»Man hätte uns informieren müssen«: Jürgen Piger vor dem Anyway an der Kamekestraße

»Das ganz normale Verfahren«

Die Stadt muss sparen. Das Gerangel um Förderungen im kulturellen und sozialen Bereich hat begonnen

Klimawandel, Corona, Ukraine-Krieg, steigende Energiepreise — all das hat auch Folgen für die Stadtfinanzen. Als Mitte August der Haushaltsplanentwurf für 2023 und 2024 im Stadtrat eingebracht wird, haben die Reden von OB Henriette Reker und Stadtkämmerin Dörte Diemert die entsprechende Tonlage.

Man stehe besser da, als befürchtet, etwa bei den Gewerbesteuereinnahmen, so Diemert. Doch Energiepreise und Lieferschwierigkeiten könnten die wirtschaftliche Entwicklung bremsen und so die Einnahmen der Stadt verringern. Hinzukomme, dass die durch Corona entstandenen Kosten ab 2023 nicht mehr gesondert gebucht werden können — damit steigt das Defizit und der Rückgriff auf das Eigenkapital; womöglich droht ein Haushaltssicherungskonzept.

Für Klimaschutz und Mobilitätswende braucht es Mittel von Bund und Land, aber auch, weil Menschen aus der Ukraine nach Köln fliehen oder durch steigende Energiepreise zu verarmen drohen. Gerade diskutiert die Politik, wie die Stadt mehr Einnahmen erzielen kann. »Aus der Kulturförderabgabe plus ihrer Ausweitung auf Geschäftsreisende stehen zwölf Millionen zur Verfügung, die Erhöhung der Spielgerätesteuer bringt weitere fünf Millionen. Es geht also«, sagt Jörg Frank. Der Finanzexperte war mehr als zwanzig Jahre finanzpolitischer Sprecher der Grünen. Das Geld solle aber nicht in neue Projekte fließen, so Frank, sondern Kürzungen und Streichungen wichtiger Projekte könnten damit vom Rat korrigiert werden; im Übrigen müssten Investitionen für den Erhalt von Infrastruktur sowie Klimaschutz, Mobilität und Bildung ­Vorrang haben.   

»Stadt Köln setzt Rotstift bei queeren Jugendlichen an!« — den bislang lautesten Aufschrei bei Einsparungen gab es im Anyway, dem Jugendzentrum für alle, die nicht heterosexuell sind. Petition und Demo folgten. Tatsächlich fehlen im Haushaltsplanentwurf bislang rund 900.000 Euro in der Jugendhilfe. Das betrifft auch die Finanzierung der Vollzeitstelle für Beratung im Anyway.

Dabei handelt es sich doch um ein etabliertes und für Politik und Verwaltung auch prestigeträchtiges Projekt. Das Thema LGBTIQ hat hohen Stellenwert: Einen neuen Kinder- und Jugendförderplan stellte die Stadt Köln im Anyway vor, es gibt erstmals einen mit 200.000 Euro finanzierten »LSBTI-Aktionsplan«, und im Bündnisvertrag von Grünen, CDU und Volt steht, dass Anyway solle »gestärkt« werden. Was war da los?

 
Ich war stinkesauer, dass dann vor allem die Grünen so taten, als sei es ein Versehen der Verwaltung gewesen
Ralf Heinen, SPD

Das Geld für die Jugendhilfe stammte zuletzt aus Bundesmitteln, die nun auslaufen. Ralf Heinen (SPD), Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses, sagt, CDU und Grüne hätten bemerken müssen, dass sie keine Beschlüsse gefasst hatten, um die Finanzierung nun über den Haushalt fortzuführen. »Ich war stinkesauer, dass dann vor allem die Grünen so taten, als sei das ein Versehen der Verwaltung gewesen«, so Heinen. »Wir in der Politik, und vor allem das Haushaltsbündnis, haben das bislang  versäumt.«

Dass die 2020 eröffnete Be­ratungsstelle gestrichen würde, hielt selbst Jürgen Piger, Leiter des Jugendzentrums, am Tag, als er und sein Team zum Protest aufriefen, auf Anfrage für unwahrscheinlich. »Aber man hätte uns informieren müssen, wir wussten gar nicht, womit die Stelle genau finanziert wird«, sagt Piger heute.

»Es ist für die Empfänger sekundär, woher das Geld letztlich kommt. Hauptsache ist doch, es fließt am Ende«, so die Fraktionschefin der Grünen, Christiane Martin. »Ich kann nicht vier Bände Haushaltsplanentwurf lesen, sobald die vorliegen, nur um zu gucken, ob die Beratung im Anyway da noch drinsteht.« Dass die Politik sich den Haushaltsplan dann aber ganz genau anschaue, Korrekturen vornehme und ihn letztlich beschließe, »das ist das ganz normale Verfahren, und das weiß auch jeder«, so Christiane Martin.

Im Gegensatz zum Anyway schreckten andere später auf, so die Initiatoren des Krimi-Festivals Crime Cologne oder die Offene Jazz Haus Schule, wo auch Förderungen gekürzt werden. Nach dem Aufschrei im Anyway hatte OB ­Reker eine Mitteilung verschickt, dass die Finanzierung gesichert werde — ein bislang einmaliger Vorgang, schließlich hatte Reker ja den Haushaltsentwurf eingebracht. Weitere Interventionen Rekers zu anderen Einsparungen lagen bis Redaktionsschluss nicht vor. Der Rat beschließt den Haushalt endgültig am 10. November.