Will bloß spielen: der kranke Eingebildete, Foto: Thomas Aurin

Sick Lives Matter

»Der eingebildete Kranke« pocht im Schauspiel Köln moralistisch auf Beistand

Stefan Bachmann und die Autor*innen Barbara Sommer und Plinio Bachmann machen mit einer »Überschreibung« aus Molières Klassiker von 1673 eine Momentaufnahme: Modesprache wird über die Situationskomik gelegt, das Klassische durch das Ephemere gefiltert, den kulturellen Moment des Aufruhrs der Opfer samt seiner Trittbrettfahrer. Der eingebildete Kranke Argan (Rosa Enskat) wird zum gekränkten Eingebildeten. Unablässig sieht er sich von einem Umfeld verletzt, das ihn nicht so ganz ernst nimmt.

Krank ist er ganz sicher, aber das liegt an den vielen Medikamenten, die ihm profitgierige Ärzte verschreiben. Seine schäbige Chaiselongue ist von einem Halbkreis Stühlen umgeben, wo die weiteren Figuren auf ihre Einsätze warten.

Darf seine Tochter Angélique (Paul Basonga) den Geliebten Cléante (Lola Klamroth) heiraten oder muss sie zuliebe des Vaters mit dem Sprössling des Arztes Purgon (Anja Laïs) vorliebnehmen? Basongas Angélique ist hochsensibel und quasi frisch aus dem Puppenbett gefallen. Klamroths Cléanthe ist überkorrekt und modern aufgeklärt. Die Gefahr, versehentlich andere zu verletzen, versucht er durch rhetorische Vorsichtsmaßnahmen zu bannen. Recht hat, wer ein Wehwehchen zu instrumentalisieren weiß. Kassiert Angélique Rutenschläge vom Vater (die ihn selber vorgeblich am meisten verletzen), geht ihm das Seelchen der Tochter wieder über alles, als sie für eine halbe Minute daran »stirbt«. Argan, schwankend im Krankheitsgrad, bedient sich des Gekränktseins, wenn die Dienerin Toinette (Melanie Kretschmann) Misstrauen ob seiner tatsächlichen Lage durchscheinen lässt.

Der satirische Blick richtet sich auf Veränderungen, die sich noch nicht eingependelt haben. Das ABC von Taktgefühl, Anspruchsdenken und Zerbrechlichkeit wird kunstvoll abgearbeitet und verleiht Molières Typen einen ulkigen zeitgenössischen Anstrich. Der einer Übersetzung oft überlegene Sprachwitz fügt sich gut in die Situationen.

Ob die Schauspieler*innen das eine oder andere Mal schlucken mussten, als sie eine Sprache durch den Kakao gezogen sahen, die auch zum Teil für von ihnen erkämpfte Errungenschaften im Theaterbetrieb steht, sei dahingestellt. Die vorwiegend genderverkehrte Besetzung überdeckt alte Geschlechtszuschreibungen und birgt im Falle von Basonga und Kei Muramoto (Béline) eine eigene Komik in sich.