wechseln ja auch stetig unseren Geschmack. Ich würde behaupten, dass alles aufeinander aufbaut bzw. man sich weiterentwickelt und immer stilbewusster wird. Köln und seine Szene hat uns gerade in den ersten Jahren stark geprägt — sowohl was die eigenen Produktionen anbelangt als auch das Auflegen. Berlin hat unserem ganzen Trubel noch mal eine deutliche Wendung und ein Feingefühl für Rhythm & Sound verpasst. Der Detroit–Spirit war schon immer Teil unseres Klangspektrums.

Julius: In Köln waren es Kompakt und die damit verbundene Partyreihe Total Confusion, in Berlin Besuche im Hardwax oder auf den nie enden wollenden Partynächten. Vor allem auf Touren in andere Länder, wie zum Beispiel nach Brasilien, haben wir uns gerne mit der lokalen Musikszene und traditionellen Tunes auseinandergesetzt. Das kann man auch gut in unserem Brazil Mix »The Boys From Ipanema« auf Soundcloud hören. Magnus und ich haben uns mal zufällig im Zug zwischen Köln und Berlin getroffen. Da war ich ganz schön verwundert, wir ihr den Spagat zwischen Studium und eigener Reihe in zwei verschiedenen Städten überhaupt schafft!

Magnus: Meine Profs an der Hochschule in Berlin haben seinerzeit gesagt: Lerne hier und wende es woanders an! Dieser Satz geht mir irgendwie bis heute nicht aus dem Kopf. Ganz so einfach ist es natürlich nicht, und es hat viel Zeit und Kraft gekostet, unsere Residency, die Cologne Sessions, das Studio 672 bzw. das heutige JAKI aufzubauen und zu dem Ort zu machen, der er geworden ist. Wir fahren nun seit über zehn Jahren ein Mal im Monat nach Köln, um diese Projekte nach vorne zu bringen, und das hat uns weit gebracht. Wir haben, zusammen mit vielen Freund*innen, immer viel selbst in die Hand genommen; sei es die eigene Partyreihe, das eigene Label, das Equations-Kollektiv und die Residency im Berliner OHM oder gemeinsame Studio-Spaces etc. Es ist verdammt anstrengend, vor allem auf die Distanz und die »extra Mile« nach der Arbeit. Aber irgendwie macht es auch total Spaß, an mehreren Orten gleichzeitig Dinge anzustoßen, zu bewegen, Menschen zu verbinden und gemeinsam außergewöhnliche Momente zu erleben.

Auf die Gefahr hin, sich unbeliebt zu machen: wo feiert es sich besser — Berlin oder Köln?

Jesse: Ohne hier irgendwem zu nahe treten zu wollen… für mich ganz klar Berlin. Die Stadt hat natürlich deutlich mehr Angebot, eine größere Szene, mehr Zulauf, Action, Exzess, aber auch Anonymität. Es hängt immer davon ab, was man sucht. Köln ist eher familiärer und hat vielleicht ein anderes Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Nächte im Jaki sind für uns immer wieder persönliche Highlights.

Hat sich die Szene im letzten Jahrzehnt denn stark geändert?

Magnus: Die Techno- und DJ-Kultur ist zum Glück viel, viel diverser geworden, und gerade nach dem ersten Lockdown hat sich eine extrem frische und ansteckende Energie entfaltet. Der Sound entwickelt sich stetig in alle Richtungen weiter, es gibt vielerorts kaum noch Genregrenzen — das finden wir sehr spannend! Man kann sagen, dass sich die elektronische Musiklandschaft (zumindest in unserem Kosmos) in den letzten zehn Jahren um 180 Grad gedreht hat — und das ist auch gut so.

Worauf schaut ihr am liebsten zurück?

Jesse: Insgesamt die gemeinsam verbrachte Zeit und die erlebten Abenteuer, die uns dieses gemeinsame Projekt bisher ermöglicht hat. Erfolgreiche, aber vor allem auch eher missglückte Auftritte, aus denen man seine Lehren zieht, oder andere unmögliche Situationen, über die man heute lacht. Das alles gehört dazu — wir schätzen diese Erfahrung unglaublich. Letzten Endes hat uns all das zusammengeschweißt, oder anders gesagt, mittlerweile kennen wir uns einfach mittlerweile sehr gut und vertrauen uns auf einer so grundlegenden Ebene, die man sonst, glaube ich, selten erreicht. Das ist wirklich schön.

Das Interview wurde per Mail geführt.
Info: soundcloud.com/aromapitch