Zu Hause, aber nicht heimisch: Fatma Aydemir, Foto: Sibylle Fendt

Familienaufstellung in Istanbul

Fatma Aydemir thematisiert in »Dschinns« migrantische Generationenkonflikte

Es ist noch gar nicht lange her, als eine junge Generation an deutschen Autor*innen ihren Platz im Literaturbetrieb einforderte. Sie brachte die Sprache und Geschichten ihrer bi- oder multilingualen Familien und Freundeskreise mit, und sie tat dies ebenso selbstverständlich wie selbstbewusst.

Fatma Aydemir gehörte damals dazu. Als Redakteurin bei der taz, wo sie heute noch arbeitet, erzählte sie der betulichen Indie-Leserschaft, warum R&B und HipHop dann doch irgendwie wichtiger sind. Und als Schriftstellerin brachte sie eine Gegend auf die literarische Landkarte, die bis dahin eher unbeschrieben war: Berlin-Wedding. In ihrem Debütroman  »Ellbogen« schickte sie vor fünf Jahren eine junge türkeistämmige Frau durch den Stadtteil im Berliner Norden, die ebenso über ihre patriarchale Familie wütend war wie über die linksliberalen Neu-Weddinger. Nachdem sie im Affekt einen jungen Studenten auf die S-Bahngleise schubst, flieht sie nach Istanbul und wird von ihrem bisherigen Sehnsuchtsort ebenso enttäuscht.

Nach dem Debütroman veröffentlichte Aydemir mit anderen die Anthologie »Eure Heimat ist unser Albtraum«, eine Reaktion auf die Gründung des Bundesministeriums für »Heimat«. Dem »rechtpopulistischen Kampfbegriff« setzten sie und ihre Mit-Autor*innen die reale Vielfalt derjenigen entgegen, die dieses Land schon etwas länger als ihr zu Hause betrachten. Und das Gefühl, sich im Zuhause nicht heimisch zu fühlen, steht auch im Mittelpunkt von »Dschinns«, Aydemirs zweitem Roman, den sie im März auf der lit.Cologne vorstellt: »Deutschland war nicht das, was du dir erhofft hattest, Hüseyin. Du hattest dir ein neues Leben erhofft. Was du bekamst, war Einsamkeit, die nie ein neues Leben sein kann«, heißt es auf den ersten Seiten.

Mittlerweile ist Hüsyein nach Istanbul zurückgekehrt, um seinen Ruhestand in der mühsam angesparten Eigentumswohnung zu verbringen. Aber dann stirbt er und die Trauerphase wird zur Familienaufstellung, in der deutlich wird, dass Hüseyins Kinder sich bei ihren Eltern auch nicht immer heimisch gefühlt haben: Generationenkonflikte, tabuisierte Queerness, eine nicht ganz freiwillige Ehe und in sich hineingefressene Trauer — all dies kommt in »Dschinns« zusammen. Dabei wird klar, dass die ausbleibende Konfrontation mit der Wahrheit vor allem ein Gefühl der Wut verstärkt. Das ist leicht klischeehaft, aber dahinter stecken in Aydemirs Roman runde Figuren, die sich in der Gegenwartsliteratur den Platz für ihre Geschichte nehmen, der ihnen zusteht.

Fatma Aydemir: »Dschinns«, Carl Hanser, 368 Seiten, 24 Euro