Karin Kneffel, Ohne Titel, 2016, Öl auf Leinwand, 180 × 240 cm, Privatsammlung © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf

Bilder wie beschlagene ­Fensterscheiben

Die Malerei von Karin Kneffel im Brühler Max Ernst Museum

Sie habe ein wenig Angst vor dem Museum gehabt, gibt Karin Kneffel unumwunden zu. Wegen der verschachtelten Ausstellungsräume im fensterlosen Untergeschoss. Ein Hinderungsgrund war das zum Glück nicht. Die Zusammenarbeit mit Direktor Achim Sommer war ihr eine Herzensangelegenheit, da sie sich seit über 20 Jahren kennen und er in der Kunsthalle Emden ihre erste museale Einzelausstellung ausgerichtet hat.

Die rund 80 Ölbilder und Aquarelle von Karin Kneffel (*1957) machen sich bestens in dem Haus des großen Surrealisten, wirken sie doch selbst wie Fenster in eine andere Welt. Die Künstlerin kommt bei ihrer Führung durch die Ausstellung im lässigen Outfit und federnden Gang jugendlich daher. Und spricht ­lebhaft über ihre Arbeit: Welche Kindheitserinnerungen sie für »bildwürdig« hielt, was ihr bei Reisen, Kunst- und Architektur­erkundungen ins Auge sprang oder wie gerne sie anderen bei der Kunstbetrachtung zuschaut. Auch dass sie ihre Fensterscheiben schon mal mit Wasserkocher bedampft und darauf schreibt oder ihren Mann einen Besenschwung im Wohnzimmer nachstellen lässt, um zu sehen, wie sie eine Idee malerisch umsetzen kann. Denn bei allen Vexierspielen und Mehrdeutigkeiten »will ich, dass meine Bilder plausibel sind«.


Durch die eigene ­Bewegung kommt es zu immer anderen Überlagerungen dieser völlig unstofflichen Strahlenfadengebilde

Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit den Bauten von Mies van der Rohe, ganz besonders mit den Fabrikantenvillen und heutigen Ausstellungsgebäuden Haus Esters und Haus Lange in Krefeld. Sie forscht zu deren Architektur und Ausstattung und verarbeitet sie zu doppelbödigen Ansichten. Im New Yorker Seagram Building fing sie den Moment ein, in dem ein Kellner unter den HOPE-Bildern von Robert Indiana auf einer Bank schlief. »Ich wusste nicht, ob ich ihn fotografieren durfte, aber man erkennt sein Gesicht ja nicht«, verteidigt sie das gemalte Nickerchen in dem »gerade etwas ömmeligen« Restaurant.

Humorvoll und freundlich spöttelnd gibt sich Kneffel übrigens öfter. Etwa, wenn sie den Ausspruch Mies van der Rohes »Ich muß eine Wand hinter mir haben« wie mit dem Finger auf eine imaginäre Glasscheibe malt. Der Architekt habe das sicher anders gemeint als die Männer, die ihn allzu gern als Vorwand nutzten, um sich in Restaurants mit Blick in den Raum zu platzieren. »Dabei wollen die doch nur gucken«, grinst Kneffel. Oder wenn sie sich lustig macht über die Empfehlungen aus einer alten Bauhaus-Zeitschrift, die ihr bei ihren Recherchen zu den Krefelder Villen in die Hände fiel. Dort war die Biedermeier-Möblierung demonstrativ als No-Go markiert. Das zitiert sie in ihrem Gemälde mit dem knallroten, überaus plastisch wirkenden Kreuz. Welches jedoch genau so flach und gleichmäßig, ganz ohne Pinselspuren aufgetragen ist wie die dahinter liegende, fotorealistisch anmutende Einrichtung.

Karin Kneffel ist in Marl geboren und lebt in Düsseldorf und München, wo sie seit 2008 eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste innehat. Gerne erzählt sie von ihren Studierenden. In vier Bildern hat sie eine Exkursion nach Basel zu Gerhard Richters berühmter »Betty« festgehalten und souverän kommentiert. Die Studenten sind in das Porträt der Betty vertieft, während jene wiederum wohl ein graues Bild ihres Vaters betrachtet. Und uns überführt Kneffel indessen mit einem darüber gelegten »hello« als Voyeure oder verstärkt unser fieberhaftes Ergründen durch eine Pupille oder ein Schattenspiel auf einer Scheibe — ziemlich kongenial. Ein Kritiker hat die Personen dieser Szene passend »Richters Enkel« tituliert.

Wer Karin Kneffel in ihrem Atelier besucht, findet dort immer nur das eine Werk, an dem sie gerade arbeitet. Alle anderen sind längst weltweit verkauft. Würde sie nicht über so gute Kontakte zu ihren Sammler*innen verfügen, könnte sie solche Ausstellungen gar nicht mehr bestücken. Da ihre Arbeiten aber inzwischen so hoch gehandelt werden, gelangten sie manchmal über Auktionen an unbekannte Standorte und gingen dann auf immer verloren, bedauert die Künstlerin. Ein Grund mehr, die Ausstellung in Brühl, bei der man sich im Wesentlichen auf die Interieur-Ansichten beschränkt hat, zu besuchen. Chapeau, Karin Kneffel! 

»Karin Kneffel — Im Augenblick«, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Max-Ernst-Allee 1, Brühl, Di-So 11-18 Uhr, bis 28.8.