Kein Glamour in der Polizeiarbeit

Der Regisseur Dominik Moll über seinen Film um einen ungelösten Femizid

Herr Moll, »In der Nacht des 12.« basiert auf einem realen Mord, der bis heute nicht aufgeklärt ist. Wie kamen Sie auf die Geschichte? 

Grundlage ist das Buch von Pauline Guéna, einer französischen Schriftstellerin, die ein ganzes Jahr im Kreis der Polizei verbracht hat und auf 500 Seiten penibel dokumentarisch deren Arbeit beschreibt. In den letzten beiden Kapiteln geht es um den Mord an einer jungen Frau. Auf dem Heimweg von einer Party in einer Kleinstadt in Frankreich wird sie bei lebendigem Leib verbrannt. Wie Guéna die folgende Untersuchung beschreibt — das fand ich interessant.

Was hat Sie daran fasziniert?

Mich hat gereizt, dass der Fall ungelöst ist. Polizeiliche Ermittlungen werden in Kinofilmen, Fernsehkrimis und Romanen immer wieder thematisiert und dabei sehr unterschiedlich dargestellt. Guénas Buch schildert die Perspektive eines Ermittlers, der zunehmend von dem Wunsch besessen ist, den Täter zu überführen. Normalerweise wird in einem Krimi am Ende das Verbrechen aufgeklärt — und alle sind erleichtert. Wenn man sich von diesem Schema löst, kann man etwas anderes in den Fokus nehmen. Den Stillstand oder die Wut der Polizisten zum Beispiel.

Inwieweit haben Sie sich neben Guénas Recherche auf eigene Nachforschungen gestützt?

Ich habe eine Woche mit Polizeibeamten in Grenoble verbracht, um herauszufinden, wie sich Gewaltverbrechen anderer Männer auf die männlichen Polizeibeamten auswirken — ob sie ihr eigenes Verhalten oder ihre Arbeit in Frage stellen. Am liebsten hätte ich Bastien Bouillon, der den Chef-Ermittler im Film darstellt, und die anderen Schauspieler:innen dabei gehabt. Es war schwierig genug, als Einzelner Zugang zu bekommen. Umso interessanter war der Einblick in den Polizeialltag. Ich habe erlebt, dass die Einheit für die meisten wie eine zweite Familie ist, für manche die einzige. Viele haben private Probleme, weil sie Überstunden machen, ständig nachts arbeiten müssen.

Clara wurde vermutlich allein deshalb getötet, weil sie eine Frau war. Wie verhält sich das umfassende Phänomen der Femizide zu diesem speziellen Fall?

Im Buch sprechen Claras Bekannte, das heißt Verdächtige, über ihre Beziehung zum Opfer. Das ist sehr aufschlussreich, denn es zeigen sich in diesen Aussagen eine Vielzahl prinzipieller männlicher Verhaltensweisen gegenüber Frauen. Im Film gibt es nur wenige Frauenfiguren. Die sind allerdings sehr wichtig, weil sie den Polizisten Yohan dazu bringen, seine Arbeit zu überdenken. Letztlich scheint es so, als gäbe es einen übergreifenden Dialog zwischen den Männern, die solche Verbrechen begehen, und den Männern, die sie aufklären möchten.

»In der Nacht zum 12.« beginnt mit der Ermordung, die Sie elliptisch und ohne Ton inzensieren. Wie sehr beschäftigt Sie die Darstellung von Gewalt im Kino?

Gewalt als etwas Spektakuläres oder Sinnliches darzustellen, ist der falsche Weg. Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich den Mord zeigen kann, und habe mich für eine fast abstrakte Darstellung entschieden, eine Nahaufnahme von Claras Gesicht — ohne Ton, ohne Schreie. Ich wollte die Brutalität des Geschehens deutlich machen, ohne das Verbrechen in irgendeiner Weise zu glorifizieren.

Im französischen Kino hat der Kriminalfilm als Genre eine lange Tradition. Haben Sie einen neuen Ansatz gefunden?

Ich nehme dem Verbrechen und der Polizeiarbeit alles Glamouröse, zeige die Ermittlungstätigkeit als zeitaufwändig und langweilig. Die Beamten verbringen viel Zeit mit Papierkram. Der kleinste Fehler kann ihre ganze Untersuchung ruinieren. Die Fiktionalisierung einer wahren Begebenheit erlaubt es mir zudem, meine eigenen kleinen Obsessionen einzubringen, indem ich mit dramatischen Hebeln arbeite, mit Spannung und Unbehagen. Das Genre interessiert mich aber nur, wenn ich in seinem Rahmen auch etwas über die Gesellschaft sagen kann.  

Würden Sie das ihren eigenen aufklärerischen Impuls nennen?

»In der Nacht zum 12.« sollte kein Thesenfilm mit einem politischen Statement werden. Das Problem solcher Filme ist, dass sie Antworten geben wollen, wo es genügt, Fragen zu stellen. Ich hatte nicht den Anspruch, zu lösen, was zwischen Männern und Frauen schiefläuft. Aber darauf hinweisen wollte ich schon.

(La Nuit de 12) F/B 2022, R: Dominik Moll, D: Bastien Bouillon, Lula Cotton-Frapier, Bouli Lanners, 114 Min.