Bis in die 80er Jahre hielt sich die Behauptung, der Kölner Karneval sei ein Hort des Widerstands gewesen, Foto: Gerhard A. Küpper

Im Regen stehen gelassen

Der Büttenredner Karl Küpper hat das NS-Regime scharf angegriffen. Aber bis heute tut sich Köln schwer mit der Erinnerung an den kritischen Karnevalisten

Wenn der Klügere wirklich nachgibt, stellte sich Karl Küpper besonders dumm an. 1936 marschierte er mit ­dickem Kopfverband auf die Bühne. Alle im Publikum wussten, woher die Verletzung stammte. Umso fröhlicher behauptete Küpper, ihm sei ein Ziegelstein auf den Kopf gefallen. Der Applaus bewahrte ihn vor dem KZ. Kölns beliebtester Büttenredner war den Nazis ein Dorn im Auge, doch das Regime wagte es nicht, ihn verschwinden zu lassen. Dafür sorgte die Nachkriegsgesellschaft, die sich mit der Erinnerung an ihn schwer tut. Bis heute.

Küpper begann unpolitisch. Doch mit der Machtübernahme der NSDAP fand der 28-jährige Karnevalist seine Stimme — und setzte sie entschlossen ein. Er thematisierte die Ausgrenzung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden, spottete über verschwundene Gelder des Winterhilfswerks, zog Hermann Göring durch den Kakao. Sein Markenzeichen damals: Er schwang sich zu Beginn seines Auftritts auf den Rand der Bütt, riss den Arm zum vermeintlichen Hitlergruß nach oben, fragte dabei aber: »Eß et am rähne?« Um sich die Frage gleich selbst zu beantworten, indem er die Hand zur Faust und damit zum Gruß der Arbeiterbewegung ballte: »Nä, su e Wedder.«

Klare karikaturistische Kante und zugleich feinsinnig im Spiel mit Wort und Geste: Das war typisch für Küpper. Seine Gegner schlugen stumpf zurück, er kassierte Prügel von der Gestapo und zog sich dabei nicht nur die erwähnte Kopfverletzung zu. Küpper musste sich bald täglich im berüchtigten EL-DE-Haus melden und wurde schließlich zu lebenslangem Auftrittsverbot verurteilt, durch ein Kölner Sondergericht, das unter anderem »Verächtlichmachung: 1. Des Deutschen Grußes, 2. der Person Görings, 3. der Person Leys durch Nachäffen seiner heiseren Stimme, 4. der Achse Rom-Berlin« auflistet. Er machte trotzdem weiter.

Zugute kam ihm, dass mit Kriegsbeginn sowieso alle öffentlichen Karnevalssitzungen und -bälle verboten wurden. Weil sich Köln aber das Feiern nicht verbieten ließ, trat Küpper bei als Privatveranstaltungen getarnten ­Sitzungen weiter auf, bis er von einem Kontakt bei der Geheimpolizei gewarnt wurde. Küpper floh zur Wehrmacht, wo er wegen unterschiedlicher Gerichtsbarkeit nicht so rasch belangt werden konnte. Den Krieg über blieb er Truppenbetreuer der Luftwaffe.

Nicht nur die Flucht hat der Historiker Fritz Bilz 2010 in seinem Porträt »Unangepasst und widerborstig« nachgezeichnet. Das Buch ist eine überfällige Würdigung des Büttenredners. Mit weiteren Würdigungen sieht es mau aus: In der dritten Auflage von 2020 widmet Bilz gleich zwei Kapitel den Versuchen der Stadt, an Karl Küpper zu erinnern. Während die Stunksitzung und Karnevals-Größen wie Jürgen Becker ihn längst zitieren, agiert das Rathaus so spät wie glücklos. Da wird ein Platz in der Innenstadt nach ihm benannt, der sich zwischen Marspfortengasse und Jupp-Schmitz-Plätzchen versteckt. Da wird mit großem Bohei eine Gedenktafel in Kalk enthüllt, die dann plötzlich verschwindet und erst auf mehrfache Nachfrage von Bürger*innen wieder am Gebäude auftaucht, nun aber unlesbar in drei Metern Höhe. Da wird ein Karl-Küpper-Preis ausgerechnet von der AfD-Fraktion im Rat der Stadt gefordert, was den Sohn des Karnevalisten, Gerhard Küpper, zu einem entsetzten Brief an die Oberbürgermeisterin veranlasst: »Heute wäre mein Vater ein vehementer Kritiker der von der AfD vertretenen Positionen sowie deren Rhetorik, die darauf abzielt, andere zu diskriminieren und zu diskreditieren.«

Die anderen Parteien riefen eilig einen eigenen Karl-­Küpper-­Preis ins Leben. Die Peinlichkeit hätte man leicht vermeiden können, hätte man Werk und Wirken Küppers nicht ein halbes Jahrhundert lang ignoriert. So schreibt sich an seinem Beispiel der Umgang Kölns mit der NS-Vergangenheit fort. Bis in die 80er Jahre hielt sich hier die Behauptung, der Kölner Karneval sei ein Hort des Widerstands gewesen, auch später noch hieß es häufig, in Köln sei Hitler stets kühl empfangen worden. Keine dieser Erzählungen hält einer historischen Betrachtung stand. Im Gegenteil: Während sich die etablierten Karnevalsgrößen nachweislich mit der NS-Herrschaft arrangierten, war Karl Küpper der einzige, der protestierte.

Und büßen musste. Auch nach dem Krieg — denn die überlebenden Figuren der Öffentlichkeit, allen voran der damalige Vorsitzende des Festkomitees Thomas Liessem, waren begierig darauf, erneut in Amt und Würden zu gelangen. Über alles vor 1945 sollte deshalb der Mantel des Schweigens fallen — und Küpper, der das Wieder-Erstarken von Personen mit NS-Vergangenheit früh anprangerte, wurde zum Schreckgespenst. Dabei füllte er weiterhin problemlos große Hallen. Sogar Konrad Adenauer zeigte sich besorgt, dass seine Scherze den Geist der jungen Republik schädigen könnten. Der Kanzler und der organisierte Karneval ergriffen Maßnahmen. Anfang der 50er Jahre wurde Küpper zum zweiten Mal mit einem faktischen Auftrittsverbot belegt.

Als makellose Heldenfigur taugt Karl Küpper dennoch nicht. Was ihn an Willensstärke auszeichnete, stand ihm oft als Starrsinn im Weg. Zugleich riskierte er, einmal zur Wehrmacht geflohen, nicht noch mehr Aufsehen während der Kriegsjahre, und gegen Ende seiner Karriere versuchte er es durchaus mit entschärften Reden. Doch diese Widersprüchlichkeiten machen ihn nahbar. Eine lebendige Erinnerung an ihn täte Not: Mit seiner Kritik der Herrschenden knüpfte er an jenen Karneval an, der im Mittelalter eine Möglichkeit war, die Obrigkeit infrage zu stellen. Doch ein Ort für unkonventionelle, auch anarchistische Ideen sind die jecken Tage längst nicht mehr.

Vermutlich wäre Küpper über den Zustand des Festes betrübt. Zu Lebzeiten hat er vergeblich auf Anerkennung gehofft. 1970 starb er verbittert. Er hinterließ unter anderem einen bis heute gültigen Satz, mit dem er schon kurz nach dem Krieg die Party gestört hatte. In der Aufbruchsstimmung wollte kaum jemand wahrhaben, dass mit den faschistischen Regimen nicht auch der Faschismus verschwunden war. Karl Küpper aber schwang sich auf den Rand der Bütt und rief: »Et eß ald widder am rähne.«