Politik ohne Stress

Pacifiction

Albert Serra verortet Politik mit seinem actionfreien Paranoia-Thriller im Nachtclub

Sofern es in »Pacifiction« einen Plot gibt, beginnt er mit einem Gerücht: Tahitis Hochkommissar De Roller (Benoît Magimel) wird von Repräsentant*innen der örtlichen Bevölkerung auf die angebliche Wiederaufnahme von Atomtests in der Region angesprochen. Fortan sieht er sein kleinteiliges Walten über diesen Randbereich des französischen (Post-)Kolonialreichs von großer Geopolitik überschattet. Für deren Einfluss finden sich aber keine handfesteren Anzeichen als die Anwesenheit eines verschmitzten französischen Marineadmirals (Marc Susini) sowie wortkarger westlicher Ausländer, die möglicherweise einen aufstrebenden Regionalpolitiker protegieren oder beim Immobilienprojekt eines Millionenerben mitmischen.

Dass Albert Serra, der hierzulande vor allem für »Der Tod von Ludwig XIV«  bekannt ist, seinen Protagonisten nie zuhause zeigt, lässt diesen rastlos wirken. Allerdings deutet in De Rollers Alltag nichts auf beruflichen Stress hin. Ebenso wenig scheint er durch Formalitäten oder Bürokratie eingeengt. Jedenfalls sieht man den politischen Beamten auch nie im Büro. In diesem actionfreien Paranoia-Thriller erweist sich stattdessen ein Nachtclub als der Ort, an dem alle zentralen Figuren regelmäßig zusammenkommen. »Politik ist wie eine Disko«, heißt es denn auch in einem Monolog. Sie finde im Dunkeln statt, »völlig abgeschnitten von der Wirklichkeit.«

Dass die Stimmung in jenem Nachtclub — trotz der leichten Bekleidung des vielgeschlechtlichen Personals — merkwürdig verhalten bleibt, weckt den Verdacht, dass die Gäste mit irgendetwas hinterm Berg hielten. Wenn Außenaufnahmen unterschwellig suggerieren, dass sogar das Alltagsleben im Verborgenen bleibe, mag das indes an COVID-19 liegen: Auf Tahiti herrschte Lockdown, während Serra drehte.

Die schwüle Unbestimmtheit der gelegentlich von Neonlicht oder Farbfiltern akzentuierten Bilder verdankt sich jedoch vor allem der montagebetonten Arbeitsweise des 1975 geborenen Katalanen: Auf der Basis skizzenhafter eigener Drehbücher dreht er Unmengen an Digitalmaterial, aus dem er die einzelnen Segmente seiner langsam mäandernden Filme nach dem Maßstab ihres ganz individuellen Reizes wählt. In diesem Fall erinnert das traumwandlerische Ergebnis manchmal an »Beau Travail«, »Chinatown« oder Jacques Rivette. Aber eigentlich ist »Pacifiction« schlicht einzigartig.

(Pacifiction — Tourment sur les îles) F/E/P/D 2022, R: Albert Serra, D: Benoît Magimel, Pahoa Mahagafanau, Marc Susini, 165 Min.