Getrieben von Neugier: Anushka Chkheidze, Foto: Walter Mair

»Wenn ich spiele, bin ich wirklich frei«

Die georgische Musikerin Anushka Chkheidze ist ständig auf der Suche nach neuen Einflüssen und Ausdrucksmöglichkeiten

Am Anfang stand ein Facebook-Post. Kein Witz, mein Erstkontakt mit der Musik der georgischen Komponistin und Produzentin ­Anushka Chkheidze fand tat­sächlich auf der mittlerweile als anachronistische Boomer-­Abhäng-Location und Hotspot für Wahlmanipulationen verschrieenen Plattform statt.

Der Berliner Musiker Robert Lippok, bekannt und geschätzt für seine Bands To Rococo Rot und Tarwater und zuletzt vor allem auf dem Feld von Kunst-Klangin­stallationen und -Performances ­tätig, hatte wiederholt seine Begeisterung für Chkheidze geteilt, mit der er selbst schon zusammengearbeitet hat. Es folgte eine Recherche der bisherigen Veröffentlichungen von Chkheidze: eine noch überschaubaren Diskografie aus zwei Alben, »Halfie« und »Move 20 — 21«, beide, um es ­direkt zu sagen: unglaublich gut.

»Halfie« erinnert an frühe Warp-Veröffentlichungen von ­Seefeel oder auch Aphex Twin, experimentelle elektronische Musik von hoher Zugänglichkeit, was an der einnehmenden Kombination aus markanten Beat-Patterns, sphärischen Flächen und vielen kristal-poppigen Melodien liegt. Für Chkheidze ist »Halfie« übrigens »mehr als ein Album«, wie sie in den Linernotes formuliert, nämlich »eine kostbare und zerbrechliche Persönlichkeit, die dabei ist ihre Identität zu verlieren.« Eine Avantar-Persona, die, was den Grad der Reflektion betrifft, einiges mit ihrer Schöpferin gemein hat. Was die beiden unterscheidet: Chkheidze fällt der Dialog mit der Außenwelt leicht, wie sich bei ­unserem Treffen in Berlin zeigt. Sie spricht zwar leise, aber die Antworten kommen ohne lange nachzudenken und mit direkten Augenkontakt, so dass man sofort das Gefühl hat, hier öffnet sich ­jemand wirklich.

In Berlin ist Chkheidze, um ­zusammen mit neun anderen ­Musiker:innen aus aller Welt im Rahmen des »Goethe Talent«- Programms neue Kontakte zu knüpfen. Es finden zwei gemeinsame Gruppenauftritte im Rahmen des Pop-Kultur-Festivals statt, sowie ­einen Soloauftritt im ACUD MACHT NEU.

Aber erst noch ein paar Worte zu »Move 20 — 21«: Der Zweitling ist während der Pandemie entstanden — und die damit einhergehende Absenz physischer Bewegung und Interaktion mit anderen Menschen sollte das Album massiv beeinflussen. Für Chkheidze fühlt es sich wie eine Reise durch Raum und Zeit an, eine Reise aber, die in ihr selbst statt­gefunden hat. Was den kontemplativeren Charakter des Albums erklärt. Um trotzdem in einen ­Dialog mit der Außenwelt zu kommen, entschied sich  Chkheidze dazu, auf »Move 20 — 21« sich ­erstmals als Sängerin eigener Texte einzubringen. Ein gelungenes Unterfangen.


Ich hatte immer das Gefühl, dass ich nicht nur in eine Richtung gehen werde
Anushka Chkheidze

Aufgewachsen ist Anushka Chkheidze im kleinen, gerade mal 2000 Einwohner:innen umfassenden georgischen Dorf Kharagauli. Sie lebte damals bei ihren Groß­eltern, da die Eltern, die bei ihrer Geburt noch sehr jung waren, in Tiflis arbeiteten. »Es mag seltsam klingen, aber ich denke, es war eine gute Entscheidung«, führt sie aus und erzählt von den Vorzügen des Landlebens: viel Platz, kaum Verkehr, kurze Wege, die man mit Rad und zu Fuß erledigen kann sowie eine wunderbare Natur vor der Tür.

Das eigene, früh erkannte musikalische Talent führt sie weniger auf familiäre Einflüsse zurück, sondern auf eine generelle Musikalität der Georgier:innen. »Alle bei uns Zuhause haben ein gutes musikalisches Ohr und können singen.« Sie selbst habe einfach mit drei Jahren angefangen auf dem heimischen Klavier herumzuspielen. Es dauerte nicht lange, bis die Lokalzeitung das »Wunderkind« um ein erstes Interview bat — in dem sie selbstbewusst ihren Lebensweg vorhersagte: »Ich will Komponist werden!« Nun, knapp zwanzig Jahre später muss sie selbst lachen angesichts von soviel kindlicher Courage.

Die Eltern habe das damals übrigens wenig beeindruckt, erzählt sie. »Ich erinnere mich da­ran, dass ich ihnen, als sie nach Kharagauli kamen, meine Werke zeigen wollte, aber niemand war interessiert.« Nur der Großvater registrierte irgendwann, dass sich hier ein echtes Talent zu entwickeln begann und regte professionellen Musikunterricht an. Den mochte sie zwar wie alle Jugendlichen wegen der »strengen Regeln« nicht, das schreckte sie aber nicht davon ab, lange Jahre brav zu lernen, bevor sie sich, in der Pubertät  angekommen und nach Tiflis umgezogen, erstmal den bildenden Künsten und später einem Studium der Sozialwissenschaften, Psychologie und Philosophie zuwendete. Doch die Musik wehrte sich massiv gegen die Vernach­lässigung und setzte sich durch.

Spricht man Anushka Chkheidze auf ihr offensichtlich großes Talent an, so reagiert sie verschüchtert und abwehrend — was sie nur noch sympathischer macht. Nein, talentiert seien andere. Sie habe einfach nur das Glück gehabt, die richtigen Leute zu treffen und Möglichkeiten zu ergreifen. Wie groß das Talent aber ist, davon zeugen neben den Alben auch die Auftritte, die sie im Rahmen des Pop-Kultur-Festivals mit den anderen Goethe Talents absolvierte. In nur wenigen Tagen ist es dem zusammen gewürfelten Kollektiv gelungen, ein Repertoire an Popsongs von universeller ­Ansprache zu schreiben, das weit mehr ist als die Summe der einzelnen Protagonist:innen — vielseitig, leicht, luftig und eingängig.

Es macht Spaß zu sehen, wie sehr es Anushka Chkheidze ­genießt, auch weit von ihrem ­eigenen elektronischen Sound entferntes Terrain mit den anderen zu erkunden, was daran liegt, dass sie sowieso nichts mehr scheut als restriktive Genregrenzen. »Denn auch wenn ich von ­Anfang an elektronische und ­digitale Musik produziert habe«, hebt sie an, »hatte ich immer das Gefühl, dass ich nicht nur in eine Richtung gehen werde. Ich möchte verschiedene Dinge ausprobieren. Ich mag Künstler:innen, die in ihrer Arbeit verschiedene Dinge ausprobieren.«

So erklärt sich auch, dass sie sich früh in Filmmusik- und Theaterkollaborationen eingebracht hat. »Man kann bei diesen immer noch erkennen, dass es mein Sound ist, aber ich versuche dabei anders zu arbeiten«, führt sie aus. »Im Theater finden sich Leute mit unterschiedlichen Perspektiven zusammen. Nicht nur Musiker:innen. So hat man einen wirklich ­offenen Raum. Bei solchen Kooperationen muss man manchmal ­zurücktreten, weil jemand anderes etwas Gutes macht und man nicht noch etwas drauf setzen muss. Man lernt, die Arbeit der ­anderen zu respektieren.«

Zuletzt hat die Offenheit und Umtriebigkeit Anushka Chkheidze nach Basel geführt, wo sie sich in ein Projekt an der Schnittstelle von Musik und Architektur eingebracht hat, das zu ihrem dritten Album »Clean, Clear and White« geführt hat. »Es ist wirklich ein verrücktes Projekt«, berichtet sie. »Es gibt in Basel dieses Forschungs­institut im Zentrum, das zehn ­Jahre renoviert wurde. Ich wurde ­eingeladen, es zu erkunden und dort field recordings aufzunehmen, um auf diesen basierend Stücke zu produzieren.«

Drei Wochen hat Chkheidze hierzu im Gebäude verbracht und neben den field recordings vor Ort auch Klavier- und Choraufnahmen getätigt. Zum Zeitpunkt ­unseres Berliner Gesprächs sind die Stücke, die daraus entstanden sind, bereits gemastert und das ­Album in Produktion. Es sei experimenteller als alles, was sie bislang veröffentlicht habe, merkt sie begeistert an — und eine erste Hörgelegenheit unterstreicht das:  Chkheidze nimmt uns mit auf eine düster-geheimnisvolle Sound­reise, schenkt uns Momente von Geisterhafter Erhabenheit und verstörender Ekstase.

Im Herbst erscheint aber nicht nur das neue Album von Anushka Chkheidze, sie belegt zudem die Sound Studies an der Akademie in Utrecht. Das mag zum jetzigen Zeitpunkt der Karriere überraschen, aber dann auch nicht: ­Anushka Chkheidze ist getrieben von Neugier und der Suche nach neuen Einflüssen. »Ich möchte in der Zukunft mehr mit Chören und akustischen Instrumenten arbeiten. Alle können Musik mit dem Computer machen, deswegen müssen Komponisten Elektronischer Musik härter an sich arbeiten, um wirklich etwas von Wert zu erschaffen.«

Das klingt jetzt sehr diszipliniert — und es beschreibt Anushka Chkheidze ­sicherlich treffend, aber ebenso wichtig ist für sie das Gefühl des Sich-Fallenzulassens in der Musik. »Ich war früher ein bisschen schüchtern und bin es immer noch — die Musik ist eine Möglichkeit, mich auszudrücken. Wenn ich spiele, bin ich wirklich frei.«  

Ihre Alben und aktuelle Stücke finden sich unter: Chkheidzeanushka.bandcamp.com