Ohne Pathos, aber mit großem Anspruch: Cobey Sey, Foto: Ksenia Burnasheva

Marathon im Regenwald

Das Week-End Fest feiert Charles Mingus’ Meisterwerk, lässige Außenseiter und schwebende Gamelan-Sounds. Ein Gespräch mit Festivalmacher Jan Lankisch

Ein Festival plant man über Monate, manchmal über Jahre, sortiert die Projekte, teilt das Budget ein, muss sein Team bei Laune halten und dann mit einem wahnwitzigen Vorlauf die Aufmerksamkeits­ökonomie bedienen.

Am letzten Oktober-Wochenende ist es wieder so weit: das Week-End Fest, die elfte Ausgabe — und die zehnte Ausgabe mit einem special ­project (zu dem später) startet. Zwei Monate vorher treffen wir Kurator und Organisator Jan Lankisch. Doch wer denkt, es sei schon alles in trockenen Tüchern — es ist ja nicht sein erstes Festival — täuscht sich. Lankisch vibriert. Wenn man ihm jetzt noch einen Act nennt, den man gerade gehört hat und der Lankisch packt, dann lädt er ihn noch ein. Bis zur letzten Minute und auch noch darüber hinaus ist für Lankisch das Programm in Bewegung. Musikalische Grenzen akzeptiert er nicht.

»Mein Ego ist über die Jahre kleiner geworden«, sagt Lankisch. »Aber eines ist geblieben: dass ich etwas veranstalten will, von dem ich weiß, dass es Relevanz hat.« Und was heißt das für ihn? »Die Relevanz besteht für mich darin, dass sich die Musiker wohl fühlen.« That’s it — keine Welterklärung, kein Sendungsbewusstsein. Man kann es auch so sagen: Der kuratorische Weltmachtanspruch kommt bei Lankisch bescheiden und unschuldig daher. Er redet ohne Pathos, immer als Fan. Das Week-End Fest wird die Welt nicht ändern, und es ist diese Attitüde, die das liebevoll (und früher eben auch: liebevoll chaotisch) geplante Festival von aller Überfrachtung freihält und den Fokus auf Musik rich­tet, die tatsächlich das Zeug dazu hätte, die Welt zu ändern. Aber das ist schon wieder zu pathetisch.

2012 hatten Jan Lankisch und Festival-Mitgründer Jörg Waschat die Idee, vierzig Jahre »Ege Bamy­a­si«, eines der legendären Alben von Can, zu feiern — und es nachspielen zu lassen. Von Can ist immer viel in Kölner Musikerkreisen die Rede, richtig auseinandergesetzt hatte sich aber kaum einer mit ihnen. Lankisch und Waschat guckten sich als charismatischen Sänger und »Bandleader« ausgerechnet Stephen Malkmus von ­Pavement aus, den Oberschluffi des 90er-Jahre-Indierocks. Sie versprachen Malkmus eine Band maßzuschneidern — standesgemäß ausschließlich mit Kölner Musikern besetzt. »Malkmus habe ich auf einem Kinderspielplatz in Berlin erreicht, wo er mit seinen Kids unterwegs war«, erinnert sich Lankisch. »Das Gespräch lief gut, ziemlich spontan. Da habe ich gemerkt, dass ich meine Euphorie auf die Musiker übertragen kann, dass ich sie für eine Idee begeistern kann.« Seitdem feiert jedes Week-End Fest ein solches Projekt, das »nicht nach Förderrichtlinien geplant ist«, was Lankisch wichtig ist. Höhepunkt war die letztjährige Aufführung von Julius Eastmans »Stay On It« mit einer Band Kölner Musikerinnen unter der Leitung von Jorik Bergman.

»Ich habe keine Liste von zehn Leuten, mit denen ich unbedingt was machen möchte«, sagt Lankisch. »Es entwickelt sich aus der Arbeit.« So verhielt es sich auch mit dem großen, tragischen Außen­seiter Julius Eastman, der 1990 in Einsamkeit und Elend verstarb. Lankisch hatte Eastman durch ein Mixtape von Jim O’Rourke kennen­gelernt, durch Zufall! Lankisch blieb am Ball, verliebte sich in die eigenartig aufwühlenden Stücke des afroamerikanischen Komponisten und stieß schließlich auf die in Köln lebende und arbeitende Flötistin Jorik Bergman, die die musikalische Umsetzung des East­man-Projekts leitete. Mit Jorik Bergman geht es dieses Jahr weiter.


Die Energie von Charles Mingus kenne ich sonst nur aus dem Punk
Jan Lankisch

»Wir machen Mingus: ›The Black Saint and the Sinner Lady‹. Jorik stellt gerade eine Band zusammen, die dieses Album adaptieren wird«, sagt Lankisch. »Wir waren uns in zwei Dingen sofort einig: Wir möchten keine Tagesschau-Atmosphäre, keine Typen in Anzug und Krawatte; und wir wollen Umwege machen, die Hürde höher legen! Es geht uns ja um ein Album, das extrem beeindruckend ist: wie ein Marathonlauf quer durch den Amazonas-Regenwald. Nur Highspeed, nur Schweiß.« Wahr gesprochen: »The Black Saint and the Sinner Lady« veröffentlichte Mingus, der dieses Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, im Januar 1963 als Höhepunkt einer rastlosen, wohl manischen Arbeits­­­phase. Es sei seine »Grabrede zu Lebzeiten«, wie er  selbst sagte. Das Album verkörpert wie kein zweites Mingus’ Vision einer weit zurückgreifenden Musik, tief in den Blues hinab, die zugleich ­utopisch und frei improvisiert ist. Kollektivismus und Individualismus durchdringen sich und verweisen auf Amerikas Psychose — als Land der Freiheit seinen Wohlstand und eben diese Freiheit der Sklaverei zu »verdanken«. »Die Energie von Charles Mingus kenne ich sonst nur aus dem Punk«, sagt Lankisch, und das passt ja.

Erst kurz vor unserem Gespräch hat Lankisch die Percussionistin und Elektronik-Musikerin Pak Yan Lau aus Brüssel entdeckt, die schwe­­bende Gamelan-Orchester-Sounds zelebriert und dieser wuch­tigen Musik eine fragile ­Gestalt verleiht — kurzerhand lud er sie ein. An anderen ­Musikerinnen ist er schon länger dran, die bekanntesten sind Lisa-Kaindé und Naomi Díaz, die als Ibeyi für futuristischen R’n’B stehen, den sie kürzlich wieder zu einem Album verdichtet haben: »Spell 31« werden Ibeyi auf dem Week-End vorstellen. Lankisch hält sich aber gar nicht lange mit seinen Headlinern auf, sondern schwenkt zu Yaya Bey über. Sie aktualisiere für ihn perfekt die schwarze New Yorker Musik der 90er Jahre für die Gegenwart, sagt er. Aber da ist auch noch Tereza, DJ aus Chemnitz, der früheren Avantgardemetropole der DDR, die sich nicht um Genres schert. Auch das passt zum Week-End Fest. Schließlich landen wir bei Cobey Sey, einem Londoner Produzenten und Rapper, der seine Tracks auf der Schwelle von Grime zu HipHop balanciert, aber dabei jedes Klischee von Apokalypse und Bass-Meltdown vermeidet.

»Heute ist gute Musik weltweit und in jeder Minute greifbar«, so Lankisch. »Das kannst du doch ­alles gar nicht mehr verarbeiten.« Man werde mit gutem Geschmack regelrecht geflutet. Lankisch seufzt. Aber das Week-End ist doch Teil dieser Entwicklung? Er nickt, deshalb sei es ihm wichtig, sich auf ­eigene Projekte zu fokussieren und überraschende Querverbindungen herzustellen. »Ich komme nicht aus dem Jazz, ich komme überhaupt aus keiner Szene, deshalb bin ich frei darin, Energien übertragen.« Darum geht es also: Um die Fokussierung auf’s Hier und Jetzt. Die Musik von Charles Mingus bietet dazu einen wunderbaren Anlass.

weekendfest.de
Transparenzhinweis: Der Autor hat ­dieses Jahr Jan Lankisch bei einigen Projekten unterstützt.