Vampiristische Kapitalistin: Lilith Stangenberg

»Blutsauger« von Julian Radlmaier

In Julian Radlmaiers einfallsreichem Vampirfilm trifft die Weltrevolution auf Slapstick

Schon der Titel ist mehrschichtig. Denn dies ist ein Vampirfilm, der auch noch an der Ostsee spielt, über die einst, in Murnaus »Nosferatu«, dem Urahn des Genres, der blutsaugende Graf Dracula nach Deutschland kam. Dieser Graf ist aber auch Angehöriger der herrschenden Klassen und so wird schon in der Eröffnungsszene in den Dünen tatsächlich eine Marx-Passage gelesen und diskutiert. Sie zeigt den Autor des »Kapital« als regen Konsumenten der damals modischen Schauerliteratur, der seine ökonomischen Theorien in entsprechende plastische Bilder von Gespenstern und Untoten und eben von kapitalistischen Blutsaugern kleidet.

Eine zweite Ebene erzählt Episoden aus der frühen Filmgeschichte: 1928, als »Blutsauger« spielt, drehte Sergei Eisenstein gerade seinen Film »Oktober« über die russische Revolution von 1917. Der für die Rolle des Trotzki gecastete Darsteller Lyovuschka muss plötzlich fliehen. Er landet in einem mondänen Ostseebad, wo er sich als verfolgter Aristokrat ausgibt, tatsächlich ist er Arbeiter. Die kapriziöse Fabrikbesitzerin (und Blutsaugerin) Octavia Flambow-Jansen kümmert das alles wiederum wenig. Wer in der Welt herrscht, gestaltet diese allemal nach seinen Launen, und so beschließt sie, Lyovuschka als Liebhaber zu nehmen und mit ihm einen ­Vampirfilm zu drehen, um die Langeweile totzuschlagen.

»Blutsauger« vom Berliner ­Regisseur Julian Radlmaier ist ­ ein Mash-up solcher historisch-kultureller Zeichen, die auch dann sehr amüsieren, wenn man nicht jede Anspielung versteht. Dies ist ein verspielter Film, schillernd, einfallsreich und ein bisschen durcheinander. Denn mancher Erzähl- und Gedankenfaden entpuppt sich als Einbahnstraße. Aber durchaus gewollt. Radlmaier bricht und ironisiert seine Story, und übt vor allem durch seine nonchalant-unverkrampfte Haltung recht deutliche Kritik an ­einem deutschen Kunst-Kino, das vor allem Angst vor Fehlern hat, und dem in all seinem Pragmatismus mehr und mehr die Ideen ausgehen.

Verfremdung ist eines der Grundprinzipien von Radlmaiers Arbeit. Das Ergebnis bezaubert: Die Weltrevolution trifft Slapstick, der Vampir-Film die Albernheit, der Intellekt die Komödie, und wenn Lilith Stangenberg eine Szene mit Corinna Harfouch spielt, prallen Schauspiel-Universen funkensprühend aufeinander.

D 2021, R: Julian Radlmaier, D: Aleksandre Koberidze, Lilith Stangenberg, Andreas Döhler, 128 Min.