Facetten der Eigenwilligkeit: Johanna Klein

Der Stoff, der Vertrauen heißt

Die Kölner Saxofonistin Johanna Klein wagt den Aufbruch

Da vorne auf der Bühne steht eine Frau, bewaffnet mit Saxofon, hinter ihr drei Männer — einer sitzt am Schlagzeug, ein anderer steht über seinen Kontrabass gebeugt, ein dritter kniet und schraubt beharrlich an Effektpedalen herum. Doch vorne, da pustet sich die Musikerin gerade die Seele aus dem Leib, dem Publikum im King Georg fliegt vom spitzen Kopf der Hut. Es quietscht und quiekt, es ziept und pfeift ganz ordentlich. Die Mannen dahinter steigen ein und machen ebenfalls einen Affenlärm. Es passiert etwas, was nur entsteht, wenn inspirierte ­Musiker*innen ihrem Drang freien Lauf lassen: Das Glück musikalischer Überforderung.

Dass diese vier da vorne auf der Bühne uns in den Genuss kommen lassen, förmlich weggeblasen zu werden, das hatte noch Minuten vorher keiner vermuten können. Da spielten sie sich noch durch zurückhaltendes, fast schon ätherisches Material. Dieses Quartett hat viele Facetten — und trägt den Namen der Bandleaderin.

Johanna Klein, Saxofonistin, Sängerin, Komponistin, kommt ursprünglich aus Rüsselsheim; jener Stadt, die zwischen Rhein, Main, Opel und dem Frankfurter Flug­hafen ins südwestliche Hessen gequetscht ist. Hier nimmt die musikalische Reise der heutigen Wahl-Kölnerin ihren Anfang. Schon zu Schulzeiten an Jazz interessiert, spielte sie in der Big Band ihrer Schule, bald schon im Landesjugendjazzorchester Hessen. Klein konnte sich damals zwar eine Karriere als Musikerin vorstellen, sah aber auch die Hürden, die sich auftun könnten: »Die Wahl des Studiums war für mich keine eindeutige Entscheidung«, sagt sie im Interview.  Zwar sei sie durch und durch Musikerin, habe aber große Zweifel gehabt. »Letztendlich habe ich dann Lehramt studiert, wollte dafür aber auch unbedingt nach Köln kommen, da man an der Musikhochschule den gleichen Zugang zu Instrumentalunterricht, Combos und Veranstaltungen hat wie Kommiliton*innen, die ein reines Instrumentalstudium absolvieren«, erzählt sie.

Die Gründe für ihre Zweifel sind nachvollziehbar und haben ihre Wurzeln in der immer noch auf cis-männliche Musiker ausgelegten Gesellschaft: »Es ist ja auch nicht leicht, vor allem wenn man an Themen wie Rente, Kinderkriegen und finanzielle Unabhängigkeit denkt. Möchte ich mit 50 Jahren noch auf der Bühne stehen? Kann ich es mir leisten, Kinder zu kriegen?«, fragt sich Klein als jemand, die dazu tendiere, immer in die Zukunft zu denken. Das habe sie — genauso wie die Zurückhaltung aus dem eigenen Elternhaus bezüglich des Profimusiker*innentums — blockiert.


Es ist ja nicht leicht, vor allem wenn man an Themen wie Rente, Kinderkriegen und finanzielle Unab­hän­gigkeit denkt. Möchte ich mit 50 Jahren noch auf der Bühne stehen? Kann ich es mir leisten, Kinder zu kriegen?
Johanna Klein

Ihren Weg ging und geht Klein trotzdem. Erst vorsichtig, heute mit einer gewissen Bestimmtheit. Der Prozess einer sehr empathischen, mitfühlenden Musikerin kann man anhand ihrer eigenen Veröffentlichungen nachvollziehen. Ihre Debüt-LP »Cosmos«, die 2021 erschien, wird noch umzäunt von »European Modern Jazz«-Kompositionen. Keines der zehn Stücke ist wohlfeil, alles noble Kreationen; womöglich etwas starrer als sie sein müssten. Aber gerade als Debüt im Jazz-Bereich schon von gehobener Güte. Die folgenden Konzerte und die gemeinsame Arbeit mit ihrem Quartett, das noch aus Drummer Jan Philipp, dem Bassisten Nicolai Amrehn und dem Gitarristen Leo Engels besteht, eröffnete in der Zwischenzeit ganz neue Wege.

Diese Pfade, die ins Freie führen, bedeuten, sich nicht von Vorformatierungen beeinflussen zu lassen, die charakteristische Vorlieben der vier Mitglieder immer wieder in den Vordergrund zu transportieren. Sie sind gepflastert aus einem ganz besonderen Material: Vertrauen. »Sowohl Vertrauen in den Prozess als auch Vertrauen innerhalb der Band. Wir spielen schon einige Jahre zusammen und wissen, wie wir als Kollektiv gut funktionieren«, betont Klein.

Das sieht man nicht nur, wenn die Band auf der Bühne steht, sondern hört es auch auf der neuen Platte. Wobei der Begriff hier falsch ist, denn tatsächlich erscheinen von einer etwaigen LP, die man zwar aufgenommen hat, aber in der Form erstmal nicht veröffentlichen wird, vier einzelne Singles. Zwei von ihnen wurden bereits am 3. beziehungsweise am 17. Juni bei Berthold Records veröffentlicht. Hier zeigt sich das Johanna Klein Quartett von einer neuen, sehr modernen Seite. Fernab von Hochschul-Jazz-Diktaten haben sie einen eigenwilligen Sound gefunden, der sich lose bei der elektronischen Avantgarde, der freien Improvisationen, aber auch bei Pop und Gesang — Klein nimmt souverän das Mikrofon in die Hand — bedient. Diese Melange ist transparent und super-elastisch, gleichzeitig stringent im Ausdruck; trotz einer Multitude an Formen wirkt hier nichts beliebig.

»Ich habe mich mehr gelöst von dem Anspruch, einer bestimmten Stilistik gerecht werden zu wollen oder so zu spielen, dass es anderen gefallen könnte. Ich spiele jetzt viel mehr das, was mir selbst auch gefällt«, dazu gesellen sich bei Johanna Klein eben die kontinuierliche Weiterentwicklung der Band selbst — und neue Einflüsse. Einige davon sind persönlich-privater Natur. So habe sie insbesondere in den letzten zwei Jahren Neues für sich entdeckt: »Gerade während Corona haben mich vor allem Musiker*innen interessiert, die eher zum experimentellen Pop gehören wie beispielsweise Mija Milovic, JFDR oder Tirzah. Auch peruanische Volksmusik oder zentralafrikanische Pygmy Musik.«

Sie wolle dann nicht direkt so klingen, aber dennoch inspirierten sie diese Musiker*innen und Traditionen. Dazu kommt noch, dass Klein neben ihrem Quartett gleich in verschiedenen Rollen bei Bands und Projekten auftaucht. Zuvorderst ihr eigenes Avant-Pop-Projekt Liv Alma. Hier gehen genannte Einflüsse in den eigenwilligen Kompositionen der Musikerin auf. Außerdem spielt Klein beim Kölner Beat-HipHop-Jazz-Produzenten Gianni Brezzo, bei Eva Swinderski im Trio und Quartett spielt sie Samba und Bossa Nova. Das Matthias Vogt Duo oirientiert sich am Ambient, Klein leiht auch hier ihre Stimme; Jannis Sickers Trio spielt auf der Linie zwischen Modern und Free Jazz. Ein weiteres Spielfeld ist das Duo Wojcik / Klein, das sie mit dem Gitarristen Szymon Wojcik bildet.

Kurzum: Es ist ein sehr facettenreiches (Mit-)Wirken, das Klein vorlegt. Ihre eigenen Produktionen stehen jedoch glück­licherweise im Mittelpunkt, wie sie mit den neuen Stücken des Quartetts und vor allen Dingen live immer wieder beweist.

Info: johannakleinmusic.com