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»Jetzt sehen die Deutschen es mal!«

Die Doku »Liebe, D-Mark und Tod« eröffnet neue Perspektiven auf die Geschichte migrantischer Popkultur in Deutschland. Ein Gespräch mit Regisseur Cam Kaya und Produzent Mehmet Akif Büyükatalay, die auch das Drehbuch schrieben

Herr Kaya, Herr Büyükatalay, Sie haben »Liebe, D-Mark und Tod« schon auf Festivals gezeigt. Wie sind die Reaktionen?

Cem Kaya: Extrem stark! Der Film hält zum ersten Mal eine Rückschau auf unsere Migrationsgeschichte — mit glücklichen, ekstatischen Alltagsbildern. Aber er erzählt auch die Geschichte einer Kultur, die kaum wahrgenommen oder respektiert wurde. Dafür bekomme ich von den migrantischen Zuschauer:innen unglaubliches Feedback: Die Deutschen sehen es jetzt endlich auch mal! Und bei den Deutschen höre ich, dass viele beschämt sind. Vor allem, wenn es um unsere Rassismus-Erfahrungen geht.

Mehmet Akif Büyükatalay: Der Film zeigt ja auch, dass Diskriminierung nicht nur erfahren, sondern auch künstlerisch verarbeitet wurde. Ein Novum. Politische und gesellschaftliche Ereignisse — alles wurde sofort rezipiert, kreativ verwertet, kritisch oder humorvoll kommentiert. Das ist neu und war mir selber nicht so klar.

Kaya: Metin Türköz aus Köln macht es schon in der ersten Stunde. Er kommt in den 60er Jahren nach Deutschland und kriegt eine Strohmatratze zum Schlafen. Duschen und Toiletten seien in der Fabrik, heißt es. Sofort macht er ein Lied darüber und prangert das an. Das kommt aus dieser Aşık-, Ozan-, Dengbeş-Kultur der ana­tolischen Wandersänger. Cem ­Karaca später macht auch nichts anderes, als diese Asık-Lieder zu modernisieren und neu zu interpretieren. Das zieht sich wie ein roter Faden bis in den zeitgenös­sischen Hip-Hop hinein.

Herr Kaya, Sie leben in Berlin, und Sie in Köln, Herr Büyükatalay. Wie sind Sie in den gemeinsamen Prozess gekommen?

Kaya: 2013 kam die maßgebliche Compilation »Songs of Gastarbeiter« raus, von Imran Ayata und ­Bülent Kullukču, und die musste erstmal verdaut werden. Auch wir haben uns erst durch ihre Recherchen bewusster mit der Musik der ersten Generation auseinandergesetzt, die wir von Hochzeiten, Musik-Restaurants und religiösen Veranstaltungen kannten. Eines Tages schrieb Mehmet, er habe so ein Projekt vor, ob wir das nicht gemeinsam machen wollen. Ich schrieb zurück: Ja, toll, ich arbeite da schon dran. Also, es lag einfach in der Luft.

Büyükatalay: Cem war sehr stark dafür, dass auch die gesellschaft­lichen Veränderungen, die histo­rischen Verknüpfungen großen Raum bekommen. Also, dass wir über die Musikgeschichte auch die politische, soziale Entwicklung erzählen.

Kaya: Am Ende haben wir gemerkt, dass die Musik immer einen Bezug zum Alltagsleben und auch zur Politik hat. Cem Karaca kommentiert die Arbeitsbedingungen. Da ist es doch klar, dass wir was über die Arbeitsbedingungen zeigen wollen. Was ist mit eine der stärksten, der größten ­Zäsuren in der migrantischen Gewerkschaftsgeschichte — dem Ford-Streik in Köln? Wir mussten einfach Material dazu einbringen. »Derdiyoklar« machen diesen Song »Liebe Gabi«, in dem es um Rassismus-Erfahrungen geht.

Sie feiern die Hoch-Zeit einer Epoche. Franst die irgendwann aus, verebbt sie? Oder wie verändert sie sich?

Kaya: Die Veränderung in der Musik hört nicht irgendwann auf. Aber die zweite Generation hat einen anderen Sound für sich kreiert. Der Protest-Sound der Elterngeneration war für die zu alt. Man ist nicht mehr mit Cem Karaca auf die Barrikaden gestiegen in den 80er oder 90er Jahren, da musste was Neues her für die Jugendlichen. Das haben die — oder das haben wir — im Hip-Hop gefunden. Da lassen wir den Film enden, weil diese Geschichte wäre ein neuer Film.

Aber die Musik der ersten Gene­ration fängt quasi sofort an — in den frühen 60er Jahren?

Kaya: Es fing schon im Zug an! Die kommen spielend in Deutschland an — was will man machen, wenn man drei Tage lang unterwegs ist? In fast jedem Zug gibt es einen, der Bağlsama spielt. Der bekommt den besten Sitzplatz, und alle sitzen um ihn herum. Schon 1964 gab es türkisches WDR-Radio — als Reaktion auf die kommunistischen Sender in Ungarn und Bulgarien, die Grüße an die arbeitenden Genossen nach Deutschland gesendet haben. Außerdem haben die Arbeiter:innen auch Schallplatten mitgebracht.

Die legendäre Kölner »Türküola« war mit türkischer Musik das umsatzstärkste Independent-Label Deutschlands — was ist das für ein Phänomen?

Büyükatalay: In Köln gab es Yılmaz Asöcal, Ehemann von Yüksel Özkasap, der »Nachtigall von Köln«. Er war schon vorher zum Studieren hergekommen, in den 60er Jahren fährt er mit seinem Van vor die Wohnheime der Gastarbeiter:innen und verkauft denen Kleinigkeiten. Als er merkt, dass die Musiker:innen aus Köln durchaus eine Klientel haben, beschließt er, die in den Ariola-Studios aufzunehmen und lizenziert Deutschland-Pressungen — in Stereo! Yüksel Özkasap war auf dem Wirtschaftsgymnasium, richtig fit, was den Vertrieb angeht, und das Ding nimmt seinen Lauf. Ariola wird als Re-Import auch in der Türkei erfolgreich.

»Songs of Gastarbeiter« hat schon zur Wiederentdeckung und späten Würdigung all dieser Musiker geführt. Rund um den Film wird auch noch mal viel passieren?

Kaya: Es passiert automatisch. Bei der Premiere auf dem Istanbuler Filmfestival wurden Ismet Topču Cavidan Ünal und Muhabbet eingeflogen. Das Konzert war legendär. Aber es war auch unbeschreib­lich, wie das türkische Publikum auf den Film reagiert hat.

Büyükatalay: Überwältigend! Für uns war es auch ein Moment des Stolzes, dass wir Kinder und Enkel der Gastarbeiter:innen der Istanbuler Schickeria, die immer so ein bisschen die Nase gerümpft hat, mit unserem Film zeigen konnten: »Das ist unsere Kultur.« Da hieß es: »Wow, wir wussten nichts davon!« Die waren vielleicht noch ignoranter als die Deutschen. Viele Gastarbeiter-Kids sagten: »Endlich nehmen die uns ernst!« Auch in der Türkei!

Kaya: »Liebe, D-Mark und Tod« löst starke Gefühle aus. Ich frage bei den Filmgesprächen immer, wer geweint hat, und es strecken so ziemlich alle den Finger hoch.

(Aşk, Mark ve Ölüm) D 2022, R: Cem Kaya, 96 Min.