Theodor-Wonja-Michael-Bibliothek

Die Theodor-Wonja-Michael-Bibliothek hat ihre Türen geöffnet. Sie will der Schwarzen Community neue Leseerfahrungen und Selbstbewusstsein vermitteln

Fragt man ihn nach seinem Lieblingsbuch, zögert Lamin Kargbo. »Es gibt sehr viele schöne Bücher hier«, sagt der 40-jährige Kölner. Aber dann greift er doch ins Regal ­hinter sich und zieht ein Buch heraus: blau, 464 Seiten lang und mit einer bildlichen Darstellung aus dem alten Ägypten auf dem Cover. Es trägt den Titel »Civilization or Barbarism«, geschrieben hat es der senegalesische ­Anthropologe Cheikh Anta Diop. Das Buch ist eine Studie über die Verbindungen zwischen der Kultur des alten Ägypten und dem Rest des afrikanischen Kontinents. ­Diops These ist, dass man die Kultur des alten Ägyptens als eine afrikanische Zivilisation beschreiben sollte. »Diop ist mit seiner Forschung auf viel Widerstand in der Ägyptologie gestoßen. Dort konnte man sich nicht vorstellen, dass eine ›Hochkultur‹ wie das alte Ägypten Kontakt mit dem Rest Afrikas hatte«, erzählt Kargbo. »Aber dieses Buch hat mein Weltbild und Selbstverständnis als ­Afrikaner geprägt. So etwas hat mir in meiner Jugend ­gefehlt.«

Leseerfahrungen wie diese bieten — das ist ein Ziel der Institution, in der Kargbo an diesem Nachmittag sitzt: der Theodor-Wonja-Michael-Bibliothek. Im Februar ist sie an der Victoriastraße im Ursulaviertel eröffnet worden, nach rund 18 Monaten Vorarbeit. »Im Sommer 2020, nach den großen Black-Lives-Matter-Demonstrationen gab es das erste Treffen«, erinnert sich Lamin Kargbo. Damals wurde in der Schwarzen Community Kölns viel darüber nachgedacht, wie man die Energie dieser Proteste für längerfristige Projekte nutzen kann. Eins davon war eine Bibliothek für Schwarze Menschen. »Wir haben alle festgestellt, dass wir in unserer Jugend kaum Zugriff auf Literatur von Schwarzen Menschen oder auf Literatur, in denen Schwarze nicht als Klischee vorkommen, hatten«, erzählt Kargbo. Das Vorbild für das Kölner Projekt ist das EOTO-Archiv in Berlin, das 2014 ­eröffnet ­wurde und seitdem ein Lern- und Bildungszentrum für Schwarze Menschen ist: »Man findet mittlerweile viel ­Literatur im Internet, aber es ist trotzdem gut, ­einen Ort zu haben, an dem alles gebündelt ist. Einen Ort, der den Reichtum Schwarzer Kultur zeigt.« In Köln bilden ein halbes Dutzend Menschen den Kern des Teams der Theodor-Wonja-Michael-Bibliothek, alle ­arbeiten ehrenamtlich. Er investiere fünf bis sechs Stunden wöchentlich in die Arbeit für die Bibliothek, erzählt Lamin Kargbo. Eine Förderung durch die Stadt ist beantragt, im ­Moment finanziert sich das Projekt noch durch die ­Erlöse einer Crowdfunding-Kampagne.

Ein Teil dieser Erlöse dient auch der Anschaffung von Büchern für die Theodor-Wonja-Michael-Bibliothek, die zudem von Bücherspenden aus ganz Deutschland profitiert. »Wir wollen Literatur von Schwarzen Autoren vom Kontinent oder aus der Diaspora sammeln, die über Schwarze Themen schreiben«, fasst Kargbo den ­Anspruch der Bibliothek zusammen. »Es sollen Bücher sein, die ein anderes Bild von Afrika und der Diaspora zeigen.« Ein kurzer Blick über die Bücherwand zeigt ­Bücher über afrikanische Geschichte und theoretische Abhandlungen über Rassismus und Ethnizität, aber auch den Fantasy-Roman »Black Leopard, Red Wolf« des jamaikanischen Autors Marlon James, der ebenso von Genre-Tropen wie von afrikanischer Mythologie inspiriert ist und ein Gegenbild zum »weißen Ritter« zeichnet, der die Fantasy-Literatur dominiert. »Der Großteil der Bücher ist auf Deutsch, Englisch oder Französisch«, sagt Kargbo. Daneben gehören aber auch eine kleine Anzahl an Büchern zum Lernen afrikanischer Sprachen wie Twi oder Lingala zum Bestand der Bibliothek.

Im Moment nimmt das Sichten und Katalogisieren des Buchbestands einen großen Teil der Arbeit an der ­Bibliothek ein. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, ob die gespendeten Bücher dem Anspruch der Bibliothek gerecht werden. »Wir haben etwa eine große Spende aus dem Nachlass von jemandem bekommen, der für das Auswärtige Amt gearbeitet hat«, erzählt Larmin Kargbo. »Da waren dann auch Bücher dabei, die ein eher kolonialistisches Weltbild vertreten haben.« Aber auch der Umgang mit dem N-Wort in Buchtiteln führe immer wieder zu Diskussionen, erzählt Kargbo, etwa bei der ­Autobiographie des Schwarzen Deutschen Hans-Jürgen Massaquoi, die auf einem der Bücherstapel liegt.

Schnelle Einigkeit herrschte dagegen über den ­Namen der Bibliothek. Sie ist Theodor Wonja Michael ­gewidmet, einem der prominentesten Schwarzen Intellektuellen der deutschen Nachkriegszeit. Er wurde in Berlin geboren, und überlebte als Schwarzer Mensch den Nationalsozialismus, nach dem Krieg arbeitete er für den BND und war Berater von Willy Brandt. Etwa 250 Bücher aus seinem Nachlass hat die Bibliothek als Spende erhalten. »Theodor Wonja Michael hat der Literatur einen ­hohen Stellenwert beigemessen«, erläutert Lamin Kargbo, »seine Büchersammlung hat mir nochmal vor Augen geführt, wie weit sein Horizont und sein Weltbild waren.« Die Bibliothek ist damit der erste Erinnerungsort an den Intellektuellen, der bis zu seinem Tod 2019 in Köln gelebt hat. »Ich denke nicht, dass Theodor Wonja Michael in Köln bislang ausreichend gewürdigt wird«, sagt Kargbo.

Im Moment ist die Theodor-Wonja-Michael-Bibliothek eine reine Präsenzbibliothek, die am Wochenende geöffnet ist. Neben einer Ausleihe will das Team in Zukunft jedoch auch Schreibwerkstätten, Workshops oder Lesekreise anbieten — die Bibliothek als ein Ort, um sich selbst zu finden. »Unsere Geschichte ist mehr als Sklaverei, Unterdrückung und Leid«, sagt Lamin Kargbo. »Wir wollen zeigen, das Schwarze Menschen mehr sind als Sportler oder Rapper: Sie haben Wissenschaft und Forschung geprägt.«