Als Initiator von #RingFrei hat ­Reinhold Goss (Mitte) die fahrradfreundliche Umgestaltung der Kölner Ringe erreicht. Seit 2021 ist er ehrenamtlicher Fahrrad­bürgermeister

»Wir warten nicht auf den großen Wurf!«

Warum soll ich mich für mein Veedel engagieren? Und wie habe ich damit Erfolg? Ein Gastbeitrag von Reinhold Goss (Initiative Ring Frei)

In Köln gründen sich immer mehr Initiativen, die sich für ein besseres Leben in ihrem Veedel einsetzen. Sie wollen mehr Grün in ihrer Straße, weniger Autoverkehr, mehr Aufenthalts­qualität. Doch ihre Ideen stoßen vor Ort oft auf heftigen Widerstand — und auf einen Verwaltungsapparat, der mit der Tatkraft der Engagierten nicht Schritt halten kann. Reinhold Goss kennt das aus eigener Erfahrung


 

In meinem Bücherregal stehen zwei dicke Wälzer neben einem sehr dünnen Buch. Der eine heißt: »Die Stadt, das Land, Die Welt verändern!« Er beschreibt die Initiativen der 70er und 80er Jahre Kölns. Diese, so Günter Wallraff im Vorwort, hätten sehr erfolgreich das NS-vermiefte Köln durch­lüftet, Machtgeflechte offengelegt und Strippenzieher entlarvt. Die Heraus­geber:innen betrachten diese Rückschau gleichzeitig als eine Gebrauchs­anweisung für neue Initiativen.

Auf dem zweiten Umschlag stechen die Wörter »Zukunft Werk Stadt« ins Auge. Es geht hier um die Vision, wie aus dem Areal der ersten Gas­motoren­fabrik der Welt, dem Otto-Langen-Quartier, ein besonderer »Bewegnungs­ort« werden kann, nein, muss (wie ich finde). Die Kraft der Kunst soll dabei der Transmissionsriemen sein und nicht etwa der finanzielle Profit von Projektentwickler:innen — die Macher:innen von Raum 13 bezeichnen ihr Projekt übrigens als andauerndes Reallabor.

Das Büchlein wird mit dem Zitat »Visionen brauchen Fahrpläne« ein­ge­leitet. Der Autor Jürgen Wiebicke zeigt in seinen »Zehn Regeln für Demo­kratie-Retter«, dass — bei allen Ohn­machts­­gefühlen aufgrund der Welt­lage und des Klima­wandels — die Stadt oder das Veedel genau der Raum sind, an dem unmittel­bar erfahren werden kann, dass Dinge ta­tsächlich zu beein­flussen sind. Die zehn Regeln sind wesent­liche, sehr mut­machende Tipps, mit der eine Ein­fluss­nahme gelingen kann.

Initiativen operieren ehren­amtlich und mit flachen Hierarchien. Ist die Hürde »Politik« genommen, stoßen sie auf ein System, das diametral entgegen­gesetzt funktioniert

Aber mit Fahrplänen ist das so eine Sache. Die Vorstellung davon, in welcher Zeit das gemeinsam erarbeitete Ziel umgesetzt werden kann, wenn man dann am Tisch mit Politik und Verwaltung sitzt, weckt schnell Erinnerung an Becketts »Warten auf Godot«. Denn der politische Beschluss, den eine Initiative erreicht, ist zunächst einmal nur das Ticket für einen Zug, für den jetzt noch ein Gleis und die Abfahrtszeit festgelegt werden müssen. Und das führt nicht selten zu einem Problem: Während Initiativen ehren­amtlich und mit flachen Hierarchien operieren, stoßen sie, wenn die Hürde »Politik« genommen wurde, auf ein System, das diametral entgegen­gesetzt funktioniert. Die (Kölner) Stadt­verwaltung ist ein komplexer Organismus, der kaskadierend meist von oben regiert wird und dessen Umsetzungshorizonte oftmals weit von dem entfernt liegen, was Bürger:innen als vertretbar ansehen. Wiebickes Buch fehlt also ein elftes Kapitel: »Erfolg braucht einen langen Atem«. Wobei es mit dem besonderen Kapitel »Verbinde Gelassenheit mit Leidenschaft« endet.

Gelassenheit und Leiden­schaft scheint offen­sicht­lich den Kölner:innen eigen und lässt sie gar nicht davon abbringen, Initiativen und Vereine zu gründen — Köln ist von einer unglaublichen Viel­falt derartiger Zusammen­schlüsse geprägt. Schaut man genauer hin, findet man dafür unerwartete Beispiele, ohne die unsere Stadt gar nicht funktionieren würde. Sebastian Tautkus stellte in dem Podcast »Ohrenblut« unlängst die Ultra-Fangruppe Coloniacs vor, die u.a. mit ihren Engage­ment in der Flut­kata­strophe sehr berührte.

Das Credo ›die Politik denkt und die Verwaltung lenkt‹ ist eindeutig überholt. Unsere Gesell­schaft muss sich zu einer Bürger:innen­gesell­schaft entwickeln

Leider zeigen die aktuellen Krisen so deutlich wie nie zuvor: Nix bliev wie et wor. Und die Zeiten der lang­samen, abseh­baren Ver­änderungen sind vorbei. Deswegen und um den Zusammen­halt wie das Zusammen­leben weiter­hin gut zu organisieren, brauchen wir neue, effiziente Strukturen, die die Bürger:innen eindeutig in den Mittel­punkt stellen. Das Credo »die Politik denkt und die Verwaltung lenkt« ist eindeutig überholt, alle demo­kratischen Parteien benennen dies auch in ihren Programmen: Unsere Gesell­schaft muss sich zu einer Bürger:innen­gesell­schaft entwickeln.

Damit dies gelingt, brauchen wir ein klares Bekenntnis, Förderung und Wert­schätzung von Initiativen und Gruppierungen. Gleich­zeitig müssen Strukturen innerhalb der Verwaltung implementiert werden, die die Selbst­bestimmung und Auto­nomie von Bürger:innen stärken. Es braucht Räume, um dies zu erproben, sprich: Real­labore. Es braucht Zutrauen und Geld! Ohne einen Bürger:innen­haus­halt, der diesen Namen verdient, bleiben alle Beteuerungen letzt­endlich nur rück­wärts­gewandte Lippen­bekenntnisse.

Natürlich verweilen wir jetzt nicht bis zum Eintritt besserer Bedingungen in Schock­starre. Das wäre mehr als wider­sprüchlich, steckt doch der Beginn, das Anfangen in dem lateinischen Wortes initium. Die Spontis der 70er brachten es — ein wenig martialisch — mit »Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren« auf den Punkt. Ins Heute übersetzt, heißt es etwas vermittelnder: »Warte nicht auf den großen Wurf! Alle Veränderung beginnt mit dem ersten Schritt.«

Berührungs­ängste vor Parteien des demo­kratischen Spektrums sind wirklich unbegründet

Aber wer losläuft, möchte auch ankommen. Und da drängt sich die Frage auf, was denn grund­legend hilft, eine Vision in die Realität zu überführen? Die Erfolgschancen steigen, wenn diese Vision breit »unters Volk« gebracht wird: Keine der relevanten Gruppen sollte hier außen vor bleiben — und Berührungs­ängste vor Parteien des demo­kratischen Spektrums sind wirklich unbegründet. Sehr wichtig ist übrigens der unmittel­bare Austausch mit den Jugend­organisationen. Am besten lässt man sich von den jeweiligen Gruppierung einladen und stellt die Planungen und angestoßenen Prozesse vor.

Wer so den Austausch gestaltet, schärft nebenher nicht nur die eigenen Argumentations­ketten und macht gute PR für die gute Sache, sondern richtet die Beteiligungs­möglich­keiten eben auch horizontal gut aus, ganz im Sinne einer breiten Partizipation. Das sichert nach­haltig bereits Erreichtes ab, selbst dann, wenn politische Kräfte den Rück­wärts­gang einlegen — wie gerade die Kölner CDU in Sachen Verkehrs­wende. Wohlan!

Der Text ist ein Teil unseres aktuellen Titelthemas »So geht's besser – Wie Initiativen Köln lebenswerter machen«. Wir waren in Deutz, Kalk und in der Südstadt und haben dort Initiativen nach Problemen und Erfolgsrezepten gefragt. Lest den ganzen Titel in der Print-Ausgabe der Stadtrevue Dezember.