Rekonstruktion eines Knalls: Tilda Swinton, Juan Pablo Urrego

»Memoria« von Apichatpong Weerasethakul

Apichatpong Weerasethakul schickt Tilda Swinton auf die Suche nach einem mysteriösen Geräusch

Die Frau hat einen Knall. Genau wie wir, die wir im Kino sitzen und plötzlich von einem markerschütternden Schlag aus dem vermeintlich gemütlichen Arthouse-Dämmer gerissen werden. Die Frau, gespielt von einer geisterhaften Tilda Swinton, hört diesen unheimlichen Sound in den unpassendsten Momenten: beim Erwachen, mitten im Gespräch, auf der Straße. Er ist, das wird bald klar, nur in ihrem Kopf. Ist es eine Erinnerung? Nur woran?

In »Memoria« schickt der mehr­fach in Cannes ausgezeichnete thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul (»Tropical Malady«, »Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben«) die verwitwete Botanikerin Jessica auf eine Reise durch Kolumbien. Diesen Trip bloß »spirituell« zu nennen, würde die spezielle, selbstreflexive Komik Apichatpongs verkennen. In ruhigen Tableaus, von der schattigen Enge der Wohnung durchs Gewimmel Bogotás bis zu einem Bach am Rand von Zeit und Zivilsation, führt jede Station näher an den Ursprung des Geräuschs. Zugleich aber rückt eine eindeutige Erklärung in immer weitere Ferne, trotz einer putzigen Fantasy-Einlage, die den Weltraum-Träumen des Sci-Fi Kinos huldigt.

Man sei als Kinozuschauer »bewusstlos«, sagte Apichatpong einmal. Mit seinen hypnotisch langen Einstellungen und seinen ausgefeilten Soundscapes will er die Gemachtheit dieser Verfassung ins Gedächtnis rufen. Ähnliches versucht auch Jessica: Um Heilung zu finden, will sie das, was ihr widerfährt, künstlich hervorrufen. Sie bittet deshalb den jungen Sounddesigner Hernán, den Knall zu rekonstruieren. Im Wechsel aus ihren Beschreibungen und seinen Umsetzungen nimmt der »Berg« (so nennt er die grafische Darstellung des Klangs) Gestalt an. Dann regnet es, und als Jessica ins Tonstudio zurückkehrt, erinnert sich dort niemand an Hernán.

Auf dem Höhepunkt ihrer spukhaften »Big Bang Malady« trifft Jessica auf eine gealterte Version Hernáns: Der kippt mit ihr Selbstgebrannten und sagt, dass er sich an alles erinnern könne und deshalb die Bilder limitiere, die er sehe. In einen solchen Zustand versetzen auch Apichatpongs Filme: Sie ermöglichen ein traumhaft waches Zuschauen und Zuhören, als wäre man nie einer Bilderflut ausgesetzt gewesen.

COL/THAI/F u.a. 2021, R: Apichatpong Weerasethakul, D: Tilda Swinton, ­Elkin Diaz, Jeanne Balibar, 136 Min.