Superhelden mal ganz anders: »Freaks Out«

Schmierlappen und Superfreaks

Drei Höhepunkte aus dem Programm des diesjährigen Fantasy Filmfest

Freaks Out

Als »Freaks Out« vergangenes Jahr beim Filmfestival von Venedig im Wettbewerb lief, herrschte am Ende Fassungslosigkeit — wenn auch nicht in einem guten Sinne: Die bürgerliche Presse machte den Film mit fast absurder Härte fertig. Warum eigentlich? Gabriele Mainetti macht in seinem zweiten Werk doch auch nur, was Marvel und DC in ihren Produktionen treiben: Er lässt Menschen mit Superkräften die Welt retten. Nur dass der Film 1943 spielt, zur Zeit der reichsdeutschen Okkupation Italiens als Reaktion auf die italienische Waffenstillstandserklärung.

Die guten Superhelden leben in einem felliniesken Zirkus unter der Leitung eines alten jüdischen Ersatzvaters und sehen aus wie die Freaks aus Tod Brownings gleichnamigem Film aus dem Jahr 1932. Der böse Supernazi hat sechs Finger, ist Pianist und will eine kriegs­entscheidene Superfreak-Rasse züchten. Den Freaks steht aber eine Truppe Partisanen bei, die alle irgendeine Art von Wunde haben.

»Freaks Out« schaut aus wie ein von Manga-Ästhetik getriebenes Fumetti-Delirium, und sonst nichts in der bekannten Filmgeschichte. Das war wohl zu viel Filmgeschichte auf einmal, und zu radikal als Geschichtsfantasie, in der politisch allerhand zulinkgerückt wird, was in den letzten Jahren von den Rechten besudelt wurde. Ja, »Freaks Out« ist ein progressives Spektakel, bei dem einem immer wieder die Spucke wegbleibt ob des Erfindungsreichtums Mainettis, aber auch des Politfurors, der da von der Leinwand aus durch den Kinosaal tobt.

I/B 2021, R: Gabriele Mainetti, D: Claudio Santamaria, Aurora Giovinazzo, Pietro Castellitto, 141 Min.

 

The Price We Pay

Kitamura Ryûhei sollte ein ganz besonderes Plätzchen im Herzen aller Kölner Genrefilm-Fans haben, war doch das nicht mehr existente CineAsia eines der ersten Festivals jenseits von Japan, das er besucht hat — und zwar zu einem Zeitpunkt, da er gerade mal seine ersten Regiearbeiten vorzuzeigen hatte. Ja, wir waren damals echt der Welt voraus. Kitamura hat seither eine eigenartige Karriere hingelegt, in der sich sowohl Groß- als auch Direct-to-Video-Produk­tio­nen finden, von denen nicht alle überzeugen.

Seit 2008 hat er ein zweites Standbein in Hollywood, wo seine Werke selten so extravagante Dimen­sionen annehmen wie daheim, aber stets mit Top-Handwerk sowie einem Sinn fürs Überraschende umgesetzt sind. Womit wir bei seinem jüngsten Film ­wären: »The Price We Pay«, in dem eine Diebesbande sich auf einem Bauernhof versteckt — nur um herauszufinden, was für Waisen­knaben in Sachen Brutalität und Rücksichtslosigkeit sie sind im Vergleich mit ...

Es kracht wie immer bei Kitamura massiv. Ist blutig, aber nicht räudig. Und hat mit Emile Hirsch und Stephen Dorff genau die Art von superben Schmierlappen-Performern als Hauptdarsteller, um die man nicht so wahnsinnig Angst hat — und einem doch anders wird, sollte ihnen was wirklich Übles zu­stoßen. Alte Schule im neuen Gewand, von Kunstambitionen angenehm befreite Genre-Hausmannskost, bei der man nichts erwarten sollte — sich dann aber über unerwartete Kapriolen und Volten freuen darf.

USA 2022, R: Kitamura Ryûhei, D: Stephen Dorff, Emile Hirsch, Tyler Sanders, 85 Min.

 

La Piedad

Ein Film in Pink, Altrosa und stumpfem Grau, der mehr oder weniger von vorne bis hinten durchstilisiert ist. Ein Film über die Diktatur einer grotesk über­zogenen Mutterliebe. Ein Film, den die Welt echt gebraucht hat — um die Hirne mal so richtig durchzurütteln und -schütteln. Ergo: Der vielleicht WTF-igste Film des Fantasy Filmfest 2022. Gestaltet — und, mein lieber Herr Gesangsverein, ist das ein gestaltetes Werk — wurde »La Pietà« von dem sen­sa­tionell schmucken Schauspieler Eduardo Casanova, dessen ebenfalls recht rosafarbener »Pieles« 2017 auf der Berlinale angemessen Aufsehen erregte.

»La Pietà« ist in seinem Kern ein Kammerspiel in einer Seelenlandschaft. Die Akteure: ein gehorsamer, gebeutelter, masochistischer Sohn und eine Monster­domina-Mutter, die ihrem Kind schon mal die Nägel so richtig blutig schneidet — und der große Kleine öffnet die Wunde dann später als Akt der Verehrung wie des Wider­stands wieder. So und so ähnlich werden hier seelische wie auch körperliche Abhängigkeiten fast aller Art durchgespielt. Diese Art von sinnenfroher Abstraktion und Provokation für alle gibt es so wirklich nur in Spanien. Und da das leider so ganz und gar nicht konsensfähig ist in unserer Kinolandschaft zwischen Golden-Ager-Bespaßung und Gen-Z-Melancholiegesuhle kann und muss man das nun hier bei dieser einzigen Gelegenheit schauen.

E/ARG 2022, R: Eduardo Casanova, D: Manel Llunell, Ángela Molina, ­Macarena Gómez, 80 Min.

Do 14.9.– Mi 21.9., Residenz, fantasyfilmfest.com