Gegen die Norm: Yael Inokai, © Ladina Bischof

Die korrigierte Frau

Yael Inokai erzählt von Eingriffen an weiblichen Körpern

Die Behandlung sei unproblematisch. »Ein simpler Eingriff«, so der Titel des Romans der Schweizer Autorin Yael Inokai. Es erfordere nur das richtige Werkzeug und eine besänftigende Stimme. »Der Doktor brauchte lediglich die betroffene Stelle zu finden, dann würde er diese einschläfern wie ein krankes Tier.« Durch eine Operation am Gehirn sollen Menschen von ihren seelischen Leiden befreit werden — vor allem Frauen von ihrer Wut. Inokais dritter Roman beschreibt das weibliche Aufbegehren gegen den gesellschaftlichen Normierungsdruck.

Schauplatz der Erzählung ist eine psychiatrische Klinik, in der die junge Ich-Erzählerin Meret als Krankenschwester arbeitet. Ihre Uniform trägt sie mit Stolz, durch ihre Empathiefähigkeit hat sie sich zur Assistenz des Chefarztes hochgearbeitet. Während dieser abnorme Nervenbahnen im Hirn durchtrennt, soll Meret den wachen Patientinnen ermutigend zureden. »Wir geben ihnen einen Platz in der Gesellschaft« lautet das Heilsversprechen der Behandlung, an das Meret zunächst glaubt, aber irgendwann zu zweifeln beginnt.

Obwohl Yael Inokai weder Ort noch Zeit der Handlung benennt, liegt der Bezug zum medizinischen Verfahren der Lobotomie nahe. Der neurochirurgische ­Eingriff zur Verringerung der Emotionalität, der heute nicht mehr praktiziert wird, löste in den 1960er Jahren die antipsychiatrische Bewegung aus. Die Frage, ob psychische Abnormität eine objektive Diagnose oder ein subjektives Urteil der Gesellschaft ist, muss sich schließlich auch die Protagonistin Meret stellen. Es ist gerade ihr starkes Mitgefühl, das sie zweifeln lässt. Mehrfach erlebt Meret, dass nicht die Betroffenen selbst die Wut in sich tragen, sondern deren Angehörigen, die wütend auf die Erkrankten sind, weil sie nicht gesellschaftskonform handeln. Im Privaten verteidigt Meret daher ihre widerspenstige Schwester Bibi vor dem Vater, auf der Arbeit belastet sie die missglückte Operation an der Patientin Marianne.

Am Ende ist es aber auch die gleichgeschlechtliche Liebe zu ­ihrer Zimmernachbarin Sarah, die Meret den Konformismus hinterfragen lässt: »Würden sie das nicht über uns beide sagen? Dass das eine psychische Störung ist?« Yael Inokais Erzählung liest sich als leidenschaftlicher Wi­derspruch gegen das falsche ­Korrektiv normativer Zwänge.

Yael Inokai: »Ein simpler Eingriff«, Hanser, 192 Seiten, 22 Euro