Feiern for Future

Die Musik- und Veranstaltungsbranche ist im Umbruch — und das hat nicht nur mit der Corona-Krise zu tun. Mittelfristig genau so wichtig für die Branche ist der Klimaschutz: Wie kann ein klima­­neutraler Konzert- und Club-Betrieb aussehen? Das beschäftigt auch die Kölner Szene

Obwohl ich mich als klimabewusst bezeichnen würde, waren mir die Auswirkungen einer meiner liebsten Wochenendbeschäftigungen nicht bewusst. Dabei ist es naheliegend: Jede Woche gehen tausende von Menschen in den etwa 90 Clubs der Stadt Köln feiern. Dass ein Club durchschnittlicher Größe ca. 120.000 kWh Strom im Jahr verbraucht, was über 30 Drei-Personen-Haushalten entspricht, wird den wenigsten auf der Tanzfläche bewusst sein. Getränkekühlung, Beleuchtungsanlagen, Raumlüftungen und Wasserbenutzung in den Toiletten treiben die Energieemissionen in die Höhe, typischer Partymüll wie leere Zigarettenpackungen oder Bierdosen tragen ihren Teil zur Umweltverschmutzung bei. Ähnlich bei Konzerten, da fängt das Problem schon vorher an: mit der An- und Abreise von Künstler*innen und Publikum, sofern diese per Auto oder gar Flugzeug erfolgt. Neben der Mobilität sind die Aspekte Energie, Abwasser und Abfall die größten Klimakiller auf kultu­rellen Großveranstaltungen.

Im Alltag grün unterwegs sein, aber beim Besuch von Clubs und Konzerten den ökologischen Fußabdruck verwischen? Das muss nicht sein, sagt Heiko Rühl, Geschäftsführer der Kölner Klubkomm. Klimaschutz sei ein großes Thema in der Branche und es gebe Menschen sowie Initiativen, die sich damit auseinandersetzen — in Köln sowie auf der ganzen Welt.

Ein aktuelles Beispiel ist die britische Band Massive Attack, die gemeinsam mit Klimawissenschaftler*innen eine »Roadmap to Super Low Carbon Live Music« entwickelt hat und sie letzten Sommer veröffentlichte. Es geht um den Energieverbrauch sowohl von Indoorveranstaltungen als auch von Musikfestivals im Freien, die Mobilität von Künstler*innen, Publikum und Material sowie den Ressourcenverbrauch, etwa von Lebensmitteln und Wasser. Massive Attack wird mit gutem Beispiel vorangehen und den Fahrplan während ihrer Tour im nächsten Sommer umsetzen. So wird die Band bei der Auswahl von Veranstaltungsorten, Routen und Verkehrsmitteln stets auf die klimaverträglichste Variante setzen. Mit dieser Roadmap steht der britischen Musikindustrie nun eine klar definierte Zielvereinbarung zur Verfügung, an der sich Künstler*innen und Bands orientieren können.

Auch in der deutschen Musikszene ist Klimaschutz ein Thema. Die Kasseler Band Milky Chance hat das Projekt »Milky Change« gestartet. Ihr ist bewusst, dass die Musikindustrie nicht der Sektor ist, der zuerst mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht wird. Als internatio­nal bekannte Musikgruppe wollen die beiden Musiker ein Vorbild sein und möglichst nachhaltig touren. Sie nehmen etwa an den »Eden Reforestation Projects« teil: Pro verkauftem Ticket für ein Konzert wird ein Baum gepflanzt. Stand November 2021 sind das bereits 104.434 Bäume.

Der Klimaaktivismus unter Musiker: innen scheint groß zu sein, birgt aber Schwach­stellen. Woher soll ich wis­sen, dass das, was mir versprochen wird, auch umgesetzt wird? Wird Klimaschutz als Symbolpolitik missbraucht, um sich ein grünes Image zuzulegen? Einige Lösungsstrategien dafür hat das deutsche Green Touring Network. Bereits 2020 veröffentlichte die Initiative mit dem »Green Touring Guide« einen Leitfaden für eine möglichst klimaverträgliche Tour. Neben den Aspekten Fahren, Spielen, Essen, Schlafen und Merch wird hier die Kommunikation zwischen Künstler*innen und Fans thematisiert — der Verdacht des Greenwashings soll entkräftet werden. Absolute Trans­parenz sei wichtig und die Zusammenarbeit mit seriösen Partner*innen. Milky Chance überzeugt mich in diesem Punkt. Auf der eigens für das »Milky Change«-Projekt gestalteten Web­seite wird in Blogeinträgen über aktuelle Aktivitäten berich­tet und die Klimamission der Band verständlich dargelegt.

Aber nicht nur Künstler*innen sind aktiv. Eine der Haupt­figuren im Kampf um einen klimafreundlichen Kultur­sektor ist hierzulande Jacob Bilabel, Gründer der in Berlin ansässigen Green Music Initiative (GMI). Diese Platt­form fördert eine klimaverträglichen Musik- und Enter­tain­ment­branche durch die Vernetzung von wissenschaftlichen Instituten, Künstler*innen und Akteur*innen. Bilabel wirkt nicht überzeugt von den Maßnahmen, die bisher getroffen werden. Auf die Frage, ob es denn so etwas wie offizielle Richtwerte für Emissionen im Musiksektor gebe, kann er jedenfalls nur lachen. Eine Klimabilanz deutscher Clubs und Konzerte? Fehlanzeige.

»Mehr Fortschritt wagen« lautet der Leitspruch des Koalitionsvertrags der neuen Regierungskoalition, bis 2030 soll 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuer­baren Energien stammen. Dafür müssten alle Sektoren in das Programm miteinbezogen werden, auch der kulturel­le, so Jacob Bilabel im Gespräch. Aus diesem Grund hat die GMI ein weiteres Projekt auf die Beine gestellt. »Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit« heißt der neue Dachverband von Klimaschutzakteur*innen in der Musik- und Eventbranche. Mit einem kostenlosen CO2-Rechner soll ab Frühjahr 2022 die bisher unzureichende Datengewinnung von Emissionen in der Musikbranche ermöglicht werden. Denn so viel ist klar: Nur wer seine konkreten Klimalaster kennt, kann nachhaltige Gegenmaßnahmen einleiten.

Eine Partnerin des Aktionsnetzwerkes ist die EnergieAgentur.NRW, die sich ebenfalls mit dem Klimaschutz in der Musik-, Medien- und Eventbranche auseinandersetzt. Michael Müller, Ansprechpartner in Sachen Klimaschutz in Kommunen und Regionen, war beteiligt an dem Pilotprojekt des Green Club Index (GCI) der GMI im Jahr 2011. Im Zuge des Projekts konnten sechs Clubs in Nordrhein-Westfalen durch eine geförderte Energieberatung ihre Energieeffizienz erhöhen und dadurch nicht nur Strom, sondern auch Kosten sparen. Wichtige ­Kölner Clubs wie das Gloria oder der Club Bahnhof Ehrenfeld profitieren bis heute von den Beratungen. So ist das Gloria durch Maßnahmen wie den Bezug von Ökostrom und energieeffizientere Kühlgeräte einer der Kölner Vorreiter in Sachen klima­freundliche Eventlocations. Nach wie vor sind speziell für Clubs ausgebildete Energieberater*innen im Einsatz, die die Clubs auf Anfrage unterstützen und das Green-Club-Label vergeben.

Auch Heiko Rühl von der Klubkomm weiß, dass spätes­tens seit diesem Projekt der Klimaschutz in den Kölner Clubs angekommen ist. Schließlich ist die Clubkultur ein lebendiger und wirtschaftlich wichtiger Teil der Stadt Köln. Die Stadt will in ihrer Entwicklung einen stärkeren Fokus auf den Kultursektor legen und dennoch: Eine Unterstütz­ungsstruk­tur zum Klimaschutz speziell für Clubs und Event­locations besteht von Seiten der Stadt nicht. Das wäre Michael Müller nach aber notwendig, denn von den Club­betreiber*innen besteht großes Interesse am Ausbau der Klimaschutzmaßnahmen. Es fehle an genereller Zusammenarbeit zwischen den Locations und der Stadt Köln, an konkreten Zielvereinbarungen, Ansprechpersonen und vor allen Dingen an Förderbudgets.

In Köln agiert die Klubkomm als Ansprechpartnerin für ihre Mitglieder, die Umsetzung der Maßnahmen bestreiten die Clubbetreiber*innen selbst. Heiko Rühl nennt viele mögliche Ansatzpunkte: Der Ökostromanbieter Naturstrom etwa bietet einen vergünstigten Tarif für Clubs an, auch der Bezug von lokalen Ressourcen sei ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit. Klar ist, dass beim Thema Klimaschutzmaßnahmen unbedingt das Motto »mehr ist mehr« gilt. So ist in der Kölner Clubszene noch einiges zu tun. Hier könnte man auf die Erfahrungen in anderen Städten zurückgreifen: Für die Stadt Berlin zum Beispiel besteht das Kooperationsprojekt »Clubtopia«, das den Clubs der Stadt einen umfassenden Green Club Guide an die Hand gibt, der auch auf Kölner Clubs angewandt werden könnte.

Es tut gut, den Green Club Guide durchzulesen. Schwarz auf weiß bekomme ich als Clubgängerin nicht nur eine detail­lierte Aufklärung über die gängigen Energiefresser eines Clubs. Den Clubbetreiber*innen werden zudem eine ganze Reihe an klimafreundlichen Alternativen von B wie Beleuchtung bis Z wie Zero Waste zu Verfügung gestellt. Für mich ist das die Umsetzung vom so oft geforderten »Handeln statt Reden«.