USA, Arizona, Sun City, »Rentnerstadt«, 2000 Foto: © Peter Granse / laif

Laif dabei sein

Von der Südstadt um die Welt: Die Bildagentur »laif« feiert Geburtstag im MAKK

Als sich die Kunstmetropole Köln vor vier Dekaden auch mit ihrer internationalen Fotoszene einen Namen machte, starteten die beiden Fotografen Günter Beer und Manfred Linke 1981 gemeinsam mit Kollegen der Anti-AKW-Bewegung aus dem Dunstkreis des Kölner VolksBlattes die Fotoagentur laif. Sie vertritt heute 400 Fotograf*innen weltweit, darunter World Press- und Pulitzer-Preisträger*innen und hat 16 Millionen Fotos in ihrem Archiv. Mag der Name des fotojournalistischen Unternehmens eine Anspielung an das für brisante Bebilderung einst renommierte US-Magazin Life nahelegen, so assoziiert er vielmehr das  leibhaftige Dabeisein und wurde schlicht nach einer Wuppertaler Band benannt.

Seit ihrer Gründung Anfang der 1980er Jahre präsentiert die wegen ihrer regelmäßigen Treffen auch als Community-Projekt geltende Agentur »laif« Dokumentarfotografie, die ohne Auftrag, vor allem von Autor*innen »mit Haltung« geschaffen wurde und sich mit regionalen, zugleich global viralen sozialpolitischen sowie kulturellen Themen befasst. Aus dem »laif«-Repertoire sind so manche Bilder um die Welt gegangen, etwa die erschreckenden Aufnahmen »CTRL-X. A Topography of E-Waste« über die apokalyptisch anmutenden Elektromüllhalden in Entwicklungsländern von Kai Löffelbein. Sie wurden 2011 von der Unicef als »Foto des Jahres« aus­gezeichnet.

Den Gang durch eine Auswahl der so verschieden beeindruckenden Fotodokumentationen, die laif-Geschichte mitgeschrieben haben, ermöglicht nun das Museum für Angewandte Kunst. Zu dessen Profil gehört auch Fotografie, obwohl das Haus keine eigene Sammlung hat. Auf farbigen Wänden sind die meist auf Zeitungspapier gedruckten Bilder — eine Reminiszenz an das alternative VolksBlatt — und jeweils bis zu drei gerahmte oder aufgezogene Abzüge in Szene gesetzt. Unter den 40 Positionen, die die von Peter Bialobrzeski in Zusammenarbeit mit laif-Mitbegründern kuratierte Jubiläumsausstellung vorstellt, gibt es lediglich acht Fotografinnen — laif war in den frühen Jahren eine Männer­gesellschaft.

Die chronologische Hängung in der Ausstellungsarchitektur von Sarah Fricke veranschaulicht gut den Wandel der dokumentarischen Ästhetik. Sind die Fotoreportagen in den ersten beiden Dekaden eher hart an der vermeintlichen »Realität«, werden sie später ästhetisch komplexer, ist die politische Botschaft erst bei näherem Hinsehen erkennbar.

Den Ausstellungsauftakt bilden Aufnahmen von Protestkulturen, etwa der auf Krawall gebürsteten Szenen in Wackersdorf 1986 von Manfred Linke. In Nicaragua  dokumentiert Mitbegründer Günter Beer 1985 die dortige Drogenszene, Dirk Krülls Schwarz-Weiß-Fotografien führen durch eine graue Leere im Ruhrgebiet. Schließlich haben Jan-Peter Boening und Paul Langrock in bewegenden Szenen den Mauerfall 1989 eingefangen. Dass die von James Hill 2005 in Beslan (Nordossetien) dokumentierten Zer­störungen durch Terroristen ihre grausame Fortsetzung in vielen Ländern gefunden haben, hätte damals wohl kaum jemand geglaubt.


Waren die Foto­repor­tagen früher hart an der vermeintlichen »Realität«, werden sie später ästhetisch komplexer

Und dann sind da die Dokumentationen, die sich erst auf den zweiten Blick erschließen. Der Glamour in den Porträts von Katharina Bosse in »Surface Tension« (1997) lässt hinter den Fassaden nicht unbedingt glückliche Menschen vermuten. Auch ist bei den Bildern von Helma Schätzle nicht ersichtlich, dass ihre Serie »9645 Kilometer Erinnerung« (2010) auf einer Reise durch neun osteuropäische Länder auf den Spuren ihrer Großmutter entstand. Barbara Dombrowski dokumentiert mit der Schwarz-Weiß-Serie »La Storia« (1993) den Machismo italienischer Prägung. »Sterben in Germany« (2003) nennt Stephan Elleringmann seine farblich wie motivisch verstörenden, weil leichenblassen, fast monochromen Aufnahmen von gespenstischen Räumen der Einsamkeit. Der Ausstellungskurator, selber laif-Mitglied, zeigt in seiner Serie »Neontigers« (2004) asiatische Mega-Metropolen, in denen — ganz wie bei Gursky — Menschen inmitten der von ihnen geschaffenen Mega-Architektur auf Insektengröße reduziert sind. Auf die Bibel bezieht sich schließlich Henrik Spohler 2012 mit Blick auf die so monotonen Pflanzenkulturen von Genforschungszentren unter dem Titel »The Third Day«, dem dritten Tag der Schöpfungsgeschichte. Michael Wolfs »Tokyo Compression« (2009) zeigt die Hände und Gesichter von Menschen, die ihre Gesichter an die U-Bahn-Fenster pressen, als wären sie in einem überfüllten Zug eingesperrt. Diese Fotografien haben es später auf die Venedig-Biennale für Architektur geschafft.

Neben vorrangig sozialkritischen Themen umfasst die laif-Ausstellung auch unterhaltsame Bilder von Kunst- und Kulturereignissen, etwa die 1995 von Wolfgang Volz dokumentierte Reichstagsverhüllung von Christo und Jeanne-Claude. Irgendwie gehören auch Berthold Steinhilbers  melodramatisch in artifizieller Beleuchtung inszenierten Ruinen von britischen Abteien dazu (2002) oder die in Roadmovie-­Ästhetik konzipierte Serie »La Drive-­By« (1999) von Michael Lange, ein Trip durch die Nächte im Süden von Los Angeles. Ebenso ­Andreas Herzans Angela-Merkel-­Dokumentation »AM« (2018), denn in diesem Rückblick wirkt das Politmachtgetümmel um und mit der Kanzlerin aus heutiger Sicht nahezu harmlos und sentimental.

In »Generation Boule Falé« (2001) von André Lützen geht es allerdings nur vordergründig um die Rapszene in Marseille und Dakar. Denn Lützen dokumentiert darin die Migrantenszene und ihre Hoffnungen auf eine Brücke zwischen Europa und Afrika, inklusive Protest und Gewalt. Un­gewöhnlich im Kontext der im MAKK vorgeführten laif-Bilderwelten durch 40 Jahre Dokumentarfotografie dürfte das autoreferenzielle »War Porn« von 2014 sein, in denen  Christoph Bangert die Ethik medialer Vermittlung bzw. Selbstzensur mit bisher unveröffentlichten Bildern aus den Kriegs-und Krisengebieten in Afghanistan, Libanon, Gaza sowie dem Irak verhandelt.

Nicht minder brisante aktuelle Ereignisse kommen am Ende des Parcours zur Anschauung: der Hambacher Forst  (2019, David Klammer), Bilder zur Auswirkung von Corona (Igmar Björn Nolting, 2020) und der jüngsten Flutkatastrophe in NRW (Theodor Barth, David Klammer, Gordon Weltes). Spätestens an dieser Stelle des Rundgangs dürfte auch dem letzten Besucher die laif-Gründungsphilosophie bewusst werden: Dass nicht der Kampf des Einzelnen gefragt ist, sondern das Engagement für ein gemeinsames Anliegen Wirkung entfaltet. Eine durchaus überzeugende Devise in diesen weltpolitisch verkehrten Tagen.   Uta M. Reindl

»40 Jahre laif — 40 Positionen dokumentarischer Fotografie«, MAKK — Museum für Angewandte Kunst Köln,  Di–So 10–18 Uhr, 1. Donnerstag im Monat 10–22 Uhr, bis 25.9.